Atomkraft darf nur eine Notlösung sein
Deutschland ist rohstoffarm. Nicht einmal ein Prozent aller nachgewiesenen Erdgasreserven sind deutschen Ursprungs. Beim Öl sieht das nicht anders aus. Das sieht man in mehreren Statistiken von British Petroleum (BP) aus dem Jahr 2020. Der Hoffnungsschimmer am Horizont, der Deutschland aus seiner Energiearmut befreien könnte, ist der Ausbau von erneuerbaren Energien. Allerdings produzieren diese aktuell 41 Prozent unseres Stroms und können daher mit den fossilen Brennstoffen noch nicht mithalten. Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, bleibt dennoch optimistisch: "Für eine Vollversorgung mit erneuerbaren Energien müssen wir die Rahmenbedingungen für alle Sektoren schaffen. Dann könnte es sehr schnell gehen".
Nun hat Russland aber dem deutschen Staat das Energie-Aus und damit den Verzicht auf ihr Öl und Gas erklärt. Die Frage, die sich die deutsche Regierung nun zu stellen hat, lautet also nicht nur „Wie ersetzen wir das russische Öl und Gas?“, sondern auch „Von wem machen wir uns als nächstes abhängig?“.
Für Antworten auf diese Fragen bleibt Zeit. Zumindest bis zum 15. April 2023, weil wir bis dahin unseren Strom vermehrt aus AKWs beziehen. Das bedeutet, dass weniger Strom durch die Verbrennung von teurem Öl, Gas oder Kohle erzeugt wird. In anderen Worten: In den Portemonnaies der deutschen Bürger*innen verbleibt mehr Geld. Das erklärt auch, dass insgesamt 90 Prozent der Befragten des ZDF-Politbarometers entweder für eine Verlängerung des Betriebs der AKWs bis zum 15. April sind (36 Prozent) oder sogar für eine Verlängerung über dieses Datum hinaus (54 Prozent). Und das zu Recht: Wenn Lebensmittel-, Energie- und Mietpreise in die Höhe schießen, scheint es verständlich, wenn sich die deutsche Gesellschaft weniger um die Langzeitfolgen und Auswüchse von Atomkraft kümmert. Die Verlängerung des Betriebs erweist sich eben auch als eine geeignetere Unterstützung als die vom Staat angesetzten Entlastungspakete. Zumal diese leider nicht immer dort ankamen, wo sie am meisten gebraucht wurden.
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Die AKWs verringern also unsere Abhängigkeit von den teuren fossilen Brennstoffen. Aber selbst, wenn sie uns eine Hilfe dabei sind, finanziell den Winter zu überstehen, bringen sie mögliche Umwelt- und Gesundheitsschäden mit sich.
Auch wenn Atomkraftwerke nur 12 Gramm pro Kilowattstunde an CO2-Emissionen erzeugen, bergen sie andere Risiken: Die Kinderkrebsstudie des Bundesamts für Strahlungsschutz zeigt, dass Kinder im Umkreis von 20 Kilometern eines AKWs häufiger an Leukämie erkranken. Dass auch Mitarbeiter*innen von Gesundheitsrisiken betroffen sind, liegt auf der Hand. Hinzu kommt das Problem der Atommüll-Endlagerung, das seit jeher bekannt ist und für das noch immer keine Lösung gefunden wurde. Radioaktiver Müll wie Uran besitzt eine Halbwertszeit von 4,468 Milliarden Jahren. Die Halbwertszeit beschreibt die Zeitspanne, in der die Atome eines Stoffes zur Hälfte abgebaut wurden. Dass die Endlagerung somit keine zukunftsfähige Lösung ist, wenn wir damit unsere künftigen Generationen in Atommüll versinken lassen, versteht sich von selbst.
Der Plan, „in dieser Krise alle Energie zu nutzen, die wir haben“, wie ihn Bundestagsabgeordneter Norbert Röttgen in einem Tweet äußert, ist nachvollziehbar. Laut dem Ifo-Institut falle der Strompreis für das Jahr 2023 um neun Prozent niedriger aus. Somit könnten die Tankpreise gesenkt, deutsche Unternehmen vor der Insolvenz bewahrt und der durchschnittliche Verbraucher entlastet werden. Allerdings kann die Verlängerung des AKW-Betriebs nur eine Notlösung sein und ist nur gut, solange wir die Frist bis zum 15. April 2023 wie geplant einhalten. Ansonsten entfernen wir uns immer weiter von den Einigungen des Pariser Klimaabkommens und laufen Gefahr, Opfer der negativen Folgen von Atomkraft zu werden.
In der Zeit bis zum 15. April ist es wichtig, dass die deutsche Regierung die Grundlagen für neue Beziehungen im Bereich der Energieimporte weiter ausbaut. Diesbezüglich diskutiert Deutschland zurzeit den Import von verflüssigtem Gas und steht bereits in Verhandlungen mit den USA, einem der größten Lieferanten für Liquefied Natural Gas (LNG) weltweit. Ob LNG aus Algerien oder über eine Pipeline geführtes Gas aus Nigeria als weitere Alternativen in Frage kommen, bleibt abzuwarten. Darüber hinaus sollten wir die erneuerbaren Energien ausbauen, fördern und unterstützen, damit wir zukünftig der Verlockung von Atomkraft widerstehen und wieder einen Schritt in der Energiewende vorwärts machen können.
Kohlefrei - Wirklichkeit oder Wunschdenken?
Nicht nur Atomkraft ist weiterhin in Deutschland ein Thema, sondern auch Braunkohle wird nach wie vor abgebaggert und mithilfe von Kohlekraftwerken in Strom umgewandelt. Aber wie abhängig wir wirklich von dem fossilen Energieträger sind, damit haben sich die Redakteurinnen Juliane und Sarai in ihrem Podcast: „Kohlefrei - Wirklichkeit oder Wunschdenken?“ beschäftigt. Dazu haben sie mit dem Geschäftsleiter für Umwelt- und Naturschutzpolitik des BUND in Nordrhein-Westfalen Dirk Jansen, sowie einer betroffenen Aktivistin aus Lützerath gesprochen.
Dieser Beitrag ist Teil eines Dossiers zum Thema: Deutschlands Energieabhängigkeit. Falls du mehr über die Thematik erfahren möchtest, kannst du den anderen Dossierbeitrag Ist Windkraft die Zukunft für Deutschland? lesen.