Unterricht im Zeitalter der Digitalisierung

Das digitale Klassenzimmer

Ein Tablet inmitten von Schulheften und Mäppchen – ganz normal am Schickhardt-Gymnasium.
19. Febr. 2019

Aus dem Alltag ist sie nicht mehr wegzudenken. Jetzt befindet sie sich auf dem Vormarsch in die Schulen: die Digitalisierung. Im Rahmen des Projekts „tabletGYM“ wurden einige Schulen im Land mit Tablets ausgestattet. Doch wie gut funktioniert der Unterricht im digitalen Klassenzimmer?

Acht Uhr morgens am Schickhardt-Gymnasium in Stuttgart. Das Klingeln ertönt. Die Schüler setzen sich in Bewegung Richtung Klassenzimmer. Innen angekommen, werden die Hefte und Mäppchen ausgepackt. Nach und nach werden iPads aus den Rucksäcken gezogen. Ein Knopfdruck und die Bildschirme leuchten auf. Der Unterricht beginnt.

Physik steht als Erstes auf dem Stundenplan. Die rund 20 Schülerinnen und Schüler der achten Klasse sollen mithilfe der iPads Erklärvideos zum Überthema Magnetismus drehen. Nachdem die Aufgabenstellung klar ist, beginnt das emsige Treiben. Die Gruppen versorgen sich mit Magneten und beginnen, ein Storyboard für ihre Videos zu erstellen. Rückfragen zum iPad gibt es keine. Das sei normal, meint der Physiklehrer Harald Hochwald. Die Technik lernen die Schüler nebenbei. Ganz nach dem Motto „learning by doing“. Die Lehrer waren beeindruckt davon, wie mühelos die Schüler sich das technische Knowhow aneigneten, berichtet Hochwald.

Tablets im Unterricht

Seit einem knappen Jahr nutzt jeder Schüler der 8b ein iPad. Das Schickhardt-Gymnasium ist Teil des Tablet-Projekts „tabletGYM“, das vom Kultusministerium initiiert wurde. Von 2016 bis 2021 werden hierbei 14 Versuchsschulen mit Tablets ausgestattet. Diese gingen im ersten Jahr jeweils an zwei siebte Klassen, die die Tablets dann bis zur neunten Klasse behalten dürfen. Ein Jahr später wurden zwei weitere siebte Klassen mit Tablets ausgestattet. So hat jede der 14 Schulen vier Tablet-Klassen, die an dem Projekt teilnehmen. Demgegenüber stellt man 14 Gymnasien ohne Tablets als Kontrollgruppe. Die Tablets werden fächerübergreifend eingesetzt und kommen in Mathe, Geschichte, Englisch und den Naturwissenschaften zum Einsatz.

Physiklehrer Harald Hochwald sieht in dem Einsatz von Tablets im Unterricht eine Chance, den Schülern, zusätzlich zum normalen Unterricht, technische Kernkompetenzen zu vermitteln. Und mit der Technik kennen sich die Achtklässler aus. In kurzer Zeit haben sie ihre Versuche aufgebaut und das Video abgefilmt. Als die Schüler ihre Erklärvideos abgedreht haben, beginnt der Vergleich: „Wir waren schon nach einer Minute fertig“, tönt eine Gruppe. Dann gehen die Schüler über zum Schnitt. Das geschieht mithilfe von iMovie. Dieses Tool kennen die Kinder mittlerweile zur Genüge. Innerhalb von wenigen Minuten ist das Video geschnitten. Verzerrte Stimmen erklingen im Raum. Diejenigen die ihr Video fertig geschnitten haben, probieren die Special Effects der App aus.

Der Akku lässt langsam nach und die ersten Powerbanks werden ausgepackt. Die sind hier so essenziell wie die Mäppchen. Analog und digital läuft nebeneinander her. Und das ist auch das Ziel.

„Wir wollen die alten Methoden nicht einfach ersetzen. Das Tablet ist lediglich eine moderne Methode, die ergänzend punktuell eingesetzt werden kann.“

Harald Hochwald

 

Verbessertes Lernen durch Tablets?

Das Ziel des Tablet-Projekts ist es, festzustellen, ob der Unterricht durch den Einsatz des Tablets tatsächlich verbessert werden kann. Um das herauszufinden, untersucht die Universität Tübingen, die den Versuch wissenschaftlich auswertet, das Projekt auf zwei Schwerpunkte. Hierbei soll zum einen festgestellt werden, wie die Tablets eingesetzt werden und welche Auswirkungen das auf das Lehr- und Lernverhalten hat. Zum anderen soll überprüft werden, wie man die Tablets anwenden könnte, um den Unterricht zu verbessern in Hinblick auf die Lehr- und Lernprozesse. Um das herauszufinden, führt jeder teilnehmende Lehrer ein Reflexionstagebuch.

Das Ziel von Hochwald ist es, seine Schüler möglichst gut auf das immer digitaler werdende Berufsleben vorzubereiten. Durch den sicheren Umgang mit den Tablets und den Tools die das iPad mit sich bringt, sieht Hochwald seine Schüler hier im Vorteil.

Die Klingel ertönt erneut. Als Nächstes auf dem Plan: Mathe. Die Lehrerin Marion Kienzler fragt mit einem kurzen Quiz das Wissen der Schüler ab. Das Quiz findet aber nicht etwa auf Papier statt, sondern wurde mithilfe einer App erstellt. An die Wand projiziert kann jeder die Fragen sehen. Einmal in der App eingeloggt, kann jeder über das iPad am Quiz teilnehmen. Nach jeder Frage wird angezeigt, welche Antwortmöglichkeit wie oft ausgewählt wurde. Diejenigen die richtig antworten, sammeln Punkte und ihre Namen erscheinen in einer Rangliste auf der großen Leinwand. Der Lärmpegel steigt. „Diese Art des Quiz weckt den kompetitiven Charakter der Schüler. Jeder will der Beste sein“, meint die Lehrerin.

Ein Stuhl wird zurückgeschoben und ein Schüler springt auf.

„Ja, jetzt bin ich der Erste!“

„Wer hatte die Frage denn falsch?“

„Das weiß ich!“

„Niemand darf die Antwort sagen!“

Als das Quiz vorbei ist, ist die Klasse nur schwer zu beruhigen. Viele schalten ihre Tablets auch nach mehrmaliger Aufforderung nicht aus.

„Wenn ihr eure Tablets jetzt nicht ausschaltet, mache ich das für euch“, droht Kienzler.

Die Drohung wirkt. Die Tablets werden sofort umgedreht auf die Tische gelegt. Die iPads können jederzeit von der betreuenden Lehrkraft gesteuert werden. Ob simultanes Sperren oder das Abspielen desselben Videos – die Lehrer können von ihrem Tablet die der Schüler steuern. „So behalten wir Lehrer die Kontrolle.“, erzählt Kienzler. Zudem ist auf dem Gerät der Jugendschutz von Apple aktiviert und die Schüler haben nicht die Möglichkeit, selbstständig Apps zu installieren. Das soll dafür sorgen, dass die iPads ausschließlich für schulische Zwecke genutzt werden – auch wenn die Kinder die Tablets in der vierjährigen Laufzeit des Projekts dauerhaft von der Schule geliehen haben und sie so selbst in den Ferien mit nach Hause nehmen dürfen.

Kontrollverlust

Die Kontrolle seitens der Lehrer, die in der Schule existiert, löst sich aber in Luft auf sobald die Schüler zuhause sind. „Einige Eltern fürchten sich vor einem Kontrollverlust“, berichtet Kienzler. „Sie haben das Gefühl, durch das Tablet als zusätzliches Medium das Mediennutzungsverhalten ihrer Kinder nicht mehr kontrollieren zu können.“ Auch die Lehrer können diese Angst nicht nehmen. „Da muss jede Familie einen eigenen Weg finden, wie man zuhause damit umgeht“, rät die Mathelehrerin.

Harald Hochwald sieht ein weiteres Problem in der längerfristigen Nutzung der Tablets: die Finanzierung. Jeden Schüler einer jeden Klasse einer jeden Schule mit Tablets auszustatten, hält er für unmöglich.

Die Tablet-Nutzung bringt Probleme mit sich

Neun Uhr morgens im Kultusministerium in Stuttgart. Das Land ist sich dem Wunsch nach mehr Digitalisierung in den Schulen bewusst. Dabei wird schnell klar: Die Finanzierung ist das kleinste Problem.

Eine Schule mit einigen Klassensätzen an Tablets auszustatten, sei nicht die Schwierigkeit, berichtet Thomas Menzel, Ansprechpartner für das Tablet-Projekt. Sobald es aber zur digitalen Aufrüstung käme, müsste unter anderem erst einmal der Unterricht von den Lehrkräften didaktisch angepasst werden.

„Unterricht wie man ihn bisher kannte, kann nicht eins zu eins kopiert werden, wenn man das Tablet mit ins Spiel bringt.“

Thomas Menzel

Die Nutzung von Tablets im Unterricht bringt weitere Schwierigkeiten mit sich. Denn es fehlt nicht nur an der passenden Didaktik. Es fehlt auch an vielen Schulen an der notwendigen Infrastruktur, wie beispielsweise einer ausreichend schnellen Internetanbindung. Die Schulen, die am Tabletprojekt teilnehmen, haben hier eigene Lösungen gefunden. Diese Organisationsstrukturen sind aber an die Rahmenbedingungen vor Ort angepasst und lassen sich somit nicht problemlos auf andere Schulen übertragen. Außerdem fehlt es an ausreichenden, entsprechend ausgebildeten, Lehrkräften. Das Land weiß das. Doch all diese Dinge anzugehen, braucht Zeit. „Es ist ein Prozess“, meint Menzel. „Es muss einiges geändert werden, aber so etwas geht nicht von heute auf morgen“. Dass das Tablet in naher Zukunft flächendeckend in die Schulen des Landes einziehen wird, ist also unwahrscheinlich. Zunächst einmal liegt es ohnehin am Tablet-Projekt, herauszufinden, ob das Tablet im Unterricht überhaupt einen Mehrwert hat. 

Das Tablet als Alltagsgegenstand

Für die Achtklässler des Schickhardt-Gymnasiums ist der Umgang mit dem iPad mittlerweile alltäglich. Sie können mithilfe ihres digitalen Geschichtsbuches lernen und wissen mit den verschiedenen Apps und Tools des Tablets umzugehen. Und während die Schüler das Tablet nach Ablauf der Projektphase wieder abgeben müssen, darf die Schule die iPads behalten und, sofern möglich, weiterhin punktuell einsetzen.

Kurz vor 13:15 Uhr am Schickhardt-Gymnasium. Die Klasse packt ihre Mäppchen, Hefte und iPads wieder ein und wartet auf das erlösende Läuten der Schulglocke. Das Klingeln ertönt. Die Tablet-Klasse geht nach Hause.