„Wie oft masturbieren Sie täglich? Und wenn Sie den Körper eines Mannes haben, ziehen Sie dabei Frauenunterwäsche an, um sich zu stimulieren?"
Das Gesetz der Fremdbestimmung
Als nicht binäre Trans*-Person identifiziert sich Maya nicht ausschließlich mit dem „weiblichen“ oder „männlichen“ Geschlecht. Mayas erste Begegnung mit dem Transsexuellengesetz (TSG) kam durch den Wunsch, eine Hormontherapie zu beginnen, zustande. Denn dafür müssen zwei unabhängige Psycholog*innen Mayas Trans*identität bestätigen. So kam es zu der ersten Erfahrung mit einer Therapeutin. Nach einem halben Jahr Therapie verwehrte sie Maya die Bestätigung der Trans*identität. „Ich fühlte mich sehr vor den Kopf gestoßen, enttäuscht und einfach überwältigt. Auch von der Perspektive, die ich dann hatte“, erzählt Maya. In den Augen vieler Therapeut*innen wurde Mayas Geschlechtsidentität immer wieder als uneindeutig eingestuft. Maya fühlte sich wie in einer Verhörsituation. Nach dieser schlechten Erfahrung suchte Maya ein Jahr lang nach keinen weiteren Psycholog*innen. Maya ist nur eine von vielen Trans*-Personen, die sich durch das TSG mit gesetzlich psychologischen Gutachten auseinandersetzen müssen. Im Kern der Kritik steht die Frage: Inwieweit können Trans*-Personen selbst über ihre eigene geschlechtliche Identität entscheiden?
Trans*
ist eine Bezeichnung für Menschen, die sich nicht mit ihrem biologischen Geschlecht identifizieren. Der Stern am Ende des Wortes dient als Hinweis, dass es nicht nur die Geschlechter „männlich“ und „weiblich“ gibt. Von der Begrifflichkeit der Transsexualität distanziert sich die LGBTQIA+-Community, denn die eigene Geschlechtsidentität hängt nicht mit dem Menschen zusammen, den man liebt.
Geschlechtsidentität ist ein Spektrum
Menschen, die trans* sind, können sich klassisch als „männlich“ oder „weiblich“ identifizieren. Es gibt aber auch Trans*-Menschen, die sich zwischen den beiden Geschlechtern sehen (genderqueer), sich beiden Geschlechtern zugehörig fühlen (bigender) oder sich gar keinem Geschlecht zugehörig fühlen (agender oder non binary).
Politische Debatte um die Abschaffung des TSG
Der Bundesrat fordert in einem Beschluss aus dem Jahr 2017 die Bundesregierung dazu auf, das TSG abzuschaffen. Vor allem die Abschaffung der teuren und unnötigen Begutachtungspflicht für eine Vornamens- und Personenstandsänderung, ist zentrales Element der Forderung. Unter einer Personenstandsänderung versteht man die Änderung des amtlichen Geschlechtseintrags zu dem Geschlecht, mit dem sich Trans*-Menschen identifizieren. Am 19. Mai 2021 stellten Grüne und FDP zwei Gesetzentwürfe vor, die das TSG durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzen sollten. Grünen-Politiker Sven Lehmann kritisierte in einem Interview mit der Tagesschau, dass die Vornamens- und Personenstandsänderung nicht von psychologischen Gutachten abhängig gemacht werden sollte. „Wie oft masturbieren Sie täglich? Und wenn Sie den Körper eines Mannes haben, ziehen Sie dabei Frauenunterwäsche an, um sich zu stimulieren?“, beschreibt Lehmann die Fragen, die Trans*-Personen aufgrund der Gutachten beantworten müssen. „Da ist sehr viel Fremdbestimmung in diesem Gesetz und deswegen finden wir, dass es endlich überwunden und durch ein modernes Selbstbestimmungsgesetz ersetzt werden soll“. Im Fokus stehen die Unterstützung durch Beratung, durch Aufklärung und gute Gesundheitsleistungen. Der Bundestag lehnte den Antrag ab. CDU, SPD und AfD stimmten dagegen.
Verfahren führen zu Fremdbestimmung
Prof. Dr. Udo Rauchfleisch arbeitet seit 40 Jahren mit Trans*-Menschen. Er ist klinischer Psychologe und Psychotherapeut der Fachrichtung Psychoanalyse. In einem Podcast mit dem Bildungsinstitut für Soziales und Gesundheit spricht er über Trans*identität. Er kritisiert die Verfahren, die Betroffene durchlaufen müssen. Für den Psychologen sei keine Gruppe in unserer Gesellschaft so fremdbestimmt wie Trans*-Menschen. Für hormonelle Behandlungen, für chirurgische Angleichungen, für Vornamens- und Personenstandsänderungen benötigen sie Gutachten. Rauchfleisch befürchtet, Betroffene könnten auf Fachleute stoßen, die altertümliche Vorstellungen haben. Die Leitlinien in Deutschland empfehlen, hätten aber keinen bindenden Charakter. Das mache es schwierig, äußert der Psychologe. „Das unselige Transsexuellengesetz, welches schon in sich zerbröckelt ist“, brauche Veränderungen oder solle aufgegeben werden, fordert Rauchfleisch. Der Schritt müsse für Trans*-Menschen leichter, unbürokratischer und weniger fremdbestimmt werden. Mehrere Paragraphen des TSG wurden bereits vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) als verfassungswidrig erklärt. Bisher hält das BVerfG die Begutachtung als objektiven Nachweis der Geschlechtsidentität für verfassungsgemäß.
Frage nach der Relevanz
Jonas durchlief 2018 sein Verfahren zur Personenstandsänderung. Die Gutachter*innen stellten ihm viele Fragen über den weiblichen Zyklus. Ihm fiel es schwer, sich immer wieder mit den Fragen auseinandersetzen zu müssen. Vor allem, wenn man die Periode nicht mehr bekomme oder nicht mehr bekommen möchte, solle man nicht immer darüber reden müssen, äußert Jonas. Die Gutachter*innen gaben ihm nicht das Gefühl, böse Absichten zu verfolgen. „Aber ich brauche niemanden, der mir sagt, wie ich heiße oder was für einen Geschlechtseintrag ich bevorzuge“. Trotzdem war die Angst davor, etwas Falsches zu sagen, stets präsent. Die Person, die ihm gegenübersaß, sollte entscheiden, ob er seinen Vornamen und Personenstand ändern lassen darf oder nicht. Jonas ist es wichtig, die Kritik auf das Verfahren zu lenken und nicht auf die Gutachter*innen. Durch seine Erfahrung hatte er eher das Gefühl, die Gutachter*innen würden den dazukommenden Aufwand aufgrund des Gesetzes als lästig empfinden.
Die Trans*-Community betont aber auch die Wichtigkeit einer angemessenen Betreuung. Eine Therapie hilft, eine Situation besser zu bewältigen – im Gegensatz zu den Gutachten, die zu einer Fremdbestimmung der Geschlechtsidentität führen. In der Zeit des Coming Outs und der ersten Hormontherapie, aber auch in der Phase der langwierigen Operationen würden mehr Schwierigkeiten auftreten als erwartet, findet der Verein TransMann e.V. In solchen Phasen könne es für Betroffene sinnvoll sein, sich an eine*n Psycholog*in zu wenden. Dabei sollte die Aufarbeitung von Problemen im Mittelpunkt stehen.
Kommt dieses Jahr das Selbstbestimmungsgesetz?
Im Koalitionsvertrag der SPD, FDP und Grünen steht: „Wir werden das Transsexuellengesetz abschaffen und durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzen“. Ein Verfahren beim Standesamt genügt, um die Vornamens- und Personenstandsänderung per Selbstauskunft möglich zu machen. Auch Aufklärungs- und Beratungsangebote sollen mit dem Gesetz kommen. Trans*-Menschen sollen ab dem Alter von 14 Jahren selbstbestimmt und ohne Angaben von Gründen diese Änderungen vornehmen. Der Queer-Beauftrage der Bundesregierung Sven Lehmann möchte zügig agieren und das TSG noch bis Jahresende abschaffen. Die Bundesministerien für Justiz und für Familie würden bis zum Sommer Eckpunkte für ein Selbstbestimmungsgesetz vorlegen, teilt er in einem Gespräch mit der FAZ mit. Die psychische Unterstützung und Beratung von Trans*-Menschen sind dem Queer-Beauftragten wichtig. „Ich bin für einen Rechtsanspruch auf Beratung. Das steht in unserem Gesetzentwurf drin. Rechtsanspruch, überall in Deutschland Beratungsstellen aufzusuchen, um sich da wirklich mit den Eltern, mit Erziehungskräften beraten zu lassen“.
Psychologe Udo Rauchfleisch, Queer-Beauftragter Sven Lehmann und Stimmen aus der Trans*-Community wie Maya und Jonas sind sich einig: die psychologischen Gutachten, die im TSG verankert sind, führen zu einer Fremdbestimmung der eigenen Geschlechtsidentität. Einen ersten Ausblick zur Veränderung soll das Selbstbestimmungsgesetz bieten. Ob dieses Jahr wirklich das TSG dadurch ersetzt wird, ist noch unklar. Trans*-Menschen erwarten das Gesetz hoffnungsvoll, um selbstbestimmt und frei von psychologischen Gutachten ihren Vornamen und den Personenstand ändern zu können.