Dick ist kein Gefühl
„Ich fühle mich heute irgendwie so dick“, sagt meine Freundin, während sie unzufrieden in den Spiegel schaut. Autsch, das tut weh. Ich fühle mich auf einen Schlag unwohl und zupfe an meinem Oberteil, um meinen Bauch zu verstecken. Wie kann man sich dick fühlen, vor allem, wenn man schlank ist? Ich weiß nicht mehr, wie oft ich solche Dinge schon gehört habe und trotzdem versetzt es mir jedes Mal den gleichen Schlag und die gleiche Unsicherheit. Was genau meint sie damit? Wäre es denn so schlimm so auszusehen wie ich? Sie schaut mich an. „Also, zu dir passt das mit dem Dick irgendwie, aber ich selbst würde niemals dick sein wollen!“
Ich passe nicht in diese Welt
Schon seit ich denken kann, bekomme ich durch verschiedene Umstände immer wieder vermittelt, dass etwas an mir falsch ist. Dass mein Körper falsch ist. Ich habe zum Beispiel nie eine dicke Person im Fernsehen gesehen und wenn, dann waren die Rollen immer sehr klischeehaft. Sie treten dort meistens als „fat funny friend“ auf. Heißt, sie spielen immer lachhafte, ungeschickte, nicht sehr intelligente Rollen, die keine eigene Geschichte haben. Die zweite Variante ist, dass sie super unglückliche Charaktere sind, die irgendwann ein Glow Up haben, indem sie abnehmen.
Aber auch in der Modeindustrie ist kein Platz für dicke Leute. Als ich noch jünger war, mochte ich es nicht, Klamotten kaufen zu gehen. Ich habe damals zwar nicht verstanden, warum ich keine Klamotten finde, aber ich habe bemerkt, dass es so ist. Während meine Schwester jedes Mal unzählige Sachen mit nach Hause nehmen konnte, saß ich nur daneben und habe zugeschaut. Es ist schwer, in solchen Situationen nicht den Fehler bei sich selbst zu suchen, sondern zu realisieren, dass unsere Gesellschaft das Problem ist. Es gibt in Läden keine Klamottengrößen für dicke Menschen und auch online ist die Auswahl sehr klein. Dazu kommt dann noch, dass die Kleidung für dicke Menschen „vorteilhaft“ gestaltet ist. Das heißt, keine auffälligen Muster, keine bunten Farben, nichts Kurzes, nichts Enges. Hauptsache es versteckt möglichst gut meinen dicken Körper, den ich auf keinen Fall zeigen sollte.
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Dieses Gefühl von Scham, falsch sein, sich klein machen oder sich verstecken zu müssen, wird dicken Menschen überall immer wieder aufgezwungen. Wir müssen uns sogar klein machen, wenn wir ins Kino gehen, mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fahren, Flugzeug fliegen oder Auto fahren. All diese Dinge sind auf schlanke Körper ausgelegt und wenn du dick bist, dann heißt es „schlank machen“, denn du möchtest ja nicht noch den Bussitz einer weiteren Person belegen. Egal wo oder wie ich mich bewege, wird mir wortwörtlich vermittelt, dass ich nicht in diese Welt passe.
Dick ist kein Gefühl…
„Ich fühle mich heute schlank“. Das klingt irgendwie komisch und was ich damit sagen möchte, würden viele Menschen nicht verstehen, denn schlank ist eine Körperform und kein Gefühl. „In den Klamotten fühle ich mich richtig dick“, „Auf dem Foto sehe ich so dick aus“, „Ich fühl mich heute irgendwie richtig dick“. Bei diesen Sätzen werden die meisten verstehen, dass es nichts Gutes bedeutet. Obwohl auch dick nur eine Körperform ist, verwenden wir sie oft, um negative Gefühle und Unwohlsein auszudrücken. Sprache ist ein wesentlicher und wichtiger Bestandteil unserer Gesellschaft und auch mit ihr können wir andere Menschen diskriminieren oder zumindest die Stigmatisierung ihnen gegenüber begünstigen. Seit ich denken kann, habe ich noch nie mitbekommen, dass „dick“ in einem positiven Kontext stand. Was sagt es mir über meinen Körper, wenn er als Synonym für hässlich und negative Gefühle gilt? Oder viel eher: Wie könnte ich es schaffen, meinen eigenen Körper nicht zu hassen, wenn mir doch überall gesagt wird, dass alle anderen dicke Körper hassen?
Anstatt dicke Körper zu nutzen, um auszudrücken, dass uns die Klamotten nicht gefallen oder wir uns heute unwohl fühlen, sollten wir unsere Gefühle als das bezeichnen, was sie sind. Denn mein Körper ist nichts, wofür man sich schämen oder schlecht fühlen müsste und deine negativen Gefühle haben nichts mit mir zu tun!
…sondern eine Lebensrealität
Dick ist kein Gefühl, vor allem kein Schlechtes. Ich habe lange gebraucht, um das zu realisieren. Dick sein ist meine Lebensrealität. Es ist das, was mich jeden Tag begleitet, egal ob ich es will oder nicht. Es entscheidet darüber, wie andere Menschen mich behandeln. Fettfeindlichkeit ist mehr, als nur Bodyshaming. Fettfeindlichkeit ist Diskriminierung, die mir überall begegnet. Egal ob in der Film- und Modeindustrie oder in meinem Alltag. Auch unser Gesundheitssystem ist fettfeindlich. Die Diskriminierung in der Medizin sorgt dafür, dass die Beschwerden von dicken Menschen von Ärzt*innen nicht ernst genommen werden und viele sich gar nicht mehr trauen einen Termin auszumachen.
Fettfeindlichkeit sorgt ebenfalls dafür, dass vor allem dicke Frauen, schlechter bezahlt werden (Weight Pay Gap), als schlanke Menschen und nicht so leicht Jobs bekommen (Untersuchung der Universität Tübingen 2012). Und obwohl wir eigentlich längst wissen sollten, dass unser Aussehen recht wenig mit unserer Person, unserem Körperwohl oder unserem Können zu tun hat, ist die Stigmatisierung und Diskriminierung tief in den Köpfen der Menschen verankert. Das wird auch so bleiben, wenn wir nicht anfangen, diskriminierende Strukturen zu hinterfragen und sie durch unser Handeln und unsere Worte zu reproduzieren. Vielleicht schaffen wir es dann, dass „dick“ irgendwann einfach nur noch eine Körperform sein wird.