„Um eine Fanbase aufzubauen, ist Spotify ein elementarer Baustein, (…) deshalb ist man da als Künstler auch definitiv drauf angewiesen.“
Die Playlist zum Erfolg
Es ist Freitagmorgen, kurz nach Mitternacht. Musikerin Felicia Lu scrollt auf ihrem Handy durch Spotifys frisch aktualisierte Playlists. Sie möchte unbedingt wissen, ob es ihre brandneue Single „Wish You Well” auf eine große Liste geschafft hat. Aktuell läuft es ziemlich gut bei ihr. Anfang März wurde sie Vierte beim deutschen Vorentscheid für den Eurovision Song Contest und auf Spotify hören monatlich etwa 190.000 Menschen ihre Musik. Dieser gute Lauf setzt sich bei den Playlists weiter fort. In „New Music Friday Deutschland“ und „New Music Friday Schweiz” findet sie ihre neue Single. Für sie ist es „jedes Mal ein großer Freudenmoment, wenn man es auf eine Spotify-Playlist schafft.“
Mit „Spotify-Playlist“ sind keine privaten Listen gemeint, die jede mäßig technikaffine Sechzigjährige für ihre Geburtstagsfeier erstellen kann. Felicia Lu geht es um die wenigen Playlists, die das schwedische Unternehmen in seinen eigenen Musikredaktionen zusammenstellt. Diese nehmen eine immer wichtigere Rolle in der Musikindustrie ein. Einige haben Millionen Likes und sogar Radiosender orientieren sich an ihnen. Die begrenzten Plätze auf den Listen sind jedoch hart umkämpft.
Natürlich erstellen auch andere Streaming-Portale solche Playlists. Und auch auf Spotify gibt es Listen mit hunderttausenden Likes, die von eigenständigen Organisationen und Labels erstellt werden. In der absoluten Reichweite ist Marktführer Spotify aber nicht zu überbieten. Felicia Lu meint dazu: „Um eine Fanbase aufzubauen, ist Spotify ein elementarer Baustein, (…) deshalb ist man da als Künstler auch definitiv drauf angewiesen.“
Wird ihr Song im Radio gespielt, verdient sie zwar mehr Geld, ihre Zielgruppe erreicht sie aber besser über Streaming-Portale. Felicia Lu macht den Großteil ihres Marketings selbst und weiß ziemlich genau, wie sie es schafft, von möglichst vielen Leuten gehört zu werden. Über das Tool „Spotify for Artists” pitcht sie ihre unveröffentlichten Songs direkt an die Musikredaktion von Spotify. Anschließend muss sie warten, bis der Song veröffentlicht wird, bervor sie einen neuen pitchen kann. Deshalb veröffentlicht Felicia Lu hauptsächlich Singles. Sie meint: „Gerade als Newcomer kann man kein Album mit 13 Songs und ohne Singles releasen. Das hört sich einfach keiner mehr an.“ Der Pitch selbst funktioniert über ein Online-Formular, das sowohl Kinderzimmer-Produzent*innen als auch das Marketing von Weltstars ausfüllen müssen. Es geht um Basis-Informationen wie das Genre, die Stimmung und die Sprache des Songs. Am wichtigsten ist Felicia aber ein kleines Textfeld, in dem sie ihren Song beschreiben kann. „Das ist quasi deine 'eine Minute', in der du erzählen kannst: 'Wovon handelt der Song? Was macht ihn so besonders? Wie ist die Marketingstrategie?'“
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Alle Angaben, die Felicia macht, werden von einem System bei Spotify ausgewertet und vorsortiert. Sie müssen möglichst spezifisch sein, um sich gegen hunderte andere Pitches pro Woche durchzusetzen.
Wie die Playlists erstellt werden
Wenn das klappt, landet sie beim Team von Conny Zhang. Sie leitet das Musikgeschäft bei Spotify für den deutschsprachigen Raum und beginnt unser Interview mit den Worten: „Happy New Music Friday!“ Zhang ist unter anderem für das „editorial-Team“ zuständig, das die Playlists bestückt. Gerade mal vier Personen sind das für Deutschland, Österreich und die Schweiz. Für den Job muss man nicht nur viel über Musik und die Szene wissen, sondern auch gut mit Daten umgehen können. Anonymisiert sieht das Team, welcher Song häufig gespeichert – und welcher häufig übersprungen wird. Bei bekannten Acts gibt es sogar mathematische Modelle, die vorherzusagen versuchen, wie gut ein Song bei den Leuten ankommt. Landet ein Song deshalb ganz oben auf einer Liste, steigen natürlich auch die Chancen, dass er erfolgreich wird.
Ob es ein Song in eine Playlist schafft, hängt aber auch von anderen Faktoren ab. Hauptsächlich muss er zu dem passen, was Zhang die „Hypothese der Playlist“ nennt. Damit ist gemeint, dass jede Liste einen bestimmten Zweck erfüllt, ein Genre bedient oder eine spezielle Stimmung transportiert.
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Für Zhang spielt bei „Hot Hits Deutschland“ die Popularität des Songs eine größere Rolle als bei Listen wie „Van life“. „Da ist es eher wichtiger, dass der Flow gut ist und die Stimmmung gut abgedeckt wird.“ Theoretisch kann also sogar ein deutscher Song auf einer internationalen Playlist landen, wenn er eben zum Profil der Liste passt. Dafür stehen die weltweit etwa 140 Spotify-Kurator*innen in regelmäßigem Austausch. Internationale Playlists haben nochmal deutlich höheren Einfluss als nationale. „Today’s Top Hits“ zum Beispiel folgen über 30 Millionen Menschen. Hier zu landen ist bares Geld wert.
Von den großen, internationalen Playlists ist Felicia Lu noch weit entfernt. Wenn sie es in das untere Drittel einer großen deutschen Liste schafft, gehen ihre Streaming-Zahlen zwar etwas nach oben, es geht ihr aber vor allem um die Chance, neue Fans zu gewinnen. Wenn jemand über eine Playlist auf sie stößt, hört er sich vielleicht noch ihre anderen Songs an oder packt sie in seine eigene Liste. Außerdem sei es schön zu wissen, dass Spotify an sie glaube. Für Felicia Lu ist klar: „Spotify hat mittlerweile so eine Macht – wenn die dich regelmäßig auf eine Playlist setzen, können die einfach deine Karriere machen."
„Spotify hat mitlerweile so eine Macht – wenn die dich regelmäßig auf eine Playlist setzen, können die einfach deine Karriere machen."
Das sieht Conny Zhang etwas nüchterner. Natürlich gäbe es Förderprogramme wie „Radar“ oder „Fresh Finds“, mit denen man kleine Acts unterstützen möchte. In der Mehrheit der Playlists richte man sich aber nach den Bedürfnissen der User*innen. So wolle man auch sicherstellen, dass die Playlists fair zusammengestellt werden. Entscheiden zu können, wer ganz oben auf der Liste landet, gibt ihrem Team selbstverständlich eine starke Machtposition in der Musikindustrie. Das Editorial-Team hat deshalb laut Zhang auch keinen direkten Kontakt zu Acts oder Labels. Sie sagt: „Wir wollen demokratisch und für jeden zugänglich sein.“ Dabei werden die meisten Playlists genau da spannend, wo es nicht um Daten und Popularität geht. Bei unbekannten Songs und Newcomer*innen ging es schon früher um das Bauchgefühl in den Musikredaktionen der Radiosender – heute um das der Playlist-Teams.
Auf deren Unterstützung hofft Felicia Lu weiterhin. Das ganze Pitching, die Streams und die Reichweite sind nämlich essenziell, um von vielen Leuten gehört zu werden. Im Kern geht es ihr aber um etwas anderes: „Im Endeffekt bin ich Musikerin. Ich will einfach nur da sitzen, Songs schreiben und Musik machen."