Die Stadt will Klima machen
Heiß dürfte es in Stuttgart werden. Der Sommer, immer länger. Rund 79 Tage, an denen es über 25 Grad hat. Bisher sind im Durchschnitt zwischen 9 und 12 Tage normal. Abkühlung wird es keine geben. Die Thermometer könnten an 58 Nächten immer noch über 20 Grad anzeigen. Frosttage bleiben aus. Temperaturen unter 0 Grad werden selten. Weiße Weihnachten ade. So berichten es Klimamodelle über die Stadt Stuttgart im Jahr 2095. Das Climate Service Center Germany, kurz GERICS, liefert Klimaausblicke für viele Städte in ganz Deutschland. Der Ausblick für Stuttgart könnte eintreten, wenn die Gesellschaft und Politik wirklich gar nichts mehr gegen den Klimawandel tun würde. Damit das nicht passiert, gibt es in Stuttgart einige Menschen, die etwas unternehmen wollen.
Eine Lage mit Herausforderungen
Die Stuttgarter Innenstadt wird nicht einfach so liebevoll als Kessel bezeichnet. Sie ist im wahrsten Sinne ein Kessel. Innerhalb Stuttgarts gibt es Höhenunterschiede von rund 300 Meter. Die Innenstadt liegt ganz unten und ist umgeben von Höhenlagen. Das sorgt dafür, dass sich dort die Wärme am meisten staut, durch die Ränder kommt sehr wenig Wind in die Innenstadt. Es entsteht ein sogenannter Wärmeinseleffekt. Das bedeutet, die Lufttemperatur in Stuttgart ist tendenziell um einiges höher als im Umland. Aufgrund der starken Bebauung in Stuttgart können auch andere Wetterelemente, wie Wind, Niederschlag und Strahlung beeinflusst werden und anders ausfallen als im Umland.
Nicht nur die Kessellage könnte sich als Herausforderung erweisen, sondern auch die Nähe zum Neckar. Die Landesanstalt für Umwelt, kurz LUBW, fand in einer Studie aus dem Jahr 2022 heraus, dass Metropolregionen an Flüssen in Gefahr sein könnten. In Zukunft könnten, besonders im Winter, Starkregenereignisse zunehmen. Die LUBW fand heraus, dass Regionen an Flüssen somit häufiger überflutet werden- vor allem im Winter. Diese Lage stellt die Stadt vor Herausforderungen. Es müssen maßgeschneiderte Lösungen gefunden werden.
Klimaneutralität bis 2035
Pläne, um die Effekte des Klimawandels zu mindern, hat die Stadt Stuttgart bereits aufgestellt. Von 2019 bis Ende 2023 lief das Klimaaktionsprogramm. Dieses wurde vom Gemeinderat beschlossen und enthielt 50 Maßnahmen für mehr Klimaschutz in der Stadt. Gefördert wurde es durch 200 Millionen Euro aus Haushaltsüberschüssen des Jahres 2018. Fokus war eine schnellere Umsetzung der Verkehrs- und Energiewende. Lisa Krüger, stellvertretende Leiterin der Stabsstelle Klimaschutz bei der Stadt Stuttgart, beurteilt das Programm als erfolgreich. „Durch das Klimaaktionsprogramm hat sich richtig viel bewegt. Viele Projekte waren ein Jahr vor Ende des Programms bereits über ihrem Ziel“, sagt sie. Als Erfolge benennt sie, dass 25 Megawatt an Photovoltaik Leistung neu installiert wurden oder dass es mittlerweile 1200 neue Ladestationen für E-Autos in der Stadt gibt. Zusätzlich konnte das Projekt neue Personalstellen für Klimaschutz schaffen und dem Thema mehr Aufmerksamkeit schenken.
Noch während der Laufzeit des Klimaaktionsprogramms verschärfte Stuttgart seine Klimaziele. Bis 2035 möchte man klimaneutral sein, das heißt, die Stadt möchte alle Emissionen, die verursacht werden, ausgleichen. Vor dem Programm war die Klimaneutralität für 2050 geplant. Machbar sei das auf jeden Fall, aber es gehe nicht von alleine, meint Lisa Krüger. „Wir müssen dafür in allen Bereichen Tempo machen. Und das tun wir auch: Mit massiven neuen Investitionen ab diesem Jahr und erheblichen Anstrengungen auch bei der Stuttgarter Straßenbahnen AG, den Stadtwerken und der Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft mbH.” Grundlage für den neuen Klima-Fahrplan, wie es die Stadt nennt, ist eine Studie der Unternehmensberatung McKinsey, die im Auftrag der Stadt durchgeführt wurde. Diese zeigt 13 Maßnahmen auf, dass die Klimaneutralität machbar sein könnte, wenn sie von der Stadt zügig umgesetzt werden.
Klar sei für Lisa Krüger aber auch, dass die Stadt nicht alleine für das Erreichen der Ziele verantwortlich sei. „Die Stadt kann und muss unterstützen und fördern. Im Endeffekt kommt es aber auf die Menschen an, die in Stuttgart leben und arbeiten”, erklärt sie.
Die Klimaliste für den Gemeinderat
Eine Gruppierung, die etwas anpacken will und das auch politisch, ist die Wahlplattform Klimaliste 0711. Eine Wahlplattform bezeichnet eine Gruppe, in der alle das gleiche Ziel verfolgen, ohne einer gemeinsamen Partei anzugehören. Der aktuelle Plan der Klimaliste 0711 ist es, 2024 in den Stuttgarter Gemeinderat zu kommen. Die Idee entstand dadurch, dass die Gruppe Menschen eine Möglichkeit geben wollte, sich jenseits von Parteien zu organisieren und Stuttgart klimapositiver zu gestalten. Die Ziele der Klimaliste sind unter anderem der Ausbau des ÖPNV und Radverkehr, Begrünung der Stadt und natürliche Kühlung, weniger Autos in der Stadt, dafür aber mehr Superblocks, wie in Barcelona. Gleichzeitig wollen die Mitglieder aber auch das nächtliche Feiern sicherer machen, aber auch die Fortbewegung in der Stadt fördern. Die Pläne der Stadt Stuttgart halten sie für „größtenteils nicht konsequent genug“ oder „eindeutig nicht ausreichend“, sagt Danica Sattink. Sie gehört zur Klimaliste 0711 und engagiert sich dort schon länger. „Wir wissen, dass Klimaschutz viele Leute in Stuttgart bewegt und sie von der Klimapolitik der Grünen z.B. etwas enttäuscht sind”, sagt sie und rechnet der Klimaliste damit eine gute Chance an, in den Gemeinderat zu gelangen. Die Klimaliste finanziert sich über Spenden. Das Team besteht aus verschiedenen jungen Menschen. Das bekannteste Mitglied ist wahrscheinlich Stadtrat Christoph Ozasek.
„Wenn wir ganz ohne Grenzen träumen dürfen, dann ist da ein Stuttgart, dass wieder Wasser in der Stadt hat (durch Freilegung des Nesenbachs und Aufwertung des Neckars) und eine Stadt in der es brummt und summt, weil dem graue Beton nun Grünflächen gewichen sind“, sagt Danica Sattink. Zusätzlich könnte sich die Klimaliste auch eine Stadt vorstellen, in der man keine Angst mehr vor einem Hitzeschlag haben müsse, weil sie natürlich gekühlt werden würde oder auch eine Stadt, in der gegärtnert und geerntet wird. Angesprochen darauf, was sie für Tipps an Bürger*innen der Stadt habe, um jetzt schon etwas für den Klimaschutz zu tun, erwähnte sie mehr „Öffis“ zu fahren und sich für nachhaltige Alternativen zu entscheiden. „Uns ist allerdings wichtig zu betonen, dass Nachhaltigkeit in Stuttgart oft noch ein Zweiklassensystem ist, das sich nicht jeder leisten kann und wir primär die Stadt in der Verantwortung sehen, die Rahmenbedingungen für einen fairen Klimaschutz zu schaffen”, stellt sie am Ende klar.
Stuttgart hat bereits viel zu bieten
In Stuttgart gibt es schon genau solche Bürger*innen, die nachhaltige Angebote geschaffen haben.Eine kleine Auswahl. Dass die Lebensmittelverschwendung in Deutschland ein großes Problem ist, dürfte bereits jedem bekannt sein. Das Cafe Raupe Immersatt in Stuttgart probiert diesem entgegenzuwirken. 2016 entstand die Idee, ein Foodsharing Cafe in Stuttgart zu eröffnen. Im Juni 2019 eröffneten dann Jana, Simon, Max, Maike und Lisandro das Cafe am Hölderlinplatz. Das Besondere am Cafe ist, dass nur gerettete Lebensmittel angeboten werden. Die Lebensmittel stammen von einer Foodsharing-Organisation, die diese aus Bäckern, Supermärkten und Restaurants rettet. Zusätzlich dürfen auch Privatpersonen Lebensmittel vorbeibringen. Angeboten werden diese dann kostenlos, da das Cafe nicht von den Lebensmittelspenden profitieren will. Finanziert wird das Cafe über die angebotenen Getränken, die kostenpflichtig sind
Raus in den Garten zu gehen, ist für viele Stuttgarter*innen eine Traumvorstellung. Die Dichte der Stadt lässt es oft nicht zu, einen eigenen Garten zu haben. Bei diesem Problem kommt die Initiative „Inselgrün“ der Kulturinsel Stuttgart ins Spiel. Seit zwölf Jahren existiert der urbane Gemeinschaftsgarten im Neckarpark. Gegründet wurde eines der ersten Urban Gardening Projekte in Stuttgart von Wildkräuterexpertin Birgit Haas. Alle Menschen, die das Gärtnern vermissen oder ausprobieren wollen, sind willkommen. Neben dem Gärtnern steht auch die Bildung bei diesem Projekt im Vordergrund. Regelmäßig finden Workshops und Vorträge zu den verschiedensten Themen aus dem Bereich Nachhaltigkeit statt. Über das ganze Jahr hinweg können sich hier Interessierte den Garten quasi nach Hause holen.
Eine Sache, die sich viele Menschen immer wieder und sehr häufig auch nach Hause holen, ist Kleidung. Hier verhält es sich ähnlich wie bei der Lebensmittelverschwendung, die Deutschen kaufen sich immer häufiger zu viel neue Kleidung. Mit einem besonderen Konzept will die „Kleiderei” dem ein Ende setzen. Die Stuttgarter Kleiderei wird von Carina Breisch geleitet. Das Besondere an der Kleiderei: Es gibt Kleidung zum Ausleihen. Um im Laden etwas ausleihen zu können, muss man davor erst einmal Mitglied werden. Danach kann man sich pro Monat für 29 Euro vier bis sechs Kleidungsstücke aussuchen, mitnehmen und wieder austauschen. Wenn man zum Beispiel eine Winterjacke einen Winter lang tragen möchte und dann wieder zurückgeben will, ist das kein Problem. Wem ein Teil richtig gut gefällt, kann dieses natürlich auch kaufen. Ziel dahinter ist es, Kleidung länger zu tragen, Fehlkäufe zu vermeiden und die Lebensdauer eines Kleidungsstücks zu maximieren.