Gleich zum Anfang der Ausbildung hatte ich Blickkontakt mit einer Hebamme und sie hat mich richtig ignoriert. Sie schaute mich an und sagte einfach gar nichts.
Geburtshilfe ist auch Männersache
Ist es dir schwergefallen, den Kreißsaal zu verlassen?
Ja. Ich vermisse das auch immer noch so. Es juckt schon in den Fingern, wenn ich jetzt mit den werdenden Hebammen in den Kliniken arbeite. Ich überlege nach meinem Masterstudium wieder ein, zwei Dienste im Kreißsaal zu machen. Zurückzukommen.
Haben dich die schlechten Arbeitsbedingungen und die Bezahlung weggetrieben?
Ja, es waren tatsächlich diese beiden Faktoren. Die Arbeit ist natürlich unglaublich schön und bereichernd. Die Zeit, die man opfert, bekommt man aber nicht wieder. Freiberufliche Hebammen können von der Vergütung teilweise gar nicht mehr leben. Wir haben ganz viele Baustellen in diesem System, an denen wir jetzt arbeiten müssen, um nicht noch mehr Hebammen zu verlieren.
Was hat den Beruf für dich dann so besonders gemacht?
Für mich war es damals die Geburtsbegleitung. Der Kreißsaal war mein Steckenpferd. Mein Hoheitsgebiet. Bevor das Kind auf die Welt kommt, bemerkt man wirklich eine positive Anspannung im Raum. Gleich ist dieser stundenlange Schmerz erstmal weg. Das war für mich der faszinierende Hebammen-Augenblick.
Wie kamst du denn zu dem Beruf?
Ich bin durch meine Mutter, die lange Hebamme war, mit dem Beruf groß geworden. In unserem kleinen Landkreis in Brandenburg hatte die Hebamme nochmal einen anderen Stellenwert. Ich fand es faszinierend, dass die Hebamme nicht nur einen einmaligen Auftritt im Leben hat.
Also war es schon immer dein Traumberuf?
Erst musste ich ein Krankenpflegepraktikum machen. Das hat mich nicht angesprochen. Dann habe ich in den Sommerferien in Berlin ein freiwilliges Praktikum gemacht. Da habe ich gemerkt, dass das der Beruf ist, den ich machen möchte.
War es schwierig, ein Praktikum vor der Ausbildung zu bekommen?
Ja, im Berliner Raum gab es ganz viele Kliniken, die gesagt haben, man muss für ein Kreißsaalpraktikum mindestens 18 sein. Und dann ist es, gerade wenn man ein Mann ist, auch nochmal schwieriger. Es gibt immer noch Kreißsäle, die keine Männer möchten.
Wie haben Freunde und Mitschüler auf deinen Berufswunsch reagiert?
Es gab auch mal blöde Sprüche, ganz klar. Aber es überwog die Neugierde und nicht die pure Ablehnung.
Ist deine Ausbildung auch so positiv verlaufen?
Nicht ganz. Gleich zum Anfang der Ausbildung hatte ich Blickkontakt mit einer Hebamme und sie hat mich richtig ignoriert. Sie schaute mich an und sagte einfach gar nichts. Mit gerade frisch 17 Jahren und alleine von zu Hause weg macht das etwas mit einem. Was macht man da? Was hat man falsch gemacht?
Hat sie so reagiert, weil du ein Mann bist?
Ja. Manchmal habe ich gedacht: Das war irgendwie weird. Wieso ist das nur gegenüber mir so und nicht den anderen?
Warst du der einzige Mann in deiner Ausbildung?
In der Ausbildung ja und später im Berufsleben dann gar nicht mehr.
Wie haben die Frauen reagiert, wenn du in den Kreißsaal kamst?
Der Großteil war natürlich überrascht. Die meisten Frauen waren aber zufrieden und haben sich gefreut. Viele haben auch Dankeskarten geschrieben: „Erst war ich überrascht, aber im Nachhinein war es ganz unbegründet.“ Es kam auch vor, dass Frauen nicht von mir als Mann betreut werden wollten. Das war aber wirklich die Ausnahme. Meist hatte das kulturell-religiöse Hintergründe, aber ich habe auch schon ganz viele muslimische Frauen bei der Geburt betreut.
Versuchst du die männlichen Hebammen, die du unterrichtest, auf Vorurteile im Berufsleben vorzubereiten?
Tatsächlich haben wir bei mir an der Hochschule gerade keine männlichen Hebammen. Ich erlebe trotzdem, dass sich viel mehr Männer für den Beruf interessieren und an Hochschulen einschreiben.
Seit dem 1. Januar 2020 muss der Beruf der Hebamme studiert werden. Das Studium kann sowohl in Vollzeit als auch in Teilzeit absolviert werden und umfasst für Theorie und Praxis je mindestens 2.200 Stunden.
Quelle: Deutscher Hebammenverband
Findest du es sinnvoll, dass das Hebammenstudium verpflichtend ist?
Ich sehe das mit einem lachenden und weinenden Auge. Die Akademisierung war zwingend nötig, um einen Schritt vorwärts zu machen. Wir brauchen das, um finanzielle Anreize zu schaffen. Den Beruf als Wissenschaft zu etablieren, bringt Anerkennung und Wertschätzung. Zeitgleich war der sehr hohe praktische Anteil in der Ausbildung schön. Im Studium haben wir jetzt einen deutlich höheren Theorieanteil. Natürlich braucht man das im Studium. Man kann eben nicht alles haben.
Die Akademisierung war zwingend nötig, um einen Schritt vorwärts zu machen. […] Den Beruf als Wissenschaft zu etablieren bringt Anerkennung und Wertschätzung.
Warum hast du dich nach deiner Ausbildung noch für ein Studium entschieden?
Ich wollte noch etwas draufsetzen. Ich hätte auch nachqualifizierend Hebammenkunde machen können. Dann habe ich mich aber für die Medizinpädagogik entschieden, um meinen Horizont zu erweitern. Dadurch bin ich im Praktikum an diese Hebammenschule gekommen. Momentan mache ich meinen Master in Public Health mit dem Schwerpunkt Prävention und psychische Gesundheit. Dann bin ich erstmal durch mit der grundakademischen Struktur im Leben und schaue, wo die Reise noch so hingeht.
Wie sieht dein Alltag an der Hebammenschule aus?
Ich arbeite mit den werdenden Hebammen in Skills-Räumen. Wie bereite ich eine Infusion vor? Wie untersuche ich vaginal? Wie leite ich eine Geburt? Ich mache auch Praxisbegleitung direkt vor Ort in der Klinik. Wir schauen, was ansteht. Gibt es heute ein Geburtsplanungsgespräch? Eine Geburtsbegleitung? Ich schaue, wie die werdende Hebamme das macht. Welche Fähigkeiten wendet sie an? Was kann sie noch optimieren?
Was braucht man, um eine gute Hebamme zu sein?
Behutsamkeit und Empathie. Wissen und Erfahrung. Eine aufgeschlossene Persönlichkeit, die auf Menschen zugeht, sich in andere Personen hineinversetzen kann und Fingerspitzengefühl hat. Das sind Grundvoraussetzungen.