„Der beste Vergleich zu diesen Filmen sind Freizeitparks."
Alte Filme lohnen sich!
„Ich mache ihm ein Angebot, das er nicht ablehnen kann.“ Eines der bekanntesten Zitate der Filmgeschichte - das möchte man zumindest meinen. Als der Satz im letzten Sommerurlaub aufkam, habe ich meine Freunde gefragt, ob sie denn wüssten, woher diese ikonischen Worte stammen. Acht leere Gesichter starrten mich an. "Der Pate", der Kultfilm schlechthin, wurde dieses Jahr 50 Jahre alt und keiner meiner engeren Freunde hat ihn gesehen. Ältere Filme - so scheint mir - verschwinden leider zunehmend aus der öffentlichen Wahrnehmung. Meine Freund*innen schauen fast nur Neuerscheinungen. Ich versuche, mein Umfeld trotzdem immer wieder zu motivieren, alten Filmen eine Chance zu geben. „Kann ich mir nicht anschauen, da schlaf ich doch ein" oder „Schwarz-Weiß? Total langweilig“ sind die typischen Aussagen, mit denen ich bei meinen vergeblichen Filmempfehlungen konfrontiert werde. Aber warum ist das so? Warum wirken alte Filme auf meine Freund*innen langweilig? Und warum bin ich so ein vehementer Verfechter der alten Kunst?
Was ist ein alter Film?
Ab wann ein Film „alt“ ist, muss subjektiv bewertet werden. Ich selbst bezeichne einen Film als alt, wenn erkennbar ist, dass er unseren heutigen Sehgewohnheiten nicht entspricht. Zwar ist diese Entscheidung nicht kategorisch zu fällen, aber für mich ist das ab Mitte der 70er-Jahre zunehmend erkennbar. In dieser Zeit hat sich unter anderem das Highspeed-Objektiv durchgesetzt, das Filmemacher*innen erlaubt, mit der Schärfe zu spielen und das für die heutige Kino-Optik verantwortlich ist.
Schneller = besser?
Untersuchungen des US-amerikanischen Kognitionswissenschaftlers James E. Cutting belegen, dass sich das Medium Film in den vergangenen Jahrzehnten stetig verändert hat. In einer Studie hat er 160 erfolgreiche englischsprachige Filme aus den Jahren 1935 bis 2010 unter die Lupe genommen. Unter anderem hat er festgestellt, dass sich die durchschnittliche Einstellungslänge linear verkürzt hat. Eine Einstellung ist im fertigen Film das, was zwischen zwei Schnitten passiert. Wo sie in den 30er- und 40er-Jahren noch bei ungefähr 10 Sekunden lag, belief sie sich in den frühen 2000ern schon auf unter vier Sekunden - heute sind es sogar nur noch 2,5. Diese Beobachtung deckt sich mit den Erkenntnissen des australischen Filmhistorikers Barry Salt, der die Einstellungslängen von über 13.000 Filmen gemessen hat.
Filme werden also schneller – und actionreicher. Macht sie das automatisch besser? Nein. Zwar ist psychologisch erwiesen, dass schnelle Bildwechsel unser Gehirn fordern und uns eher in den Bann ziehen als langsame. Die Geschichte, die Kern eines Films sein sollte, rückt dabei aber oft in den Hintergrund. Gerade die Marvel-Filme sind da ein treffendes Beispiel: Keine Frage, sie sind unterhaltsam und es macht Spaß, zuzusehen, wie „Iron-Man“ und Co. 50 Aliens auf einmal bekämpfen. Explosionen, farbenfrohe Schlachten und aufregendes „Rumgeballer“ sind aber das Einzige, was diese Filme auszeichnet. Nachhaltig habe ich aus diesen Produktionen nie etwas mitgenommen. Ich liebe Filme, die mir etwas erzählen. Die ich auf mein eigenes Leben anwenden kann. Die mich ein Thema aus einem anderen Blickwinkel betrachten lassen. Wenn ich einen Film schaue, dann nutze ich das als eine Art Unterrichtsstunde. Aus aktuellen Blockbuster-Produktionen fällt es mir zunehmend schwer, eine Lehre zu ziehen. So hat Martin Scorsese, einer der bekanntesten Regisseure Hollywoods, die Marvel-Filme 2019 mit Freizeitparks verglichen: „Das ist nicht Kino. Um ehrlich zu sein, so gut gemacht sie auch sind, mit Schauspielern, die in Anbetracht der Umstände ihr Bestes geben, aber der beste Vergleich zu diesen Filmen sind Freizeitparks." Es sei nicht das Kino über Menschen. Das Kino, das emotionale oder psychologische Erfahrungen vermittle. Der Narrativfilm, der eben diese Erfahrungen erzählerisch für andere nahbar macht und den ich so liebe, ist in den heutigen Kinos leider immer seltener aufzufinden.
Wo bleibt unsere Fantasie?
In den abgedunkelten Kinosälen wird uns heutzutage jeglicher Spielraum für Fantasie genommen. Alles passiert auf der Leinwand, nichts mehr im Kopf. Der kommerzialisierte Film zeigt den Zuschauer*innen, was sie sehen wollen. Auch wenn darunter das Kinoerlebnis leidet. Sogar im Trailer wird zu viel verraten. Ziel ist es, uns durch möglichst viele spektakuläre Bilder für den Film zu gewinnen und so einen hohen Umsatz zu generieren. In „Der weiße Hai“ von 1975 dauert es geschlagene 81 Minuten, bis wir das riesige Raubtier vollständig zu Gesicht bekommen. Bis dahin liegt es an der Fantasie der Zuschauer*innen, sich auszumalen, wie furchteinflößend und schrecklich der Gigant wohl aussehen mag. „Pacific Rim“ aus 2013 hingegen zeigt uns direkt in der ersten Szene die riesigen Monster, die die Welt attackieren. Uns Zuschauer*innen wird keine Sekunde lang die Möglichkeit gegeben, unsere Fantasie zu benutzen.
Auch interessant
Die Zeit entscheidet
Natürlich gibt es auch Filme aus unserer Zeit, die man in 20, 30 oder auch 40 Jahren als Klassiker bezeichnen wird. Es gibt Produktionen aus dem vergangenen Jahrzehnt, die den Schwerpunkt - entgegen des Stroms - auf die Geschichte, und wie die erzählt wird, gelegt haben. Bei einigen von denen sehe ich Potential. Werke wie „Inside Llewyn Davis“, „Das erstaunliche Leben des Walter Mitty“ oder „Call Me by Your Name“ erzählen berührende Geschichten und vermitteln wichtige Werte. Nur werden die Filme, die heute den größten Teil der Filmlandschaft ausmachen, also actiongeladene Blockbuster, schnell in Vergessenheit geraten. Da bin ich mir sicher. Sie sind inhaltlich zu leer. Um den Test der Zeit zu bestehen, müssen Filme Werte und Ideen vermitteln, die auch noch in der Zukunft anwendbar sind. Man darf sich von den ungewohnten Farbpaletten, Kameraeinstellungen und Einstellungslängen nicht verunsichern lassen. „Casablanca“ ist 80 Jahre alt und dennoch topaktuell. Krieg und Liebe verlieren kaum an Aktualität. „Citizen Kane“ ist über viermal so alt wie ich. Über den Sinn des Lebens kann mir dieser Film aber tausendmal mehr erzählen als einer der unzähligen „Fast and the Furious“-Streifen. Also: Schaut alte Filme. Es lohnt sich.