Parteienpolitik 5 Minuten

Das AfD Paradoxon

Person wählt AfD, Wahlzettel mit Rotem Kreuz auf AfD
Die AfD wurde 2013 als EU-Kritische Partei gegründet | Quelle: Benian Özdüzenciler
11. Dez. 2023

Immer mehr Deutsche geben ihre Stimme der AfD. Bei genauerem Hinsehen wird aber schnell ein gewisser Widerspruch zwischen Wählerschaft und Partei klar, ein großer Teil der Wähler*innen würden finanziell nicht von der AfD profitieren.


 

Im Gespräch mit einem AfD-Wähler

Markus* hat sich bereit erklärt, seine Ansichten dazu zu teilen. Er ist Mitte 50, Familienvater und AfD Wähler. Eigentlich war er immer Unterstützer der CDU und ordnet sich selbst als liberalkonservativ ein. Doch besonders durch die Corona-Pandemie kam sein Vertrauen in die Regierung ins Wanken. Er erklärte: „Wenn du mich fragst, wie die Wähler zur AfD kommen, kann ich’s dir sagen. Ich habe relativ oft Gespräche mit Personengruppen von 30 bis 70 Jahren. Die haben einen dicken Hals auf die Regierung und auf ihr Versagen“. Die Infektionsschutzgesetze empfand er als Eingriff in sein Grundrecht. Mit der neuen Regierung wurde es für ihn nicht besser, so wuchs sein Groll nur noch mehr. Besonders ausschlaggebende Punkte, wieso seiner Meinung nach die Nachfrage der AfD steigt, seien die Zuwanderung und ein fehlender Drang nach Integration, sowie die Klimapolitik – „Das Abschalten der Atomkraftwerke ist ein wirtschaftlicher Suizid“. Für ihn ergäbe sich die AfD und CDU als einziger Gegenpol zu einer sonst, für ihn, links geprägten Parteienlandschaft. Mit dem Misstrauen gegenüber der CDU, besonders durch die Flüchtlingskrise 2015, scheint die AfD das einzige wählbare für ihn zu sein. Zudem fürchte er zu viel staatlichen Eingriff in Wirtschaft und Gesellschaft „Das geht mir immer mehr in einen Sozialismus, wenn der Staat dir sagt, was du tun darfst. ‚Du sollst E-Auto fahren‘ oder ‚Du sollst eine Maske tragen“, beschwerte sich Markus. Der Widerspruch zwischen Wählenden und der AfD war ihm so nicht bewusst, er erklärt das Paradoxon so: „Aus meiner Erfahrung haben die wenigsten das Wahlprogramm gelesen. Die meisten wählen aus Protest und wegen der Dinge, die die AfD sagt und wofür sie steht. Viele fühlen sich als Bürger von der AfD vertreten und verstanden“.

„Aus meiner Erfahrung haben die wenigsten das Wahlprogramm gelesen“.

Markus

Die AfD-Wählerschaft

Zur Frage „wer die AfD wählt“, kamen eine aktuelle Forsa-Umfrage und ältere Studien auf folgendes Ergebnis: Zur Wählerschaft zählen überdurchschnittlich häufig Männer zwischen 45 und 59 Jahren. Außerdem sind außergewöhnlich viele Arbeiter*innen und Arbeitslose unter den Wähler*innen. Diese pflegen eine gewisse Unzufriedenheit des eigenen Lebens und mit dem Zustand von Staat und Gesellschaft. In der Öffentlichkeit benennt sich die AfD als „Partei des kleinen Mannes“, dabei würden eben genau jene sozioökonomisch niedriger angesiedelten Menschen von der AfD Schaden nehmen und wohlhabendere Menschen erhebliche Vorteile ziehen.

Doch wieso ist denn die AfD eine Partei für Reiche? In einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaft (DIW) kamen viele Aspekte ans Tageslicht, aus denen wohlhabendere Menschen Vorteile ziehen würden: Die AfD setzt sich in so gut wie allen Bereichen für Steuersenkungen ein und möchte den Solidaritätszuschlag komplett abschaffen. Auch spricht sich die Partei gegen die Stärkung der Rechte von Mieter*innen aus, äußerte sich gegen die Erhöhung des Mindestlohns in 2021 und möchte das Bürgergeld auf sechs Monate begrenzen. 

„Die AfD lehnt den Klimawandel ab“, so Prof. Dr. König von der Universität Mannheim, er hat eine Professur für Politikwissenschaften und europäische Politik. Dabei sind einkommensschwache bis arbeitslose Menschen, Expert*innen der Europäischen Union nach, von den Folgen der Erderwärmung besonders stark betroffen. Wegen fehlender finanzieller Möglichkeiten könne diese Bevölkerungsgruppe mit geringeren Mitteln gegen die Folgen vorgehen und wäre diesen stärker ausgesetzt.

Das Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung hat durchgerechnet, welche Einkommensklassen von welcher Partei in ihrem Jahreseinkommen profitieren würden. Dabei kam heraus, dass bei der AfD niedrigere Einkommensklassen bis 55.000 Euro brutto im Jahr so gut wie gar nicht von ihrem Wahlprogramm profitieren. Menschen mit einem Bruttoeinkommen ab 80.000 Euro hingegen schon. König bewertet dies folgendermaßen: „Populismus zielt eher auf Gruppenemotionalisierung auch durch thematische Widersprüchlichkeit ab“.

Instagram Page der AfD
Die AfD spricht auf Social-Media viele Themen an, die Wählende emotional ansprechen.
Quelle: afd.bund, Instagram
Im Gespräch mit Frau Dr. Deiss-Helbig

Die Wahrnehmung der Wählenden

Frau Dr. Elisa Deiss-Helbig von der Universität Konstanz befasst sich mit politischen Systemen und politischer Soziologie. Sie erklärt, man müsse die AfD zuallererst in ihrer politischen Dimension zuordnen. Sie fährt eine rechte Gesellschaftspolitik und ist wirtschaftlich am rechten Rand zu finden.

Politische Dimensionen verschiedener Parteien
Die AfD ist sowohl sozial-, als auch wirtschaftspolitisch rechts angesetzt
Quelle: Deutsches Institut für Wirtschaft (DIW Berlin)

Genau da liegt der Widerspruch, denn „Personen, die sozioökonomisch niedriger angesetzt sind, müssten eigentlich eine wirtschaftspolitisch linke Partei wählen“, stellt Deiss-Helbig klar. „Pocketbookvoting, also die Überlegung, durch die Wahl habe ich mehr Geld in der Tasche, zeigt sich als nicht relevant, es sind eher diffusere Dinge“. Die AfD ist sich dessen mehr als bewusst und greift deshalb gerne Themen wie Einwanderung oder „Gender-Gaga“ auf. Das hat man im Interview mit Markus sehr gut sehen können. Ihn beschäftigten vor allem Themen wie Einwanderung, Angst vor Terror, Gendern oder Coronaschutzmaßnahmen. Außerdem sei wichtig zu verstehen, dass zwischen der eigenen Schichtenwahrnehmung und der Realität von Bürger*innen meist ein großer Unterschied festzustellen ist. Einfach gesagt, sehen viele Menschen nicht, dass sie beispielsweise finanziell unten angesetzt sind. Sie erkennen also durch fehlende Bezugsrahmen und veränderte Bewertungsmaßstäbe ihre eigentliche Zugehörigkeit nicht.

„Viel ist einfach die Wahrnehmung und gar nicht die objektive Tatsache. Die Parteien können natürlich versuchen zu erklären, was sie machen oder was sie nicht machen, aber wichtig für die Wahl ist, was ankommt und was die Leute wahrnehmen wollen“, erklärte Frau Deiss-Helbig. Die individuelle Wahrnehmung steht also immer über den Fakten.

„Pocketbookvoting, also die Überlegung, durch die Wahl habe ich mehr Geld in der Tasche, zeigt sich als nicht relevant, es sind eher diffusere Dinge“.

Frau Dr. Elisa Deiss-Helbig

Markus und viele andere AfD Wählende profitieren also wirtschaftlich nicht von der AfD. Das steht für Wähler*innen jedoch nicht im Vordergrund. Für Markus genauso wenig, denn wie er schon vermutet hatte, gibt es drei markante Punkte, weswegen die AfD gewählt wird: Einwanderung, Misstrauen gegenüber Eliten und allgemeine Unzufriedenheit. Wirtschaftspolitik wurde nie genannt. Markus wählt diese populistische Partei, weil bei einer Wahl, Wahrnehmung und Emotionen aus dem Alltag eine viel größere Rolle für die Bevölkerung spielen als abstrakte Steuergesetze. Jetzt bleibt uns nur noch abzuwarten, was die nächste Bundestagswahl so bringt.

*Der Name Markus wurden nachträglich von dem Redakteur geändert