Die Stille in der Bahn
Ob morgens oder abends, auf dem Weg zur Arbeit oder zur Uni. Wir steigen in die Bahn, setzen die Kopfhörer auf, schauen aufs Handy und tauchen ab. Wohin? In eine Welt voller Nachrichten, sozialer Medien, Musik oder in unzählige Streaming-Angebote, die natürlich auf Abruf heruntergeladen sind. Denn eines wissen wir alle: „Bloß nicht zu viele Daten verbrauchen“, wenn wir die Zeit in der Bahn „sinnvoll“ nutzen wollen. Im Winter sind wir dann auch noch dick mit Schal und Mütze eingepackt, sodass man vollends das Gefühl hat in einer kleinen Höhle zu stecken. Stille statt Kommunikation. Ein kleiner Blick zu den anderen Bahnfahrer*innen, vielleicht ein kurzes Zulächeln oder Zunicken, aber richtiger Kontakt oder ein Gespräch mit dem Gegenüber - Fehlanzeige.
Dabei sind sie doch eigentlich so schön, die kleinen Gespräche oder Begegnungen im Alltag. Zumindest, wenn man den Serien und Filmen Glauben schenkt, die wir heruntergeladen haben. Dort scheint es immer ganz einfach. Natürlich treffen sich zwei Menschen im Alltag – ja, vielleicht sogar in der Bahn – haben die gleichen Eigenschaften und siehe da, sie werden beste Freund*innen oder finden ganz zufällig die große Liebe. Hust. Die Realität sieht dann doch etwas anders aus. Wir schaffen es kaum eine Sekunde von unseren kleinen Kästen aufzuschauen. Der Hals tut schon weh, vom nach unten blicken. Die Musik ist oft ein bisschen zu laut, als dass es gut für die Ohren ist. Und hinter den Kopfhörern? Stille.
Wir sind ständig in den sozialen Medien unterwegs, um uns zu vernetzen. Dabei ist die Bahn doch eigentlich auch ein sozialer Raum. Wir kommen mit unbekannten Menschen für eine kurze Strecke zusammen. Und das, gezwungen durch die Sitzanordnung, auf engstem Raum. Sollte das nicht eigentlich eine Gelegenheit für Gespräche und Begegnungen sein? Doch statt miteinander zu reden, bleiben wir alle in unseren Bubbles. Ein „stilles Nebeneinander-her-leben“. Wie soll das erst werden, wenn die im Juni von Apple vorgestellte Brille „Vision Pro“ auf den Markt kommt. Zwar bietet diese lebensgroße Bildschirme, die uns vor die Augen projiziert werden, aber echter Blickkontakt und nette Gespräche werden dann wohl vollends unmöglich. Dann heißt es also Stille. Und noch mehr Stille – hinter Kopfhörern und riesigen Brillen.
Aber genug von der Zukunft. Also schalte ich meine Kopfhörer aus und lege mein Handy in die Tasche, als die Bahn einfährt. Ich setze mich hin und schaue ganz bewusst nach den anderen. Ein ziemlich trauriges Bild. Stille. Niemand schaut auf. Nur ein kleines Mädchen schreit neben ihrer, wie ich vermute, großen Schwester. „Lotte, Lotte“. Zuppeln am Pulli. „Looooottttte“. Doch das Geschrei kommt nicht an, denn Lotte ist in ihr Handy vertieft. Kommunikation außerhalb der Filterblase - eher schwer. Also muss die Frau mir gegenüber herhalten. Ich versuche es mit einem freundlichen „Hallo“, doch es kommt keine Antwort. Also etwas mehr. „Wie geht es Ihnen, Sie haben einen sehr schönen Schal, von wo ist der denn?“ Und siehe da, wir sind im Gespräch. Doch lange geht es nicht, da die Frau aussteigen muss. Kurz darauf muss ich dann auch raus. Na ja, von einer wirklichen Kommunikation würde ich nicht reden, aber immerhin mal zehn Minuten weniger Handyzeit und ein guter Tipp für ein schönes Geschäft, das ich noch nicht kannte.
Eine weitere Folge der Kolumne „Räume des Nebeneinander-her-lebens“ findest du hier.