Ein Hoch auf Vorurteile
Wir beurteilen Menschen nach dem, was wir denken zu wissen. Aber was wissen wir denn? Und was haben Schubladen damit zu tun? Die sind doch für Unterwäsche gedacht. Aber neben den Höschen lassen sich dort auch wunderbar Menschentypen lagern. Denn diese vereinfachen unsere Denkarbeit ungemein. Sie sind eine wunderbare Hilfe – wie der Knauf zum Öffnen einer Schublade. Schon unsere Vorfahr*innen wussten das: Streifte der Homo sapiens früher durch die Wälder und begegnete einem Säbelzahntiger, beschäftigte er sich nicht damit, ob er vielleicht einem freundlichen Exemplar der Gattung gegenüberstand – schließlich konnte der Arme ja auch nichts für seine Riesenzähne. Nein, er bediente sich des Vorurteils Riesenzähne, nahm die Beine in die Hand und lief davon. Diejenigen, die dem Säbelzahntiger freundlich gesinnt waren, wurden vermutlich recht schnell verdaut.
Ist es also ein Vorteil, Vorurteile zu haben? Wir nehmen sie auf wie der trockene Boden das Wasser. Später als ausgewachsene Homo sapiens, die etwas auf sich und ihr Political-Correctness-Image halten, versuchen wir sie abzustreifen wie Kletten. Bis wir ernüchtert feststellen, dass Vorurteile die aufdringlichste Art mentalen Unkrauts sind. Gerade noch frisch gemäht, suchen sie sich wieder ihren Weg an die Oberfläche. Warum also noch mähen – bringt ja auch nichts, denn Unkraut vergeht nicht. Also leben wir mit unseren Vorurteilen.
Das alles passiert im Kopf, von allein, sozusagen „auf Autopilot“. Es entstehen vorschnelle Urteile, also Vorurteile. Doch die, so sagt man, seien etwas Kindisches. Also stünde es einem erwachsenen, vernünftigen Menschen gut, sie eines schönen Tages hinter sich zu lassen. Aber wer will schon erwachsen werden? Man stelle sich nur mal vor, man müsse Verantwortung für sein Handeln übernehmen – geht ja gar nicht. Bedienen wir mal das Stereotyp: Frauen können nicht einparken, Männer hören eh nie zu und Student*innen sind sowieso die Allerschlimmsten. Faule Schmarotzer*innen, die gar nicht wissen, was Arbeit bedeutet. Außerdem haben wir ja eine Schublade für solche Typen – muss also stimmen. Aber was machen wir, wenn die Schublade klemmt? Konfrontiert mit einer Welt, in der man Menschen kennenlernen muss, bevor geurteilt wird – unvorstellbar. Eine neue Schublade muss her. Ikea scheint die letzte Rettung…