Flowers – Selbstliebe für 3,99 Euro

Ich stehe im Supermarkt, der Einkaufswagen ist halb leer, meine Smalltalk-Batterie auch. Neben dem Joghurt greife ich spontan zu einem kleinen Strauß Blumen. 3,99 Euro. Nicht gerade opulent, aber irgendwie ein Statement. Für wen die sind? Für mich. Ich will gar nicht romantisch wirken, sondern rebellisch. Miley hat mich schließlich daran erinnert: I can buy myself flowers.
Und mal ehrlich, wer versteht mich besser als ich selbst? Ich weiß, welche Blumen ich mag und was ich hören will, wenn ich traurig bin. I can talk to myself for hours, say things you don't understand. Ich weiß, was ich meine, wenn ich schweige. Und ich weiß auch, dass ich es nicht mag, zu baden. Also sorry an alle, die mir erzählen wollen, Baden sei die ultimative Form der Selbstliebe. Ich sitze da nur wie ein warmgehaltenes Gulasch und fühle mich nicht empowered, sondern weichgekocht.
Blumen, Bäder und der Rest
Selbstliebe ist kein Schaumbad mit einem viel zu heißen Tee, den man eh nicht austrinkt. Klar, kann man machen. Aber danach? Dann sitzt man doch trotzdem wieder da und fragt sich, ob das jetzt schon Selfcare war oder einfach nur Prokrastination mit Rosenöl.
Wer ständig versucht, alles zu romantisieren – mit Zitronenwasser bei Sonnenaufgang und „That Girl“-Morgenroutine – landet schnell in einer Dauerschleife aus Performance-Selbstfürsorge. Plötzlich fühlt sich ein Tag ohne Journaling, Matcha und Pilates wie persönliches Versagen an. Dabei ist Selbstliebe nicht immer schön verpackt und oft viel unspektakulärer. Vielleicht ist es, sich zum Zahnarzt zu schleppen, obwohl man Angst hat. Oder frühzeitig mit der Hausarbeit anzufangen, damit man weniger Zeitstress bekommt. Oder endlich das Gespräch zu führen, das man seit Wochen meidet. Nicht instagrammable, aber ehrlich.
Selbstliebe ist längst mehr als eine nett gemeinte Empfehlung aus dem Lifestyle-Ratgeber. Sie ist ein Statement. Für Miley Cyrus war Flowers genau das: ein Schlussstrich und ein Neuanfang nach einer sehr öffentlichen Trennung. Vielleicht ist der Song deshalb auch ihr erfolgreichster. Weil es nicht um rosarote Wohlfühlmomente geht, sondern um Widerstand und ein bisschen Trotz. I can love me better than you can.
Lieb dich selbst – leichter gesagt als getan
Selbstliebe klingt so simpel: ein bisschen Achtsamkeit, ein bisschen Dankbarkeit, ein bisschen Hautpflege. Zack, geliebt. Aber niemand sagt einem, wie man das eigentlich macht. Das nächste Problem: Wenn man anfängt, sich selbst wichtig zu nehmen, gucken viele komisch. Selbstliebe wird gern mit Egoismus verwechselt. Vor allem, wenn man plötzlich Grenzen setzt oder Nein sagt, ohne sich dafür zu entschuldigen. Und warum soll man sich eigentlich selbst lieben? Kann das nicht jemand anderes übernehmen? Alles nicht so einfach. Wenn Miss Cyrus dann noch behauptet, I can take myself dancing, I can hold my own hand, schlackern mir die Knie. Ich sitze nicht mal gern alleine in einem Schnellimbiss, ganz zu schweigen von einem Restaurant oder Kino. Aber vielleicht ist es Zeit mutig zu sein und alleine tanzen zu gehen.
Also was ist Selbstliebe denn jetzt? Die unbefriedigende Antwort lautet wahrscheinlich wie so häufig im Leben: Die Mischung macht’s. Irgendwas zwischen Duftkerze und einem konsequenten Akt der Abgrenzung gegen all das, was mir nicht guttut. Am Ende ist Selbstliebe eine Haltung. Eine Entscheidung, sich selbst ernst zu nehmen. Oder es sind die Blumen für 3,99 Euro, die man sich kauft, obwohl man eigentlich nur für Hafermilch und Zahnpasta losgegangen ist.
Dieser Beitrag ist Teil des Kolumnenformats „Der Sound unserer Zeit". Weitere Folgen der Kolumne sind:
- Bad Guy – oder warum ich lerne, weniger nett zu sein
- Bauch, Beine, Po –was mir der Song über meinen Körper sagen will
- Optimismus auf Play
- Bilder im Kopf – Eine Liebeserklärung an die Erinnerung
- Blauer Ballon - Erinnerung an ein Nie-Wieder
- Undressed - aber mit Vorsicht
- Einfach mal: Shake it Off
So gut, dass einmal hören nicht reicht – fanden zumindest unsere Redakteurinnen. Deswegen gleich zweimal: