"Gesundheit" – aber ich bin doch gar nicht krank!

Wann hast du das letzte Mal „Gesundheit“ gesagt und es wirklich so gemeint?
Schon oft ist es mir passiert, dass ich mich unwohl fühlte, nachdem eine Person im selben Raum geniest hatte und ich ein kurzes, nicht ernst gemeintes „Gesundheit“ herausquetschte. Ein Satz, der wie ein Reflex herauskommt, aber fast immer wie ein Segensspruch klingt. Allgemein ist die Situation für alle Parteien unangenehm. Der Niesende versucht sein Bestmögliches, das Verlangen in der Nase mit einem leisen, am besten nicht wahrnehmbaren Geräusch zu befreien, die Zeugen müssen die Situation hinnehmen und das Beste daraus machen. Also wird so reagiert, was uns als sozialen Wesen in dieser Gesellschaft beigebracht wurde: „Gesundheit!“
Meistens läuft es so ab: Im gesamten Raum herrscht Stille. Plötzlich unterbricht ein unterdrücktes Niesen diese Stille. Daraufhin murmelt die Hälfte der Anwesenden ein leises „Gesundheit“. Ich schaue nach rechts, in die Ecke, aus der das Niesen kam und die Bakterienschleuder sieht meiner Ansicht nach nicht krank aus. Manchmal juckt es eben in der Nase. Wenn man es wortwörtlich nimmt, ist es etwas übertrieben, jemanden daraufhin „Gesundheit“ zu wünschen, oder nicht? Woher kommt dieser nicht-hinterfragte und fast gesellschaftlich-erzwungene Brauch? Warum sagen wir „Gesundheit“ beim Niesen – aber nicht beim Husten?
Eine Angewohnheit aus dem Mittelalter?
Es gibt die These, dass der Brauch, jemandem nach dem Niesen „Gesundheit“ zu wünschen, aus der Zeit des Mittelalters stammt. Von 1347 bis 1353 bestimmte die Pest das Leben der Menschen in Europa. Innerhalb weniger Jahre entwickelte sich die Krankheit zur Pandemie und löschte etwa ein Drittel der europäischen Bevölkerung aus. Das Niesen galt als eines der ersten Anzeichen für eine Ansteckung der Pest, weshalb Menschen anfingen, nicht nur einander Gesundheit und den Schutz Gottes zu wünschen, sondern vor allem sich selbst, um sich vor den „bösen Geistern“ der Krankheit zu schützen. Daher stammt sehr wahrscheinlich auch die englische Formulierung „Bless you“ kurz für „God bless you“. Husten wurde nicht als Warnzeichen gehalten, weshalb man heute davon ausgehen kann, dass dies der Grund ist, warum ein wehleidiger Husten kein nettes „Gesundheit“ entgegnet bekommt. Obwohl diese Ursprungsthesen nicht eindeutig wissenschaftlich belegt sind, werden sie in seriösen Medienformaten häufig genannt – beispielsweise in Beiträgen vom SWR oder WDR.
Gesundheit oder Entschuldigung?
Die Pest ist heutzutage gut mit Antibiotika behandelbar und auch nicht mehr weit verbreitet, weshalb der Brauch seine Ursprungsanwendung zum Teil verloren hat. Ist es also noch nötig, jemandem „Gesundheit“ oder gar den Segen Gottes zu wünschen, wenn die Person gar nicht krank ist? Glücklicherweise gibt der Knigge-Rat hier Anleitung. Demnach sollten Körpergeräusche generell nicht kommentiert werden. Es gibt sogar den Ansatz, man sollte sich als Niesender entschuldigen, nachdem man seine Bakterien mit einer Geschwindigkeit von bis zu 160 km/h durch den Raum geschossen hat. Das scheint mir allerdings etwas übertrieben.
Es gibt also keine richtige oder falsche Reaktion auf einen Nieser. Meine Mutter entgegnet einem Nieser immer mit einem liebevollen „Hatschipuh“ und ich finde, das klingt viel freundlicher, als ein reflexhaftes „Gesundheit“ je klingen könnte. Wahrscheinlich geht es heute aber gar nicht wirklich darum, was man sagt, sondern vielmehr um das höfliche Ritual dahinter. Am Ende bleibt das kurze „Gesundheit“ eben das, was es meistens ist: eine gut gemeinte, aber inhaltsleere Floskel.