Ich stehe zu mir!
Batsch. Sie ist weg. Schnell husche ich in die Küche und schließe die Tür. Endlich kann ich essen, was ich will. Ich schiebe ein paar Pommes und Chicken Nuggets in den Ofen. Als mein Lieblingsessen goldbraun gebacken ist, hole ich es heraus und setze mich zufrieden an den Tisch. Endlich mal in Ruhe essen. Das dachte ich zumindest. Kaum greife ich nach der ersten Pommes, erschreckt mich das Schlüsselgeräusch unserer Wohnungstür. Meine Mitbewohnerin. Sie riecht, wie sehr ich sie vermisse, denn sie stolziert ohne Umwege in unsere gemeinsame Stube. Während meine Hausgenossin neben mir ihr Geschirr spült, spüre ich, wie ihre Blicke mich von der Seite durchbohren und von meinem Essen in mein Gesicht zurück zu meinem Essen wandern. Sie sagt nichts. Aber vielleicht macht das die Situation so unangenehm. Vermutlich fragt sie sich, wieso ich schon wieder ungesunde Pommes in mich hineinstopfe. Ich fühle mich, als säße ich auf einer Theaterbühne und die Scheinwerfer wären nur auf mich gerichtet. Ein fremdes Publikum starrt mich an und ich habe keinen Plan, was mein Text ist oder was ich machen soll. Meine Mitbewohnerin ebenso wenig. Sie präpariert sich eine Scheibe Vollkornbrot mit ein paar Gemüse-Sticks und verzieht sich in ihr Zimmer. Irgendwie schmeckt mein Lieblingsessen jetzt gar nicht mehr.
Das ist nur eine von vielen Situationen, in denen ich mich dauerbeobachtet fühle. Jeden Morgen gehe ich auf geheime Mission, wenn ich verstrubbelt ins Badezimmer husche, in der Hoffnung meine Mitbewohnerin sieht mich nicht. Ich stelle meine Musik auf Lautstärke eins von zehn, damit sie nichts von meinen Schnulzensongs mitbekommt und niemals würde ich mein geliebtes Lillifee-Shirt anziehen. Es nervt mich, dass ich mich in meinem Zuhause einschränken lasse.
Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird
Als ich am gleichen Abend im Bett liege, kann ich nicht einschlafen. Ich muss immer noch grübeln. Lebe ich zu ungesund? Ich könnte morgen die Gemüsesuppe à la Mama zubereiten. Reflexartig greife ich zu meinem Handy und google das Rezept. Ein Kopf Weißkohl, ein Bund Staudensellerie, zwei Paprika und eine Dose Tomaten in einen Topf für zwanzig Minuten aufkochen. Wäh, wenn ich schon Weißkohl höre. Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr bin ich mir sicher: Ich will mir nichts aufzwingen. Das bin nun mal ich. Entweder meine Mitbewohnerin kann mit mir leben oder wir passen nicht in eine WG. Die goldene Lebensweisheit ist doch „Verstelle dich nie für deinen Partner“ oder „Bleibe immer du selbst im Vorstellungsgespräch“. Ich kann Harmonie nicht erzwingen, indem ich mich verstelle.
Am nächsten Tag schiebe ich wieder Pommes und Chicken Nuggets in den Backofen, während meine Mitbewohnerin ihre Salat-Bowl anrichtet. Erneut lugt sie auf mein Mahl. Diesmal erwähne ich zufrieden: „Ich liebe einfache Gerichte“. Daraufhin erwidert sie: „Ich auch. Und ich stehe auch auf Pommes. Aber salzt du sie eigentlich nicht?“.
Eine weitere Folge der Kolumne "WG-Lebensschule" findest du hier.