Muss das sein?
Neuerdings brauche ich morgens keinen Wecker mehr – denn neuerdings wecken mich meine Nachbarn. Nein, sie haben sich keinen Hahn angeschafft, der einen morgens zum Sonnenaufgang mit einem sanften Krähen aus dem Schlaf reißt – das wäre ja noch zu vertreten gewesen, ganz nach dem Prinzip: Back to the roots! Nein, es ist ein aufgemotzter Sportwagen, dessen Motor jeden Morgen pünktlich um sechs sein Debüt gibt. Und das ganz und gar unsanft. Er röhrt, er heult, er wummert. Doch als wäre das nicht schon genug, gesellt sich auf einmal ein zweiter Motor hinzu. Denn die Nachbarn haben nicht nur ein Auto, nein, sie haben fünf. Fünf! Und das bei vier Leuten, von denen nur zwei regelmäßig wegfahren.
Morgendliche Umparkaktionen
Es ist selbstverständlich, dass alle Wagen in unmittelbarer Nähe vor der Haustür zu stehen haben. Kurz durchgezählt: ein Garagenstellplatz, eine Einfahrt. Und dann wären da ja noch die öffentlichen Stellplätze. Wobei öffentlich ein recht dehnbarer Begriff zu sein scheint. Privatparkplatz würden es unsere Nachbarn wohl eher nennen. Blöd nur, wenn sie mit einem der auf diesen Parkplätzen stehenden Autos wegfahren möchten. Den öffentlichen, pardon privaten Parkplatz aufgeben? Niemals! Bedeutet: Auto eins muss aus der Einfahrt, um den Parkplatz von Auto zwei zu besetzen. Bedeutet auch: Morgendliches Umpark-Aktions-Chaos – inklusive mindestens dreimaligem Aufheulen des Motors, wozu hat man denn sonst so ein Teil? Wäre da nicht dieser unfassbare Lärm (aka „Panzer-Sound“), wäre es fast schon meditativ, bei ihrer Rangier-Choreographie zuzusehen.
Es scheint paradox, dass gerade die Menschen, die am meisten zuhause sind, auch die meisten Autos haben. Wozu? Autos sind Statussymbole, schon klar. Aber in erster Linie doch Gebrauchsgegenstände und wirklich gebraucht werden diese Autos nicht. Drei fristen ihr Dasein als standhafte Besetzer der öffentlichen Parkplätze, lediglich unterbrochen von der Umpark-Zeremonie. Hier wird aber auch immer nur eins bewegt. Zwei stehen dort ganzjährig und ununterbrochen, umwuchert von Unkraut das aus dem Pflaster sprießt.
Stehzeuge?
Muss das sein? Letztens hab ich gelesen, dass Deutschland dieses Jahr ein Rekordhoch an Pkw erreicht hat. Gleichzeitig steht ein Auto im Durchschnitt 23 Stunden ungenutzt herum. Es ist an der Zeit, umzudenken, ob man wirklich so viele Fahrzeuge braucht. Obwohl man hier eher von Stehzeugen sprechen müsste. Auch für das Klima in der Nachbarschaft wäre es sicher nicht verkehrt, nicht einen gesamten Fuhrpark (inklusive Panzer) zu unterhalten und damit nicht nur die morgendliche Ruhe, sondern auch das friedliche Nebeneinanderwohnen zu stören.
Ob bei unseren Nachbarn ein Umdenken stattfinden wird ist allerdings fraglich. Als wir uns einmal erdreistet haben, sie zu bitten, ob sie nicht so freundlich sein könnten, nicht immer alle Parkplätze zu blockieren, erhielten wir bloß eine kurze aber klare Antwort: „Das hat nichts mit Freundlichkeit zu tun!“. Es ist also noch ein weiter Weg. Bis dahin sollte ich vielleicht einfach mal ein Handtuch auf den Parkplatz werfen – funktioniert auf Malle ja auch.
Eine weitere Episode der Kolumne „Die lieben Nachbarn“ gibt es hier.