Kein richtig oder falsch
„Du hast die Wahl, ob dich die Würmer fressen oder ob du Leben rettest!“ Eine klare Meinung, die Ardijan Ujapaj nicht ohne Grund vertritt. Er leidet an der Autoimmunkrankheit Primär sklerosierende Cholangitis (PSC), bei der sein Körper die eigenen Gallenwege in der Leber angreift. Nachdem er jahrelang mit schweren Symptomen zu kämpfen hatte, wurde der damals 26-Jährige 2005 erstmals auf die Warteliste für eine neue Leber gesetzt.
In Deutschland warten meist mehrere Tausend Menschen auf ein Spenderorgan. Häufig ohne Erfolg, denn die Spendebereitschaft ist gering. Im Gegensatz zu anderen musste Ardijan „nur“ zwei Jahre auf eine Leber warten und kämpfte sich nach dem Eingriff zurück ins Leben. Doch 2010 dann der Rückschlag: Bei einer Routineuntersuchung kam heraus, dass seine Leber nicht mehr funktionstüchtig ist und er erneut auf die Warteliste muss.
Die Verwaltung und Vergabe der Organe erfolgt europaweit über die Stiftung Eurotransplant, welche ihren Hauptsitz in den Niederlanden hat. Jedes Organ wird unter den Kriterien eines eigenen Punktesystems vergeben. Allerdings wird dieses System vielen Betroffenen, wie auch Ardijan, zum Verhängnis. Nach seiner ersten Transplanation wurde das System geändert, wodurch er sieben Jahre auf ein neues Organ warten musste, in denen er neben dem körperlichen Zerfall auch mit psychischen Störungen zu kämpfen hatte. Auch der finanzielle Aspekt war ein Problem während dieser Zeit, da er nicht arbeiten konnte und das Krankengeld sehr gering war. Die meisten Menschen gehen in ihren 20ern tanzen, trinken Alkohol und probieren sich in Beziehungen aus. Ardijan hingegen hatte innerhalb von zwölf Jahren zwei Organtransplantationen. Zehn Jahre davon waren reine Wartezeit, in denen es ihm häufig so schlecht ging, dass er die Wohnung nicht verlassen konnte.
Bei der neuen Regelung handelt es sich um das „Modell der Lebererkrankung im Endstadium“. Nur ein schlechter gesundheitlicher Zustand bringt genug Punkte, um eine realistische Chance auf eine Transplantation zu erhalten. Jedoch verringert dies auch die Wahrscheinlichkeit, die Operation und Nachbehandlung überhaupt zu überleben. Nur fünf Prozent der Menschen, die erst mit einer solch hohen Punktezahl transplantiert werden, überleben den Eingriff und die ersten zwei Monate danach. „Wenn es genug Spender geben würde, wäre das System allerdings egal“, beteuert Ardijan.
Aufklärung statt Tabuthema
Als zentralen Auslöser für den Organmangel in Deutschland sieht er die fehlende Aufklärung. Viele Menschen wissen nicht, dass ihnen als Spender die Organe nur im Falle eines Hirntodes entnommen werden. Und sowohl in der Schule als auch während des Studiums erhält man kaum Informationen zum Thema. Außerdem gilt im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern in Deutschland die Entscheidungslösung.
Entscheidungslösung
Jeder soll die eigene Bereitschaft zur Organspende auf der Grundlage fundierter Informationen prüfen und schriftlich festhalten. Dabei kann die Entscheidung sowohl für oder gegen eine Organspende getroffen werden oder ganz auf eine Entscheidung verzichtet werden.
Zustimmungslösung
Der Verstorbene muss zu Lebzeiten, zum Beispiel per Organspendeausweis, einer Organentnahme zugestimmt haben. Liegt keine Entscheidung vor, können die Angehörigen auf Grundlage des mutmaßlichen Willens des Verstorbenen, über eine Entnahme entscheiden.
Widerspruchslösung
Jeder ist automatisch Organspender. Möchte man das nicht, muss man zu Lebzeiten ausdrücklich widersprechen, zum Beispiel in einem Widerspruchsregister. In einigen Ländern genügt es auch seinen Angehörigen den Widerspruch mitzuteilen.
Auch die deutsche Regierung ist zwiegespalten, ob das System der Entscheidungslösung noch Sinn ergibt. Es wird über einen Wechsel zur Widerspruchslösung diskutiert und ein Gesetzesentwurf zur Unterstützung der Transplantationszentren liegt bereits vor.
Doch nicht nur mangelnde Aufklärung und die Gesetzgebung sind Grund für geringe Spenderzahlen. Es gibt auch einige Menschen, die sich ganz bewusst gegen eine Organspende aussprechen. Das Hauptargument von vielen Organspende-Gegnern ist, dass sie nicht an den Hirntod glauben. Im Internet kursieren immer wieder Horrorgeschichten, bei denen es heißt, die Spender hätten nach der Organentnahme schmerzverzerrte Gesichter und weißes Haar gehabt und währenddessen alles mitbekommen. Außerdem vertreten viele Skeptiker die Ansicht, ein Erwachen aus diesem Zustand sei immer möglich.
Im Transplantationsgesetz (TPG), welches 1997 verabschiedet wurde, sind die genauen Bedingungen für den Hirntod, dort „irreversiblen Hirnfunktionsausfall“ genannt, und seine Überprüfung festgehalten. Grundlegend dabei ist, dass der Hirntod von zwei unabhängigen Ärzten, die nichts mit der Organentnahme zu tun haben, getrennt durch verschiedene Tests festgestellt wird. Erst wenn der Patient für hirntot erklärt wurde, wird überprüft, ob er als Organspender in Frage kommt. Durch diese Regelung wird also nur jemand als Organspender in Erwägung gezogen, dessen Gehirnfunktion unwiderruflich erloschen ist.
Kampf gegen die Angst
Viele der Empfänger haben während ihres Krankheitsverlaufs und nach der Transplantation mit Ängsten oder Depressionen zu kämpfen, weil sie das neue Organ als Fremdkörper betrachten, oder weil die Genesung nicht so schnell verläuft wie geplant. Einige Betroffene haben sogar Schuldgefühle gegenüber dem Organspender. Eine gefährliche Angelegenheit, denn es kann dazu führen, dass der Körper das neue Organ abstößt.
Um diesen Menschen zu helfen und etwas zurück zu geben, hat Ardijan sich dem Verein Lebertransplantierte Deutschland e.V. angeschlossen, der ihn während seiner Krankheit selbst unterstützte. Der Verein hilft Betroffenen und deren Angehörigen bei solchen Problemen und bei offenen Fragen. Inzwischen ist Ardijan sogar Ansprechpartner für den Kreis Stuttgart/Esslingen und hilft vielen Menschen als eine Art Mentor durch die schwerste Zeit in ihrem Leben.
In seiner Funktion als Ansprechpartner des Vereins will er sich in Zukunft noch mehr für die Aufklärung in dem Bereich einsetzen, zum Beispiel auch in Schulen und Universitäten. „Überhaupt zu wissen, dass es so etwas gibt und man keine Angst davor haben muss, ist etwas, das man vermitteln muss.“ Wichtig ist also vor allem, sich überhaupt mit der Thematik zu befassen. Denn egal, ob man potentieller Organspender werden möchte oder nicht – beides lässt sich im Organspendeausweis festhalten.
Es gibt kein richtig oder falsch. Triff jetzt eine Entscheidung und fülle deinen Organspendeausweis aus.
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