„Spielen ist Spaß“
Clack! So wie der Anschlag einer Computertaste klingt es, wenn die Chips auf den Filzflächen der Spieltische auftreffen. Im Hintergrund unaufdringliche Lounge Musik. Die Menschen, die hier ein und ausgehen, sind sichtlich entspannt. Elegant schreiten sie über den roten Teppichboden. Selbst ein ausgewachsener Elefant könnte hier auf Plüschpantoffeln verzichten, man würde ihn nicht kommen hören. Tageslicht? Fehlanzeige. Die Wände mit warmem Licht beleuchtet. An diesem Donnerstagabend nehmen 28 Spieler am „After Work“-Pokerturnier teil. Für 55 Euro haben sie sich in das Turnier eingekauft. Zum Start erhalten alle 5.000 Chips Spielgeld. Die drei Spieler die am längsten durchhalten, ohne ihre Chips zu verspielen, gewinnen das Preisgeld.
Gespielt wird an vier Tischen. An einem davon sitzen sieben Männer. Drei von ihnen ruhig, der Rest durchaus gesprächig. In der Mitte sitzt eine Frau mit schulterlangem schwarzem Haar. Sie trägt einen schwarzen Blazer über einem weißen Shirt. Auf sie werden in der kommenden Stunde alle Augen gerichtet sein. Früher sei sie ein unheimlich schüchternes Mädchen gewesen. „Ich hätte mich nie getraut, freiwillig vor fremden Menschen zu sprechen. Zum Beispiel Referate zu halten, das ist mir immer schwergefallen“, gibt sie heute zu. Helai Mehr ist seit zehn Jahren Croupière. Von Unsicherheit ist nichts mehr zu spüren. „Legen sie das Handy bitte weg, solange sie eine Hand spielen“, weist sie einen Spieler freundlich auf die Tischregeln hin. Der Gast gehorcht. Die 34-Jährige ist körperlich klein und zierlich, aber ernst nimmt sie heute jeder.
Der Beruf des Croupiers ist kein anerkannter Ausbildungsberuf. Jedes staatliche Casino bildet seine Spielmacher selbst aus. Nach ihrer mittleren Reife machte Mehr eine Ausbildung zur Arzthelferin. Da sie unbedingt noch das Abitur nachholen wollte, besuchte sie im Anschluss das Technische Gymnasium. Als sie dann ihr Studium der Technischen BWL begann, bekam sie kein Schüler-BAföG mehr. Relativ zeitgleich zum Studienbeginn fing sie bei der Spielbank als Aushilfe an. Sehr schnell habe sie gemerkt, dass dies nicht nur ein Job war, mit dem sie ihr Studium finanzierte, sondern viel mehr eine Berufung. Black Jack war das erste Spiel, welches sie in einem Kurs der Spielbank lernte und in dem sie dann ihre ersten Erfahrungen als Croupier sammeln konnte. Black Jack, ein Spiel welches gegen die Bank gespielt wird, sei relativ einfach und schnell zu lernen, so Mehr. Aus diesem Grund eigne sich ein Kurs im Black Jack hervorragend als Einstieg in den Beruf oder für Aushilfskräfte.
Das zweite Spiel in ihrem Repertoire als Kartengeberin war Poker. Am Tisch dieses Spiels arbeitete sie ungefähr zwei Jahre. „Ich durfte dann sogar den Floorman machen, also die Spielaufsicht und Organisation im Poker“, schwärmt sie. Die Rouletteschulung machte sie dann circa vier Jahre später. Um den Kessel, die Schale in der die Kugel beim Roulette rollt und auf die jeweiligen Zahlen fällt, komplett auswendig im Kopf zu haben, klebte sie Wohnung und Auto mit Zetteln voll. Sie malte ihn sogar groß auf ein Blatt Papier, welches eine Zeit lang neben ihrem Fernseher klebte. Laut Mehr brauche man ungefähr zwei Jahre, um Roulette ohne Fehler meistern zu können. Wie man die Kugel abdreht? Da gebe es einen ganz einfachen Trick, laut Mehr. „Sie gehen mit dem Finger an den Kessel und streicheln ihn mit der Fingerkuppe, dann dreht die Kugel automatisch.“ Ihr sei die weiße Kugel auch schon mal durch den kompletten Saal geflogen. Aber das passiere ihr wahrscheinlich noch 100-mal in ihrer Karriere und ihren Kollegen auch. Ein humorvoller Umgang mit solch einem Fauxpas sei die beste Herangehensweise. Nachdem sie heute bereits zwei Stunden am Roulette gearbeitet hat, kommt der Einsatz als Dealerin am Pokertisch gut. Langeweile komme so keine auf, sagt sie.
Das Pokerturnier läuft seit einer halben Stunde. Die Spieler bestellen Getränke direkt an den Spieltisch. „Eine Cola und einen Milchkaffee“, wünschen zwei. Einer davon scherzt und fügt der Bestellung noch „eine Weißweinschorle für die Dealerin“ hinzu. Die Kellnerin entgegnet ihm schmunzelnd, „Nein, dann kann sie nicht mehr dealen.“ Mehr meldet sich selbst zu Wort: „Das wollte ich grade sagen. Ich trinke nichts. Aber danke.“ Der Kunde lacht, hat Spaß am Effekt seines Witzes. Er fühlt sich sichtlich wohl und gut aufgehoben.
Freundlichkeit und höfliche Umgangsformen sind Attribute, die jeder Croupier mit sich bringen sollte. Dies sei nicht selbstverständlich, ist sich Mehr sicher. Kritikfähigkeit und keine Angst vor Zahlen wären natürlich auch von Vorteil. Außerdem solle man kein Problem damit haben, nachts zu arbeiten. Eine weitere Voraussetzung für die Einstellung als Croupier in der Spielbank Stuttgart ist ein einwandfreies polizeiliches Führungszeugnis. Wer vorbestraft ist, hat keine Chance. Es geht ja schließlich ums Geld.
Die Croupiers arbeiten für gewöhnlich zwischen 45 und 60 Minuten, dann haben sie 15 Minuten Pause. Während der Arbeit dürfen sie sich von nichts und niemandem ablenken lassen. „Wenn wir an Wochenenden Events haben, läuft schon mal ein tanzender Stelzenläufer an mir vorbei. Das darf mich überhaupt nicht mehr tangieren“, erzählt Mehr. Erst durch ihre Arbeit im Casino habe sie gelernt, sich 45 Minuten am Stück konzentrieren zu können. Doch nicht nur ihr Konzentrationsvermögen sei gestiegen. Mittlerweile habe sie die Fähigkeit, in ihrer 15-minütigen Pause komplett herunterzukommen, um „mit voller Energie an den Tisch zurückzukommen.“ Mehr habe das auch für ihr Privatleben sehr viel gebracht. Ihre Arbeitswoche hat keine sieben, sondern acht Tage. Von diesen arbeitet sie fünf Tage am Stück und hat dann auch drei aufeinanderfolgende Tage frei. Der Hauptverdienst kommt durch das Trinkgeld, welches die Spieler von ihren Gewinnen abgeben.
In der Spielbank Stuttgart kann an sieben Tagen die Woche ab 15 Uhr gespielt werden. Im Spielsaal stehen elf Tische für Roulette, fünf Tische für Black Jack und sieben Pokertische. Es können auch altmodischere Klassiker wie Baccara oder Ultimate Poker gespielt werden. Die Spielbank Stuttgart gehört zusammen mit den Casinos in Baden-Baden und Konstanz zur 2003 gegründeten Baden-Württembergischen Spielbanken GmbH & Co. KG. Die Tischlage gehört dem Staat. Das bedeutet, dass die Spielbank Stuttgart den Hauptauftrag hat, ein faires Spiel anzubieten. Als staatliches Casino muss daher auch aktiv gegen Spielsucht vorgegangen werden. Dies betrifft alle Mitarbeiter und somit auch Helai Mehr. Croupiers werden in regelmäßigen Unterrichtseinheiten darin geschult, Ansätze von Spielsucht eines Gastes sofort zu erkennen. Wird Gefahr erkannt, sprechen die Croupiers die Gäste entweder selbst darauf an oder melden das auffällige Verhalten der Spielleitung. Oftmals würden es die Gäste selbst gar nicht merken, wenn sie in eine Spielsucht verfallen, erläutert Mehr. Die Suchtprävention der staatlichen Casinos scheint erfolgreich zu sein. Zumindest habe Mehr in einem Jahrzehnt im Casino niemanden erlebt, bei dem sie den Eindruck gehabt hätte, er verspiele „sein Leben“. Ein viel höheres Risiko, süchtig zu werden, liegt ihrer Meinung nach im Automatenspiel in Spielhallen oder im Internet. Das bedeute nicht, dass es in staatlichen Spielbanken kein Suchtrisiko beim Spielen gibt. Die Verhältnisse des Spielers sollten immer als Maßstab herangezogen werden. Zehn Euro bedeuten für den einen viel und sind für den anderen nichts. „Es muss jeder in seinen Verhältnissen bleiben. Und wenn die Gäste in ihren Verhältnissen sind und dabei Spaß haben, dann ist das ok“, so Mehr. Sobald sie den Eindruck habe, jemand gehe über seine persönlichen Verhältnisse hinaus, schreite sie sofort ein. Die Suchtgefährdeten seien dann „in der Regel sehr dankbar für den Denkanstoß“.
Außer der Weißweinschorle sind nun alle Getränke da. Das Turnier läuft bereits seit circa einer Stunde. Die Spieler werden langsam mutiger. Einige von ihnen gehen nun des Öfteren All-In, setzen also alle Chips, die sie noch haben. Mehr darf gleich in die Pause. Es läuft das letzte Blatt unter ihrer Führung. Mit einem Fingertipp auf ihre rechte Schulter kündigt eine Kollegin mit leicht lockigem, blondem Haar den Wechsel an. Das Blatt ist zu Ende gespielt. Mehr steht auf und sieht immer noch wach und fidel aus.
In ihrer kurzen Pause wirkt sie ruhig und aufgeräumt. Ob es ihr auch mal unter den Fingern juckt, selbst zu spielen? „Klar“, antwortet sie. Wenn sie auf Städtereisen unterwegs sei, dann spiele sie schon mal ganz gerne. Auch, um sich die Konkurrenz ein wenig anzuschauen. Aber sie halte es hier wie ihre Kollegen auch. Sie setze sich Limits für Verluste und Gewinne. Wenn sie beispielsweise aus 100 Euro 200 gemacht hat, dann höre sie auf. „Ich weiß ja, wie es sonst laufen kann“, sagt sie. Grundsätzlich solle das Gewinnen auch nicht der Grund sein, um zu spielen. Es gehe um Spaß und Spannung. 15 Minuten sind um. Strahlend sagt sie: „Ich muss wieder an den Tisch.“ Ihre Augen glänzen.