„Wir machen hier keine Probleme, und die, die es tun, weisen wir darauf hin, es zu unterlassen.“
Tiefer. Breiter. Lauter.
Als ich im Oktober 2018 für das Studium nach Stuttgart gezogen bin, wurde ich spontan auf ein Treffen der ganz besonderen Art aufmerksam gemacht. Der Name: TTS, was für Treff Time Stuttgart steht. Am Fernsehturm können sich Liebhaber getunter Fahrzeuge und Motorräder jedes Wochenende zwischen April und September treffen. Traditionell beginnt die Saison am Karfreitag – in der Szene unter dem Synonym Carfreitag bekannt.
Von diesem Treffen wollte ich mir Ende Mai einmal ein Bild machen. Die Sonne steht an jenem Freitagabend bereits tief am Horizont und Stuttgarts Himmel verfärbt sich orange-rot. Ich setze mich in meinen Oldtimer, einen 1985er Mercedes-Benz. Aufgrund der blütenförmigen Felgen in Stuttgart ein eher hervorstechender Wagen. Was mich erwartet? Keine Ahnung.
Nach kurzer Fahrzeit erreiche ich mein Ziel. Bereits auf dem Weg zum "Turm" kommen mir deutlich auffälligere Fahrzeuge entgegen als sonst. Gegen 20 Uhr sind bereits eine Menge Autos auf dem Parkplatz abgestellt. Kennzeichen aus allen umliegenden Landkreisen sind vertreten, selbst aus der Schweiz kommt eine Gruppe. Menschen sitzen in Campingstühlen und um Autos herum, sind einfach im Gespräch. Als ich meinen Wagen abstelle, sehe ich meinen Kontaktmann wieder, der mich damals auf das Treffen aufmerksam gemacht hat: Muhammed Tunaligil. Er ist Teil der Gründungsmitglieder von TTS. Auf dem ganzen Parkplatz stehen Frauen und Männer jeder Altersgruppe, alle sehr entspannt, vor ihren Autos oder Motorrädern. Mit ihm gemeinsam gehe ich durch die Reihen von Edelkarossen mit kleineren Personengruppen davor und komme ins Gespräch. Einer davon ist Ali Hussein. Er ist regelmäßig hier und verbringt gemeinsam mit Freunden fast jedes Wochenende einen Abend am Fernsehturm. Er schätzt die einzigartige Atmosphäre bei TTS.
Die ersten Fragen sind noch über das eigene Fortbewegungsmittel, welches Baujahr und wie viel PS. Dann wird es schon persönlicher. Studierst du oder machst du eine Ausbildung? Wie gefällt dir Stuttgart? Noch immer rollen im Minutentakt aufgebrezelte Fahrzeuge an uns vorbei, man grüßt sich, winkt sich zu, selbst einem, der das aller erste Mal bei TTS vorbeischaut.
Hautfarbe, Religion, politische Einstellung – das alles scheint hier unwichtig. Es geht um ein gemeinsames Hobby, um eine Leidenschaft. Es wird gegessen und getrunken, von Alkohol jedoch weit und breit keine Spur, stattdessen werden Energydrinks durchgereicht. Ich lerne an diesem Abend mehr Leute kennen als je zuvor in Stuttgart, darunter auch Alexandra. Sie ist das erste Mal diese Saison bei Treff Time Stuttgart und hat ein Faible für japanische Automobile.
Die Tatsache, dass Treffen dieser Art auch öfters mit Problemen verbunden sind, wird auch mir nicht verschwiegen. Die Polizei zeigt Präsenz. Mehrmals am Abend rollt ein Streifenwagen durch die Parkplatzreihen. Die Situation bleibt jedoch völlig entspannt. Bevor Treff Time Stuttgart richtig durchstartete, hat man sich im P7 Parkhaus am Neckartor getroffen. Dort soll es Beschwerden gegeben haben. Burn-outs, Donuts und Lärmbelästigung wurden hier der Polizei gemeldet. Nach dem Platzverweis etablierte sich ein Tuningtreffen am Stuttgarter Fernsehturm. „Die Polizei weiß von den Treffen an der Waldau“, meint Muhammed. „Wir wollen keine Straßenrennen, sondern ein legales Treffen unter Gleichgesinnten und den Platz wieder einwandfrei hinterlassen. Hier gab es bis dato keine Probleme, wenn überhaupt nur Kleinigkeiten. Das scheint auch der Polizei aufgefallen zu sein.“
Der Begriff Burn-out steht für das Durchdrehen der Antriebsräder eines Fahrzeugs. Dadurch entsteht Rauch, Lärm und Schmutz auf der Straße und wird häufig zu Poser- oder Showzwecken veranstaltet.
Unter einem Donut versteht man ein kreisförmiges Muster auf dem Asphalt, wenn mit durchdrehenden Rädern im Kreis gefahren wird. Häufig finden Donuts bei speziellen Events, wie Driftshows, großen Anklang bei den Besuchern.
Um auch weiterhin an der Waldau bleiben zu dürfen, sich auszutauschen und einen schönen Abend gemeinsam verbringen zu können, steht das gesamte Treffen unter dem Motto: „TTS – mach kein Stress!“ Was an der berühmt berüchtigten „Poser-Straße“ Theodor-Heus im Herzen Stuttgarts jedes Wochenende zelebriert wird, soll hier keinen Platz haben. Keine Donuts, keine Straßenrennen. Stattdessen geht es um eine Gemeinschaft, die sich austauschen möchte. Hier ist kein Platz für Rassismus, kein Platz für Hetze. Hier wird allerhöchstens über die Zollgröße der Felge oder den Spoiler hitziger diskutiert, eben reine Geschmackssache.
Gegen 23.30 Uhr verabschiede ich mich von Muhammed, Alexandra, Ali und vielen Freundschaften, die ich an diesem Abend geschlossen habe. „Bis zum nächsten Mal“ und „Komm gut nach Hause“ höre ich sie noch sagen. Ich drehe den Zündschlüssel und schaue nochmals in den Rückspiegel auf den Parkplatz – ich komme wieder.