„Als ich dann sah, was so ein Smartphone alles kann, hab ich mir vor drei Jahren ein iPhone gekauft.“
Über Omas, Smartphones und Enkel
Meine Oma heißt Ursula Kemper, von allen Ulla genannt und wird dieses Jahr 84 Jahre alt. Ihre silbernen Haare trägt sie im langen Bob mit Pony. Ihre Lieblingsfarbe ist rot. Diese Farbe fehlt nur selten in ihren Outfits und in ihrer Wohnung dominiert sie. Insgesamt würde ich meine Oma als ziemlich coole Frau bezeichnen, mit ihrem eigenen Stil und immer up to date. So ist das auch mit ihr und der Technik.
Es ist Samstag, wir haben gerade den Tisch von den Überresten des vorösterlichen Brunches befreit und setzen uns auf das rote Sofa im Wohnzimmer. Fast alle haben es zum Frühstück geschafft, nur mein Onkel und mein Cousin waren bereits verplant. Von ihnen haben wir aber natürlich schon ein Selfie in die Familiengruppe auf WhatsApp geschickt bekommen. „Toll“, sagt meine Oma. Irgendwie ist also die gesamte Familie beisammen.
Auf ihrem Schreibtisch steht seit ich denken kann ein iMac und ihr iPhone 5 befindet sich Zuhause immer in ihrer Nähe. Unterwegs trägt sie es schnell greifbar in ihrem schwarzen Lederrucksäckchen verstaut. Wenn ich ihr schreibe, muss ich nicht lange auf eine Antwort warten. Manchmal besteht sie auch nur aus einer Auswahl von bunten Smileys. Und während meine Oma beim seltenen gemeinsamen Mittagessen wieder mit einem Zeigefinger auf ihrem Smartphone herum tippt, denke ich über das aktuelle edit-Thema nach. Was bedeutet die neue Form der Verbundenheit eigentlich für die Beziehungen zu unseren Großeltern? Und was bedeutet es für unsere Großeltern, ständig mit ihren Kindern, Enkeln und Urenkeln verbunden zu sein?
Das Mikrofon steht bereit, meine Fragen habe ich auf meinem iPhone geöffnet. „So Oma, dann erzähl doch mal. Was reizt dich am online sein?“ Meine Oma erklärt mir, dass sie eigentlich nicht mal so genau weiß, was es mit diesem ganzen Digitalen und der Digitalisierung so auf sich hat. Und ich merke einmal mehr, mit welcher Selbstverständlichkeit unsere Generation in die Online-Welt hineingewachsen ist. Doch trotz der offensichtlichen Verständnisschwierigkeiten hat sich meine Oma für den Kauf eines iPhones entschieden und nutzt WhatsApp täglich.
Meiner Oma fällt auch auf, dass ihre Freundinnen, alle etwa in ihrem Alter, überhaupt keine Freude an der neuen Technik finden. Zum Teil lehnen sie die Nutzung von Smartphones sogar ab. Sie mutmaßt, dass besonders der Aufwand, den Umgang mit der Technik zu erlernen, abschreckend auf ihre Freundinnen wirkt.
Und eine Grundlagenstudie des Sinus-Instituts Heidelberg beweist die These meiner Oma: 48 Prozent aller über 60-Jährigen lassen sich als „Offliner“ betiteln. Die über 70-jährigen Offliner machen sogar ganze zehn Prozent der Bevölkerung aus. Meine Oma gehört also tatsächlich einer Minderheit an.
Ich verstehe auch, dass wir geduldiger mit unseren Eltern und Urgroßeltern sein sollten. Einer Bitcom-Studie zufolge sind 67 Prozent der Zehn- bis Elfjährigen bereits im Besitz eines eigenen Smartphones. Bei den 16- bis 18-Jährigen sind es 2019 sogar 94 Prozent. Im Vergleich: Meine Oma wurde 1935 geboren. 47 Jahre später, 1983, erscheint das erste Mobiltelefon auf dem Markt. Unsere Großeltern hatten also vermutlich schon Kinder, als das erste Handy überhaupt entwickelt worden ist. Damals noch zu einem Preis, der kaum bezahlbar war.
Meine Oma erwähnt, dass Smartphones in ihren Augen etwas in der Gesellschaft verändert haben. An ihren Enkeln bemerkt sie, dass besonders das Auswendiglernen von Informationen, Gedichten, Liedern und Balladen nachlässt. Sie erzählt mir, dass sie 33 Kanons auswendig kann. Nicht nur den Refrain, den ganzen Text. „Würde ich morgen ins Gefängnis kommen“, stellt sie sich vor, „würde ich anfangen zu schreiben. Um mich nicht zu langweilen. Ich hab so viel in meinem Kopf, dass ich bis an mein Lebensende irgendetwas aufschreiben könnte.“ Wie schnell würde ich mich wohl langweilen? Die Songtexte in meinem Kopf sind meist unvollständig und auch nicht besonders zahlreich. Während dem Gespräch habe ich mir vorgenommen, in Phasen der Langeweile nicht mehr nur sinnlos auf Instagram herum zu rutschen, sondern mein Hirn aktiv zu fordern. Vielleicht auch mit dem Lernen von Gedichten.
Auch in alltäglichen Situationen bemerkt meine Oma eine Veränderung. Im Bus fällt ihr auf, dass die Mehrheit der Mitreisenden das Handydisplay vor den Augen haben oder gerade dabei sind, eine Sprachnachricht aufzuzeichnen. „Von den 15 Leuten haben mindestens zehn so ein Ding vor den Augen und jeder Dritte spricht irgendwas rein.“ Dem Knüpfen neuer Kontakte und Small Talk mit dem Sitznachbar macht die exzessive Nutzung der mobilen Endgeräte also einen Strich durch die Rechnung.
„Ich möchte es nicht mehr missen für Kommunikation. Und so ’ne persönliche Kommunikation, die wird dadurch nicht weniger.“
Aber das Smartphone wieder aus ihrem Leben verbannen? Kommt nicht in Frage! Meine Oma genießt den Luxus der kabellosen Kommunikation, es kommt ihrer Bequemlichkeit entgegen und verbindet sie mit uns, auch wenn wir Hunderte Kilometer weit entfernt sind. Wir haben die Möglichkeit, einander ganz einfach an unseren Leben teilhaben zu lassen – ohne uns Zeit für ein Telefonat nehmen zu müssen, die besonders unter Studenten wohl ein seltenes Gut ist.
Nach dem Gespräch weiß ich das Smartphone mit seinem zentralen Gedanken, dem Verbinden, noch mehr zu schätzen. Ich möchte es nun intensiver nutzen, um meiner Oma Fotos aus meinem Alltag zu schicken und mit ihr über das Leben zu quatschen. Auch weil ich weiß, dass sie sich freut von mir zu hören. Und doch geht nichts über ein persönliches Treffen. „Ich kann durch das Handy nicht das Köpfchen von dem Urenkelchen riechen. Ich glaube nicht, dass ich das Kind öfter sehen würde, wenn ich kein Handy hätte. Das ersetzt das nicht. Das ist was Zusätzliches.“