„Die Pre-Work-Party ist wie der Matcha-Latte für sieben Euro oder die Altbauwohnung in Stuttgart-West ein Thema von Privilegierten.“
Wenn die Nacht am Morgen beginnt

Draußen ist es noch dunkel, aber im Stuttgarter Stadtpalais brennt schon das Licht. Während die Stadt erwacht, erobern die ersten Gäste bereits die Tanzfläche. Der Duft von frischem Gebäck liegt in der Luft. Musik dringt durch die Eingangstür. Immer mehr Menschen werden von der morgendlichen Feierlaune angelockt. Mit einem Kaffee in der einen und einem Croissant in der anderen Hand tanzen sie sich im Rhythmus der Musik den Schlaf aus den Beinen.
Die Idee, den Arbeitstag tanzend zu beginnen, wurde unter anderem durch das New Yorker Veranstaltungsformat „Daybreaker“ bekannt. Mit elektronischer Musik, Yoga-Sessions und gesunden Snacks soll die alkoholfreie Morgenparty einen bewussteren Start in den Tag ermöglichen. Schnell entwickelte sich die Bewegung zu einem internationalen Phänomen und fand in europäischen Städten wie London, Paris oder Berlin Anklang. Jetzt springt auch Stuttgart auf den neuen Trend auf.
Erst das Vergnügen, dann die Arbeit!
Im Café des Stadtpalais, dem Museum für Stuttgart, treffen sich Frühaufstehende, um vor der Arbeit gemeinsam zu tanzen und zu feiern. Die Pre-Work-Party „Palais Avant“ soll dabei eine Alternative zur klassischen Clubkultur bieten.
Martin Labacher ist Kreativleitung des „Im Wizemann“, das das Café im Stadtpalais betreibt. Er erklärt, wie die morgendliche Party bewusst anders gestaltet ist als eine Clubnacht: „Der größte Unterschied ist natürlich die Uhrzeit und dass es keinen Alkohol gibt.“ Das Café ist kein dunkler Techno-Club, und die DJs legen statt klassischem Hip-Hop eine Mischung aus Soul und House auf.
Eine bestimmte Zielgruppe hatte das Veranstaltungsteam beim Start des Konzepts nicht vor Augen. Umso überraschender sei dann das Publikum der Pre-Work-Party gewesen. „So eine Zusammensetzung hatte ich noch nie bei einer Veranstaltung“, verrät der Kreativleiter. Von Studierenden bis zu Menschen über 50 Jahren waren alle Altersgruppen vertreten.
Soziale Exklusion statt Inklusion?
Insgesamt sei die Resonanz auf die Morgenparty positiv gewesen, in den sozialen Medien habe es aber auch Kritik gegeben, berichtet Martin Labacher. Auch wenn die Arbeitsmöglichkeiten immer flexibler werden, kann es sich nicht jede Person zeitlich leisten, morgens zu feiern. „Die Pre-Work-Party ist wie der Matcha-Latte für sieben Euro oder die Altbauwohnung in Stuttgart-West ein Thema für Privilegierte“, ist sich der Kreativleiter bewusst.
Jette Völker, Arbeits- und Organisationspsychologin an der Universität Mannheim, gibt zu bedenken: „Homeoffice und flexible Arbeitszeiten sind vor allem in wirtschaftlich stärkeren und akademischen Bereichen verbreitet, da zum Beispiel ein Großteil der Wissensarbeit digital und zeitlich flexibel erledigt werden kann.“ Andere Berufe wie in der Gastronomie oder in der Produktion seien dagegen stärker an einen konkreten Arbeitsort und feste Arbeitszeiten gebunden. In der Folge würden bestimmte Berufsgruppen gar nicht von der Flexibilisierung der Arbeitswelt profitieren und bestehende sozioökonomische Unterschiede könnten sich weiter verschärfen.
Taktwechsel im Alltag
Die Pre-Work-Party findet zu einer Zeit statt, in der Routinen durchbrochen und neue Freiräume zwischen Alltag und Arbeit gesucht werden. Derzeit spielt der Wertewandel in der Arbeitswelt eine große Rolle. Vor allem Werte wie Eigenständigkeit und Flexibilität gewinnen an Bedeutung. Die Menschen wollen Beruf und Privatleben in einer guten Work-Life-Balance besser in Einklang bringen und sich gleichzeitig selbst verwirklichen. Das bestätigt auch der Randstad Workmonitor 2022: Demnach wünschen sich weltweit 83 Prozent der 35.000 befragten Arbeitnehmenden flexible Arbeitszeiten. Vor allem Menschen im Alter von 18 bis 44 Jahren würden einen Job nur annehmen, wenn dieser zeitliche Flexibilität ermöglicht.
Jette Völker beobachtet ebenfalls eine Zunahme von Arbeitsmodellen, bei denen die Menschen flexibler arbeiten können. Dies sei teilweise auf die Corona-Pandemie zurückzuführen, in der Arbeitsmodelle wie Homeoffice und Remote Work notwendig wurden und sich stark verbreiteten. „Ich denke, dass viele Personen diese örtliche und zeitliche Flexibilität zu schätzen gelernt haben und daher auch in Zukunft weniger bereit sind, darauf zu verzichten.“ Formate wie Pre-Work-Partys zeigen ihr, dass die Tagesgestaltung vieler Menschen heute flexibler ist als früher.
Der Morgen macht den Unterschied
Viele junge Menschen im Alter von 14 bis 34 Jahren fühlen sich von ihrem Arbeitsalltag gestresst. Morgensport oder Achtsamkeits- und Reflexionsübungen können dabei helfen, mit Stresssituationen während des Arbeitstages besser umzugehen, rät Jette Völker. „Generell ist es eine sehr gute Idee, den Morgen bewusst zu gestalten, um optimal in den Tag zu starten“, erklärt die promovierte Psychologin. Wenn Veranstaltungen wie die Pre-Work-Party also für mehr Bewegung vor der Arbeit sorgen und positive Erlebnisse schaffen, könnten sowohl das persönliche Wohlbefinden als auch die Arbeit davon profitieren.
Auch Martin Labacher stellt fest, dass sich die Menschen insgesamt mehr für Gesundheit und Lifestyle interessieren. Es bleibe aber abzuwarten, ob die Pre-Work-Party ein vorübergehender Trend oder ein fester Bestandteil des Alltags werde. Letztlich soll die morgendliche Feier seiner Meinung nach vor allem eines: „Für einen guten Start in den Tag sorgen.“
Die Sonne ist längst aufgegangen, und vor dem Stadtpalais herrscht geschäftiges Treiben. Während draußen der Stadtverkehr in Gang kommt, kehrt im Museumscafé allmählich Ruhe ein. Die Tanzfläche hat sich geleert. Das letzte Lied ist verklungen. Auch die ausdauerndsten Partygäste machen sich nun auf den Weg. Mit wachem Blick und etwas mehr Leichtigkeit beginnt nach dem frühen Tanzen der Arbeitstag.