Fangirling ermöglicht Mädchen und jungen Frauen, die Teile ihrer Identität anzunehmen, die in einer patriarchalischen Kultur trivialisiert werden.
Zwischen Stereotypen und Leidenschaft
Federboas, Glitzer, Tränen und Gesang, den man noch weit über die Stadionmauern hinaus hört – das sind die Markenzeichen eines Harry Styles Konzerts. Um dabei einen Platz in der ersten Reihe zu ergattern, campen viele schon Tage vor Beginn vor der Veranstaltungsstätte und nehmen nicht selten lange Anfahrtswege in Kauf. Andere haben Tattoos von Songtexten, posten auf sozialen Medien Content über ihr Idol oder schreiben Fanfiction. Fanliebe, oder in Bezug auf weibliche Fans „Fangirling“, hat viele Facetten.
In der Presse und in den sozialen Medien außerhalb der Bubble trifft solches Verhalten oft auf Unverständnis. Im Juni 2023 hat der Bayrische Rundfunk in seinem Format „kontrovers“ drei Harry Styles Fangirls bei einem seiner Konzerte in München begleitet. Die drei jungen Frauen warteten 34 Stunden vor Konzertbeginn am Münchner Olympiastadion und gaben dabei über 100 Euro für Fanartikel des britischen Pop-Sängers aus. Es reicht sogar so weit, dass Fans eigene Nummer-Systeme organisieren, die beim Anstehen in der Reihe bestimmte Plätze sichern sollen. Die Frage hinter der Doku und dem dazu veröffentlichten Artikel: Ab wann ist Fankult toxisch?
Wann ist man eigentlich ein Fan?
Grundsätzlich spricht nichts dagegen, jeden Menschen, der sich als Fan von etwas bezeichnet, auch als einen anzuerkennen. Sucht man aber nach einer wissenschaftlichen Definition, so kann man Fans als Personen verstehen, die „eine leidenschaftliche Beziehung zu einem für sie externen, entweder personalen, kollektiven oder gegenständlichen Fanobjekt haben und in die emotionale Beziehung zu diesem Objekt Geld und Zeit investieren“.
(Quelle: Schäfer/Roose, 2005)
Nicht selten werden vor allem Harry Styles Fangirls für ihren Musikgeschmack belächelt und als hysterisch bezeichnet. „Fan-Aktivitäten finden heutzutage größtenteils in den sozialen Medien statt“, meint Victoria Cann, Professorin für Gender Studies an der University of East Anglia im englischen Norwich. „Massenmedien suchen in den sozialen Medien dann nach Beispielen für Fan-Aktivitäten und reißen diese aus dem Kontext, um auf die Probleme der Fangemeinde hinzuweisen oder um Antworten auf die Frage zu finden, ob diese Fangirls verrückt sind“.
Warum nur Fangirls so dargestellt werden, fragt sich auch Luisa. Sie bezeichnet sich selbst als Fangirl von Harry Styles, war bereits auf einigen Konzerten von ihm und produziert selbst TikTok-Content rund um ihn.
Alles eine Frage der Misogynie?
Der Unterschied zwischen Fußballfans, die grölen, wenn „ihre“ Mannschaft auf das Feld läuft und Fangirls, die kreischen, wenn Harry Styles die Bühne betritt, liegt im kulturellen und gesellschaftlichen Kontext. Laut der Kulturwissenschaftlerin Svenja Reiner sei es kein Zufall, dass Aktivitäten und Interessen von (jungen) Frauen in unserer patriarchalen Gesellschaft weniger Wert zugeschrieben wird als bei Männern. Oft würden dann noch bekräftigende Argumente herangezogen, beispielsweise, dass Fußball ein Sport sei und damit gut für den Körper, womit Sportfans eine größere Akzeptanz erfahren. Bei genauerer Betrachtung sind die Unterschiede zwischen beiden Fandoms gar nicht so groß: Fußball- wie Popfans tanzen, singen, schreien, tragen Fan-Merch und zahlen oft hohe Ticketpreise. Es wird geweint, gelacht, sich in den Armen gelegen. Und trotzdem würde niemand über Fußballfans sagen, dass sie „zu viel“ sind.
Laut Reiner wird auch dem Begriff „Fan“ eine andere Qualität zugeordnet. Historisch betrachtet ist allein schon in dem Begriff eine negativ gegenderte Bedeutung zu erkennen: „Fans“ wurde erstmals benutzt, um Theaterbesucherinnen zu bezeichnen, denen nachgesagt wurde, dass sie nicht wegen der Kunst das Theater besuchen würden, sondern wegen der Attraktivität der Schauspieler. Auch die „Beatlemania“, rund um die Band The Beatles in den 1960er-Jahren wurde von weiblichen Fans geprägt: Ohnmachtsanfälle und Kreischen, das so laut war, dass sich die Band bei Auftritten selbst nicht mehr hören konnte, sollte von der Hysterie der Fans zeugen. Fangirls sind also keinesfalls ein zeitgenössisches Phänomen, sondern höchstens verstärkt durch das Internet und die sozialen Medien, die eine weltweite Vernetzung von Fans erlauben. Trotzdem sind die Stereotypen geblieben, allen voran die Vorstellung, dass sich die Mädchen und jungen Frauen nicht mit der Kunstform an sich beschäftigen, sondern nur auf den Künstler stehen würden. „Fangirls werden zu hysterischen, nach jungs-verrückten Wesen vereinfacht, die sich nicht mit der eigentlichen Kunst der Musik auseinandersetzen. Aber Fandoms sind viel komplexer“, so Cann. Bei Harry Styles Fangirls geht es neben seiner Musik und seinen Filmen vor allem um die Gemeinschaft.
Das Fandom als Safe Space
Auf Konzerten werden Freundschaftsarmbänder ausgeteilt, es wird gemeinsam getanzt, gemeinsam geweint oder eine Polonaise durch den Stehplatzbereich gestartet. Harry Styles bittet sein Publikum Spaß zu haben, interagiert mit mitgebrachten Plakaten und macht Witze. „Neben seiner Musik bewundere ich am meisten seine Freundlichkeit gegenüber seinen Fans und die Atmosphäre, die er besonders bei seinen Konzerten schafft. Ich glaube, besonders als Frau ist so ein Konzert voller Frauen und dann so einen Mann da stehen zu haben, der so positiv ist und so begrüßend gegenüber allen, einfach schön. Das ist ein totaler Safe Space, den er da für Frauen und junge Mädchen kreiert hat“, bewundert Nina, die selbst seit einigen Jahren Harry Styles Fan ist. Und das Fangirling kann nicht nur neue Freundschaften fördern, sondern auch bestehende verstärken: ob im Großen durch gemeinsame Trips zu Konzerten oder einfach nur durch das gemeinsame Schwärmen oder das Hin- und Herschicken von TikToks. Und das ist es, was Fangirling im Allgemeinen ausmacht: Es ist eine besondere Art einer Fangemeinde, die auf die Freuden des Weiblichen zurückgreift, besonders auf die Kreativität in Form von Tanzen, Outfits nähen oder Freundschaftsarmbänder basteln und vielem mehr. „Fangirling ermöglicht Mädchen und jungen Frauen, die Teile ihrer Identität anzunehmen, die in einer patriarchalischen Kultur trivialisiert werden. In gewisser Weise liegt eine Macht darin, dass diese Mädchen das Weibliche annehmen und sagen können: Es ist mir egal, dass du das doof findest, ich habe Spaß“, erklärt Cann.
Die Grenzen
Bei all der Freude ist bei den meisten Fangirls aber eines klar: Die Obsession hat ihre Grenzen. Erst kürzlich wurde eine 35-Jährige zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, weil sie Harry Styles in weniger als einem Monat 8.000 Karten zugeschickt hat, berichtete das britische Boulevardblatt Metro. Außerdem wurde eine einstweilige Verfügung gegen sie verhängt. Fangirling darf die Grenze nicht überschreiten, bei der man sich als Fan oder sein Idol in Gefahr bringt, pflichtet Luisa bei: „Das ist eine Grenze, bei der ich sage, das ist kein Fan-Sein mehr. Da sollte man sich selbst hinterfragen, ob das noch normal ist oder ob man eine krankhafte Obsession mit der Person hat. Da muss man auf jeden Fall Grenzen ziehen zwischen ‚normal guten Fans‘ und den Fans, die der Person dann irgendwie auch Schaden zufügen. Ich finde, da hört auch der Spaß auf“. Aber wenn diese Grenze nicht überschritten wird, bleibt genau das bei den Fangirls: der Spaß.