Geschlechterrollen

No make-up, no problem

Alle Frauen mögen Make-up? Das Klischee kann man sich abschminken. Meistens fühle ich mich ohne Make-up wohler.
25. Febr. 2022
Alle Frauen haben eine schöne Schrift, lieben die Farbe pink und tragen viel Make-up? Ganz bestimmt nicht. Ein Essay über typische Mädchen-Klischees.

„Du könntest richtig was aus dir machen. Eigentlich bist du ja nicht hässlich.“ „Sorry, aber für ein Mädchen hast du echt eine hässliche Schrift.“ Solche Sprüche musste ich mir von ehemaligen Schulkameraden und Ex-Freunden anhören. Aber wieso sollte man, wenn man weiblich ist, eine schöne Schrift haben? Wieso sollte man sich gerne „hübsch“ machen wollen? Ich habe nach solchen Sprüchen an mir gezweifelt. Ich habe mich davon sehr beeinflussen lassen und versucht, mich anzupassen.

„Du könntest richtig was aus dir machen!“

anonym

Auch bei Themen wie Fashion oder Beauty merke ich dieses Anderssein. Sie interessieren mich wenig bis gar nicht. Wenn ich mit einem neuen Kleidungsstück meine Familie besuche, werde ich oftmals gefragt „Ist das jetzt in Mode?“ Ich denke mir: Woher soll ich das wissen? Ich zucke mit den Schultern: „Keine Ahnung, kann sein.“

Das mag vielleicht komisch klingen. Den Geschlechterklischees und auch der Mehrheit meines Bekanntenkreises zufolge mögen viele Frauen Fashion und Beauty. Ich finde es auch schön, wenn man sich dafür begeistern kann. Nur frage ich mich in diesen Momenten, ob ich von einem anderen Stern bin?

Typisch Mädchen

Es ist ja nicht so, dass an mir gar nichts „typisch girly“ ist. Ich trage im Sommer gerne Kleider mit Blümchenmuster. Und auch ein Hobby von mir ist den Stereotypen nach ziemlich girly: Ich bin Cheerleader. Die Outfits sind das, was viele Mädchen und Frauen lieben: Glitzerhaarschleife, Glitzerschminke und Glitzeruniform. Mir geht es allerdings eher um den Sport selbst, als um das Äußere.

Doch auch wenn die Mädchenklischees manchmal auf mich zutreffen, fühle ich mich einfach nicht girly. Ich habe verschiedene Dinge ausprobiert, um mich anzupassen. Ich wollte dazugehören und mitreden können. Dafür habe ich mir sogar Plastiknägel auf meine Nägel geklebt. Seitdem weiß ich: Ich kann lange Fingernägel nicht ab. Damals dachte ich allerdings: Vielleicht mag ich es ja doch? Ich gab den Nägeln eine Chance. Doch ich habe es gehasst.

Tomboy vs. Girly-Girl

Neulich habe ich – just for fun – einen Persönlichkeitstest gemacht, der einem sagt, ob man ein „Girly-Girl“ oder ein „Tomboy“ ist. Selbstverständlich sollte man solchen Tests keine große Aufmerksamkeit schenken, weil sie einen in Schubladen stecken. Die meisten Frauen sind weder das Eine, noch das Andere. Doch diesen Spaß habe ich mir erlaubt. Bei diesem Test wird nach Themen wie Kleidungsstil, Make-up oder Nailstyle gefragt. Man muss sich dann für eine Seite entscheiden: Tomboy-Look oder Girly-Girl-Look. Nach diesem Test bin ich definitiv ein Tomboy. Dabei sollte man allerdings bedenken, dass es nicht nur schwarz und weiß gibt. Frauen sind nicht ausschließlich Tomboys oder Girly-Girls.

Der Begriff „Tomboy“

Frauen oder Mädchen – insbesondere im vorpubertären Alter – werden als Tomboys bezeichnet, wenn sie nicht ins klassisch feminine Rollenbild passen. Sie bevorzugen Hobbys, denen stereotypisch überwiegend Jungs nachgehen. Oft treten sie zusätzlich eher „maskulin“ auf.

Quelle: Collins Dictionary

Laut Gender-Theoretiker Jack Halberstam streben einige Tomboys bereits im vorpubertären Alter danach, männlich sein zu wollen. Gründe dafür seien unter anderem die Freiheiten, die Jungs genießen. Sie möchten unabhängig sein. Denkt man an Tomboy-Figuren in Büchern oder Filmen, findet man einige Vorbilder. Arya Stark von der Serie „Game of Thrones“ ist ein gutes Beispiel dafür. Sie weigert sich, den stereotypisch mädchenhaften Hobbys nachzugehen und bevorzugt es, mit dem Schwert zu kämpfen.

In meiner Kindheit probierte ich verschiedene Hobbys aus – stereotypisch mädchenhafte Hobbys und weniger „weibliche“ Hobbys. Natürlich nicht nach diesen Kriterien, ich suchte sie mir nach Gefühl aus. Mir gefielen unterschiedliche Dinge, beispielsweise Tanzen und Kickboxen. Eines meiner Highlights war Bogenschießen. Das konnte ich in einem Familienurlaub in Italien ausprobieren.

Bei einem Camping-Urlaub in Italien durfte ich Bogenschießen ausprobieren.

Zugegeben, es hat eine Weile gedauert, bis ich mich so angenommen habe. In meiner Kindheit und Jugend hatte ich ausschließlich weibliche Freundinnen. Sie hatten einige klischeehafte Mädcheninteressen. Dadurch habe ich sehr oft bemerkt, dass ich bei vielen Sachen anders ticke. Ich verstand nicht viel von Schminke oder Handtaschen.

Manchmal tat ich auch einfach so, als wäre ich an diesen Dingen interessiert. Ich versuchte mich in Mode und Make-up. „Du kannst dich ruhig stärker schminken. Sieht doch voll gut aus“, meinte meine damalige Freundin. Ich fand allerdings, dass ich eher aussah wie ein trauriger Zombie: Das Augenlid in verschiedenen Grau- und Schwarztönen geschminkt. Dazu noch Mascara. Es hat einfach nicht zu mir gepasst. Ich quetschte mich in die Rolle, war mir im Spiegel jedoch fremd.

„Du kannst dich ruhig stärker schminken.
Sieht doch voll gut aus!“

anonym

Mangel in MINT-Fächern

Das Problem von Mädchen oder jungen Frauen, die sich nicht trauen, andere Interessen zu haben, zeigt sich auch an dem geringen Anteil von weiblichen Studentinnen in MINT-Fächern (MINT = Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik). Laut dem Statistischen Bundesamt steigen die Anteile zwar pro Jahr leicht an, verglichen mit allen eingeschriebenen Studierenden sind es allerdings immer noch sehr wenige. Im Wintersemester 2020/2021 waren in Deutschland insgesamt rund 1,1 Millionen Student*innen in MINT-Fächern immatrikuliert. Davon waren knapp 350 000 weiblich. Das sind nicht mal ein Drittel.

Diese Zahlen sind nicht verwunderlich, wenn man in seinem Umfeld als Frau überwiegend von rollenspezifischen Themen umgeben ist. Wie soll sich früh ein Interesse für ein „frauenuntypisches“ MINT-Fach entwickeln, wenn es in der Kindheit kaum Bezüge dazu gibt? Ich finde, da ist noch sehr viel Luft nach oben. Die klassischen Rollenbilder gehören dringend unter den Teppich gekehrt. Wieso stellt man Hobbymöglichkeiten für Kinder und Jugendliche nicht geschlechtsunabhängig vor?

Wo bleibt die Gleichberechtigung?

Eine Umfrage vom Weltfrauentag (8. März) 2020 vom SINUS-Institut ergab zudem: Männer genießen mehr Vorteile in der Gesellschaft. Knapp 70 Prozent der Frauen sind dieser Meinung, während nur etwa 40 Prozent der teilnehmenden Männer die Aussage bejahen. Wieder nicht verwunderlich, wenn man mich fragt.

Diese Ergebnisse machen mich jedes Mal aufs Neue wütend, weil wir im Jahr 2022 immer noch so weit von Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern entfernt sind. Mich wundert es nicht, dass es möglicherweise auch aus diesem Grund „Tomboys“ gibt, die keine Lust auf die ganzen Nachteile haben und sich dieselbe Freiheit wünschen, wie die meisten Jungs sie haben.

Als Kind ein Tomboy zu sein ist vermutlich weniger problematisch als in der Pubertät. Zumindest sieht ein Teil der Gesellschaft untypisches Geschlechterverhalten nicht gerne. Für die Gleichberechtigung der Geschlechter ist das Tomboy-Verhalten nicht problematisch. Jedoch kann es für diese Mädchen und heranwachsenden Frauen schwierig sein, wenn sie anecken oder nicht mitreden können.

Für mich steht fest: Ich werde mich nicht mehr aus Gruppenzwang in eine Girly-Girl-Rolle drängen lassen. Dann hab‘ ich halt keine Ahnung von Make-up – so what? Ich würde mir wünschen, dass es keine Rolle spielt, ob man die gesellschaftlich akzeptierten Geschlechterklischees erfüllt oder nicht. Du magst als Mann lackierte Nägel? Hammer. Du magst als Frau Shooter-Games? Auch cool. Also lassen wir doch bitte die Schubladen einfach weg, okay?