„Man macht es für uns in Deutschland relativ komplex, weil für die Planung eines Schienennetzes andere zuständig sind als nachher für den Betrieb.“
Ohne sie steht die Stadt still
Neustarten. Passwort eingeben. „Hallo Amigo“.
So startet eine Arbeitsschicht für Antje Walz. Amigo hat nichts mit ihrer Arbeit zu tun, Amigo ist ihr Pferd. Die acht Bildschirme, auf denen er nach der Anmeldung angezeigt wird, dafür umso mehr. Antje Walz ist Disponentin bei der S-Bahn Stuttgart und sorgt dafür, dass nach einer Störung alles so schnell wie möglich wieder in den Normalbetrieb übergeht. Normalbetrieb sind bei der S-Bahn Stuttgart 400.000 Reisende auf sechs Linien, 758 Zugfahrten und 30.000 gefahrene Kilometer pro Tag. Um dieses Netz zu überwachen, braucht sie ihren Netzplan mit Live-Übersicht. Wer da mit ungeschultem Auge mal schnell seine morgendliche Verbindung von Bad Cannstatt zur Universität verfolgen will, hat schon verloren. Für Antje Walz sind die zahllosen Linien, blinkenden Symbole und sich bewegenden Zugnummern längst Alltag. Genauso wie die täglichen Telefonate mit ihren Lokführern.
Als sie vor fünf Jahren angefangen hat, wurde ihr gesagt: „Erst in zwei Jahren hast du das Netz wirklich verinnerlicht. Du weißt, wo es stockt, du weißt, wo es Konflikte geben könnte.“ Und Konflikte gibt es im täglichen Verkehr mehr als genug. Dabei ist dann immer schnell der Betreiber der Bahnen Schuld.
Wie viele Züge pro Stunde fahren sollen, entscheidet aber gar nicht die Bahn oder die SSB, sagt Manfred Wacker von der Universität Stuttgart. Er ist stellvertretender Studiengangsleiter im Fach Verkehrswesen und Verkehrsleittechnik.
Betreiber wie die Bahn haben also wenig Mitspracherecht. Entscheidungen rund um den Fahrplan treffen sogenannte Gebietskörperschaften, in diesem Fall der Verband Region Stuttgart. Dass dieses Netz überlastet ist, wissen auch sie. Mit der aktuellen Taktung ist man allerdings schon jetzt am Anschlag. Da bleiben für jede Bahn pro Einfahrt, Halt und Ausfahrt nur zweieinhalb Minuten. Gerade auf der Stammstrecke zwischen Hauptbahnhof und Schwabstraße ist das nicht viel Zeit. In anderen Städten wie München wird das über einen doppelten Bahnsteig gelöst – während Fahrgäste zur einen Seite aussteigen, steigen auf der anderen Seite gleichzeitig neue ein. Das spart Zeit.
Das weiß aber natürlich kaum einer. Viele Pendler fordern deswegen noch immer mehr und längere Züge. Egal wie, eine Änderung muss her. Denn nicht nur die steigende Pendlerzahl wirkt sich auf U- und S-Bahn aus, auch die Straßen werden noch voller – eigentlich kaum vorstellbar. „In Stuttgart sind grob geschätzt halb so viele Leute im ÖV unterwegs wie im PkW-Verkehr. Es ist unrealistisch […] anzunehmen, dass ein Verkehrsmittel die Verkehrsnachfrage alleine tragen kann“, sagt Manfred Wacker.
Es ist 7.57 Uhr. Hauptverkehrszeit (HVZ) am Morgen. Antje Walz hat vor einer knappen Stunde die Disposition übernommen. Tag und Nacht sitzt hier jemand. Es ist ein ruhiger Morgen, kleine Störungsfälle, nur eine S-Bahn hat momentan 17 Minuten Verspätung. Da bleibt genug Zeit, sich mit den Kollegen auszutauschen.
„Am besten ist es wirklich, wenn wir einfach den Rücken zum Bildschirm haben und miteinander schwätzen, weil dann läuft's draußen.“
Man kennt sich hier. Wer auf dunkelheitssüchtige Einzelgänger mit viereckigen Augen tippt, hat nur zur Hälfte Recht: Sie alle lieben die Dunkelheit, nur Bildschirmlicht erleuchtet den Raum in Karlsruhe. Hier sitzt die Transportleitung der Deutschen Bahn, auch zuständig für den Raum Stuttgart. Einzelgänger sind sie allerdings auf keinen Fall. Viel mehr wirkt die S-Bahn wie eine große Familie. Da wird es auch mal laut. Es muss nur eine Störung oder Vollsperrung geben. „Bei der S-Bahn geht es halt von 0 auf 100 in einer Sekunde.“ Auch wenn es an diesem Morgen nicht so ist, kennt Antje Walz die Situation.
Momentan müssen die Stuttgarter Pendler kämpfen. Störungen häufen sich, fast wöchentlich fällt genau die eine S-Bahn aus, die man braucht. Laut Reinhold Willing, Pressesprecher der S-Bahn Stuttgart, sind es aber nicht mehr Störungen als sonst. Sie treten gerade einfach häufiger zur HVZ am Morgen oder Abend auf. Gründe dafür können vorausfahrende Züge sein, denn die S-Bahn muss sich 50 Prozent ihrer Strecke mit dem Regional- und Fernverkehr teilen. Hier gilt: Schnell vor langsam und dann muss die S-Bahn warten.
Natürlich treten auch immer wieder Störungen nach Baustellen auf. Der größte Verspätungsfaktor sind aber oft wir Passagiere selbst. Während einzelne Zugabteile völlig leer bleiben, kommt es in der Nähe von Treppen häufig zu Ballungen. Auch beliebt: „Mein Freund muss sich noch schnell ein Ticket ziehen und ich halte für ihn die Tür auf.“ Eine kleine Verspätung auf der Stammstrecke kann da schnell Konsequenzen für das gesamte Netz haben. Und bei den Reisenden an anderen Haltestellen wächst der Frust. Irgendwo verständlich.
Die meistbenutzte Variante der Beschwerde sind die sozialen Medien. In der anonymen Welt fehlen dabei häufig Werte wie Benehmen. Antje Walz schaut sich immer mal wieder die Facebookseite der VVS an. Freude ist etwas anderes.
„Man sollte immer daran denken, es sind Menschen dahinter, es sind keine Maschinen.“
Freude sieht man dann in Antje Walzs Augen, wenn sie von ihrer Arbeit spricht. Etwas am Leben halten, das schafft sie mit ihrem Beruf. Aber nicht nur sie, insgesamt arbeiten allein bei der S-Bahn 600 Leute daran, uns täglich von A nach B zu bringen.
Und Amigo natürlich irgendwie auch.