So sehr es auch schmerzt
Inhaltswarnung für Leser*innen:
Dieser Artikel kann Themen enthalten, die als diskriminierend und verletzend empfunden werden könnten. Der Text beschäftigt sich mit folgenden sensiblen Inhalten: Verschwörungstheorien und Beschreibung über brutale Praktiken an Kindern. Bitte sei dir dessen bewusst und lies den Artikel entsprechend deiner persönlichen Sensibilität. Unsere Absicht ist es, respektvoll und einfühlsam zu berichten, um die Würde der betroffenen Personen zu wahren.
Ich will nicht darüber schreiben, dass Verschwörungstheorien grober Unfug und gefährlich sind. Das wurde schon zur Genüge getan. Vielmehr geht es mir in diesem Artikel darum, weshalb es so schwierig ist, gegen Verschwörungstheoretiker vorzugehen und warum es kein Gesetz geben sollte, das ihnen den Mund verbietet.
Vage formulierte Mythen
Xaiver Naidoo behauptet beispielsweise, derzeit würden weltweit Kinder aus den Händen pädophiler Menschen befreit werden. Diese seien organisiert und sollen – so die Theorie – die Kinder foltern, um an das Adrenalin in ihrem Blut zu kommen. Das würde dann getrunken, da dies angeblich den Alterungsprozess stoppe.
Das sind krasse Vorwürfe. Und auch sehr vage. Wahrscheinlich absichtlich so formuliert, weil man entweder nicht mehr weiß oder niemanden persönlich angreifen möchte. Und genau darin liegt aus juristischer Sicht das Problem. Denn solange nicht die Ehre einer konkreten Person verletzt wird oder volksverhetzende Aussagen geäußert werden, sind auch solche schlimmen Vorwürfe wie im Beispiel oben von Artikel 5 des Grundgesetzes abgedeckt.
Art. 5 GG
Darin heißt es: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.“ Und ich bin froh darum, dass es in Deutschland dieses Gesetz gibt. Nicht, weil dann auch Spinner ihre Meinung teilen können – denn solche Behauptungen verletzen und ärgern mich. Nein, wir müssen hier nämlich keine Angst haben, im Gefängnis zu landen, wenn man sich in der Öffentlichkeit gegen die Mehrheitsmeinung stellt. Allerdings müssen wir uns auch an ein paar Spielregeln halten.
Also macht die Bundesregierung wirklich nichts?
Natürlich darf auch in Deutschland nicht alles einfach so gesagt werden. Der mittlerweile verstorbene Neonazi Ernst Zündel vertrieb zum Beispiel Texte und Filme, die den Holocaust leugnen oder verharmlosen. Den systemischen Mord an circa sechs Millionen Juden in ganz Europa zu leugnen, ist nach Artikel 130 Strafgesetzbuch verboten. 2007 verurteilte das Landgericht Mannheim Zündel deshalb wegen Volksverhetzung zur Höchststrafe von fünf Jahren Haft.
2015 kursierte auf Facebook ein wörtliches Zitat, das angeblich von Grünenpolitikerin Renate Künast stammt. In diesem Zitat wird Pädophilie verharmlost. Künast wurde daraufhin für mehrere Jahre in sozialen Medien beschimpft und beleidigt. Dieses Zitat ist allerdings frei erfunden und im April 2020 ließ das Oberlandesgericht Frankfurt eine Unterlassungsklage zu.
Allerdings ist eine Klage nicht immer erfolgreich: Gegen Xavier Naidoo und Kool Savas wurde 2012 aufgrund eines Liedtextes Anzeige erstattet. Der Song handelt von angeblich stattfindenden satanischen Ritualen. Der Text ist homophob und soll volksverhetzend sein. Die Staatsanwaltschaft Mannheim sah jedoch keinen ausreichenden Verdacht der Volksverhetzung und leitete kein Ermittlungsverfahren ein.
Was kann man also tun?
Diese Beispiele zeigen, dass man für verschwörungstheoretische Inhalte durchaus bestraft werden kann. Aber meistens ist es ein langer Weg bis dorthin. Und oft genug wird nicht weiter ermittelt, da laut Gesetz keine strafbare Handlung vorliegt. Heißt das also, dass man nicht stärker gegen Leute vorgehen kann, die nicht an den menschgemachten Klimawandel glauben und Chemtrails für wahr halten?
Juristisch gesehen: ja. Und das ist auch gut so. Wir leben in Deutschland in einer Demokratie. Und eine Demokratie baut auf Diskurs auf. Alle Meinungen müssen zunächst toleriert, aber nicht akzeptiert werden, solange sie nicht gegen das Gesetz verstoßen. Des Weiteren geht es darum, dass Verschwörungstheorien keine Mehrheitsmeinungen werden. Dazu sagte mir in einem Interview Derman Aktas-Paszkiet, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht in Münster Folgendes: „Es liegt an uns, diese Positionen argumentativ zu entkräften und sich dagegenzustellen. Das ist Demokratie. Auch wenn uns das nicht gefällt, wir können das nicht untersagen.“