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Das Gespenst der woken, linken Bubble

Ein Gespenst neben einem Stapel Bücher.
Wie ein Gespenst schwebt der Kampfbegriff der woken, linken Bubble über jeder Diskussion. | Quelle: Paulina Kock
23. Nov. 2022
Was geht schon wieder auf Twitter ab? Zwischen all den Hashtags, Bots und der Hassrede verliert man häufig den Überblick. Diese Kolumne soll dir genau den wieder geben. Gratis mit dabei: Ganz viel Meinung.

„Und meine Puffmama heißt Layla…“. Mir hängt das Lied zum Hals raus. Aber nicht, weil ich es für besonders sexistisch halte oder es verboten gehört, sondern weil mich die ganze Debatte um das Lied in den Wahnsinn treibt. Soweit schon, dass ich allein bei der Nennung des Namens Layla aus dem Fenster springen will. Egal welcher Veranstaltungsort, ob WG-Party, Clubbesuch oder Wasen: Fließt Alkohol, hat die Puffmama ihren Auftritt.

Anstatt Layla ein direktes Hausverbot zu erteilen, möchte ich sie vielmehr dazu einladen, den Hintergrund dieser Debatten zu analysieren. Schließlich ist Layla nie einer Zensur des Staates zum Opfer gefallen, sondern hat  „nur“ den Veranstalter gegen sich aufgebracht. Dass das eine Stadt war und somit eine staatliche Institution, stellte sich als Laylas Glück heraus: Schließlich wurde sie so zum Sommerhit mit 60 Millionen Streams. All die tapferen Zuhörer*innen, die fleißig streamten, haben sich für ein gemeinsames Ziel zusammengefunden: Sie wollten sich gegen die „woke, linke Bubble“ positionieren, die ihnen jetzt noch den Schlager nehmen wollte.

Winnetou: Opfer der antiwoken Bubble

Die „woke, linke Bubble“ ist ein Kampfbegriff geworden. Er impliziert, dass eine kleine, aber meinungsstarke Gruppe die Medien so kontrolliert, dass sie beeinflussen können, was gesendet oder besprochen wird. So auch bei Winnetou, wo sich mein Vater lauthals beschwerte, dass sie ihm jetzt noch seinen heißgeliebten Helden nehmen würden. Dabei hat eine Recherche der Content-Agentur Scompler ergeben, dass es vor der Rücknahme des Buches „Der junge Häuptling Winnetou“ keinen linken Shitstorm gab. Ganz im Gegenteil: Der erste Shitstorm wurde von Konservativen losgetreten, die sich gegen die angebliche „Zensur“ positionieren wollen. Und das erst, nachdem unser Lieblings-Hetze-Blatt „BILD“ berichtete.

Heldenstatus durch Selbstinszenierung

Wie ein Gespenst schwebt der Mythos der „woken, linken Bubble“ über jeder Debatte, die wir gerade führen. Es ist das Totschlagargument konservativer Politiker*innen. Schließlich wird nicht mehr über Rassismus oder Sexismus gesprochen, sondern nur noch darüber, dass etwas „noch erlaubt sein sollte“. Wenn selbst Justizminister Marco Buschmann Freiheit für Layla fordert oder Markus Söder sich offensiv vor einem Stapel Winnetou-Bücher ablichten lässt, weiß man, wie sich diese beiden Politiker darstellen wollen: Sie vertreten die angebliche „Normalität“, ohne übertriebene Verbote oder absonderliche Diskussionen. Mit der Forderung nach Meinungsfreiheit vertreiben sie das Gespenst der „Wokeheit“, wie die Geisterjäger aus Ghostbusters. Und erhalten damit denselben Heldenstatus.

Dieser Heldenstatus funktioniert aber nur, weil die Menschen das Narrativ des alles bedrohenden Gespenstes auch glauben wollen. Viele werden von unseren heutigen Diskursen nicht mehr abgeholt: Es geht um Sexismus, Rassismus und kulturelle Aneignung. Da kommt mancher Familienvater nicht mehr mit und stellt sich aus Protest gegen jegliche konstruktive Diskussion. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir auch unsere heutigen Diskussionen nachvollziehbar für alle machen. Diskussionen in den Medien müssen so aufbereitet werden,  dass auch Menschen über 30 den Hintergrund der Diskussion verstehen. Schließlich können wir nicht zulassen, dass ein Großteil der Bevölkerung auf Falschnachrichten populistischer Medien und Politiker*innen reinfällt.

Gerade auch, weil ich eine zweite Layla nicht mehr ertragen kann.

 

Wenn ihr von aufgeheizten Twitter-Diskussionen noch nicht genug bekommen habt, könnt ihr auch hier vorbeischauen.