„Das ganze Burger-King-System muss überdacht werden.“
"Das kann man schon fast moderne Sklaverei nennen"
Alexander Römer arbeitet seit gut 15 Jahren als Reporter und Investigativjournalist für RTL, aktuell im Team des renommierten Enthüllungsjournalisten Günter Wallraff. Als Undercover-Reporter war Alexander Römer bereits als Amazon-Lieferant, Burger King-Mitarbeiter oder Pflegekraft unterwegs. In der Kategorie „Beste Reportage“ gewann das Team für ihr Format „Team Wallraff – Reporter Undercover“ den Deutschen Fernsehpreis 2014. Im vergangenen Jahr haben die Recherchen von Team Wallraff unter anderem dazu geführt, dass die Fast-Food-Kette Burger King das V-Label für ihre veganen Produkte verloren hat und viele deutsche Burger King-Filialen schließen mussten.
Herr Römer, Sie haben bereits selbst verdeckt ermittelt, zum Beispiel als Paketzulieferer für Amazon oder als Angestellter bei Burger King. Wie groß ist die Angst, enttarnt zu werden?
Das kommt ehrlich gesagt auf die Situation an. Ich habe zum Beispiel mal in Bangladesch zum Schein eine Textilfirma gegründet, um in die einzelnen Textil-Industriezweige und damit auch in Fabriken hineinzukommen. Wenn man bewaffnete Leute vor einer Fabrik sieht, dann ist das natürlich mit mehr Angst verbunden. Aber hier in Deutschland kann einem eigentlich nichts passieren, weil man in der Wirtschaft nicht mit Gewalttätern zu tun hat. Man muss nur wissen, wie man reagiert, welche Rechte man als Journalist hat und wann der Einsatz einer versteckten Kamera juristisch einwandfrei ist.
Ende Juni hat Team Wallraff die insgesamt vierte Reportage über Burger King veröffentlicht. Was sind die neuesten Erkenntnisse aus Ihrer Recherche?
Wir haben einige Arbeitsrechtsverstöße bei Burger King dokumentieren können. Ein paar Beispiele: Schüler haben nach 22 Uhr gearbeitet, Ruhezeiten wurden nicht eingehalten, Angestellte haben über 300 Stunden Arbeitszeit pro Monat geleistet und das alles auch noch schlecht bezahlt. Am schockierendsten war der Fakt, dass ein Burger King Franchiser Arbeitskräfte über eine Agentur im Kosovo anwirbt und diese in einem heruntergekommenen Hotel unterbringt. Teilweise zu zweit oder zu dritt in einem Zimmer. Das kann man schon fast moderne Sklaverei nennen.
Burger King hat auf eure neueste Reportage mit einem humorvollen Werbespot reagiert. Wie stehen Sie dazu?
Es war schon verdammt raffiniert, das muss man ihnen lassen. Marketingtechnisch ist das gut. Ich glaube aber, dass es Burger King nicht viel gebracht hat. Ich habe mit meinen Informanten gesprochen und sie finden das gar nicht lustig. Diese Menschen müssen weiter unter schlechten Umständen arbeiten. Ich weiß nicht, ob das eine schlaue Idee war, diese Thematik auf die Schippe zu nehmen. Es geht um Straftatbestände und die kann man nicht einfach weglachen.
Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass sich bei Burger King seit Jahren nichts ändert?
Ein großes Problem ist, dass sie so viele Franchiser haben, das heißt Burger King verkauft die Nutzung ihres Geschäftskonzepts an interessierte Unternehmer. Als Beispiel: In Russland gehört Burger King nur zu ungefähr 13 Prozent der Marke, der Rest gehört anderen Investoren. Bei geringen Gehältern und schlechten Arbeitseinweisungen entstehen automatisch Fehler. Die Kette müsste anfangen, wertschätzend mit den Mitarbeitern umzugehen. Das ganze Burger-King-System muss überdacht werden.
Ihr Team ermittelt verdeckt und damit das an die Öffentlichkeit herangetragen werden kann, muss es auch von öffentlichem Interesse sein. Wann besteht denn öffentliches Interesse?
Am Anfang überlegen wir uns, wie groß die Fülle an Informationen von unseren Themen ist. So können wir festlegen, ob wir dort wirklich mit versteckter Kamera recherchieren möchten. Bis es zu solchen Einsätzen kommt, sind drei Schritte nötig. Der erste Schritt betrifft die Informationslage, also wie viel wir über ein Thema wissen. Der zweite Schritt sind die Informanten. Wir brauchen erstmal Informationen, an denen wir ein übergeordnetes öffentliches Interesse festmachen können. Dazu nutzen wir eidesstattliche Versicherungen. Der dritte Schritt ist die Beratung im Team, nachdem wir uns in das Unternehmen eingeschleust haben.
Beim Einschleusen tragen wir anfangs keine versteckte Kamera, um sicherzustellen, dass die uns bekannten Informationen der Wahrheit entsprechen. Erst wenn wir das festgestellt haben, gehen wir mit versteckter Kamera los. Sechs Wochen vor Ausstrahlung konfrontieren wir unsere gegnerische Partei und bitten um Stellungnahme. Zu jedem Vorwurf, den wir in einem Film nennen, brauchen wir auch ein Statement. Der Gegner muss immer das Recht haben, sich zu äußern, weil das immer noch Verdachtsberichterstattung ist.
Wie läuft eine Redaktionskonferenz bei Team Wallraff ab? Wie sucht ihr die Branchen und Unternehmen aus, in denen ihr recherchieren möchtet?
Das ist ein schleichender Prozess, weil verschiedene Kriterien gegeben sein müssen. Wir haben ein gut gefülltes Postfach und bekommen viele Tipps von Mitarbeitern verschiedenster Unternehmen. Eine Wallraff-Sendung wird meist von zwei bis drei wirklich erfahrenen Personen betreut, wobei wir immer gerne auch Schüler der RTL-Journalistenschule dazunehmen. Wenn uns ein Thema spannend erscheint, gehen wir mit Gewerkschaften, Verbänden und anderen Fachleuten ins Gespräch. Anschließend überlegen wir, ob wir das Thema umsetzen können. Bei zwei bis vier Themen im Jahr fällt diese Entscheidung nicht leicht, vor allem weil man lange an einem Thema arbeitet.
Wie stellt man sich die Zusammenarbeit mit Günter Wallraff vor?
Nach zehn Jahren durch dick und dünn arbeiten wir sehr vertrauensvoll zusammen. Günter ist einer, der mit über 80 Jahren überall mitmischen will. Er arbeitet mit sehr vielen Journalisten zusammen. Das ist für uns als Redaktion nicht immer einfach, weil wir unsere Termine mit ihm abstimmen müssen (lacht). Aber Günter ist in den normalen Reaktionsabläufen und in den Redaktionskonferenzen fast immer dabei. Wir haben mehrmals in der Woche einen Austausch miteinander.
Solch eine investigative Arbeit kann viel Kraft kosten. Gab es einen Moment, bei dem Sie überlegt haben, damit aufzuhören?
Diese Frage habe ich mir bisher noch nicht gestellt. Es gibt aber Momente, wo ich mir denke, dass ich dieses Mal eher eine normale Reportage produzieren möchte. Unsere Arbeit ist oft anstrengend. Kolleginnen waren beispielsweise undercover als Pflegekraft unterwegs und mussten älteren Menschen die Windeln wechseln. Und zwischen den sehr langen Schichten stundenlang noch Dinge dokumentieren – sowas geht einem nahe und zieht richtig die Energie aus einem. Wir haben aber glücklicherweise bei uns im Unternehmen eine Sozialberaterin, die für psychologische Betreuung immer zur Verfügung steht.
Was macht der investigative Journalismus für Sie persönlich aus?
Wenn wir uns anschauen, wie viele Lobbyisten es in Brüssel gibt, kann es eigentlich nicht genug Investigativjournalisten geben (lacht). Wir schauen den Leuten auf die Finger. Es ist super, dass es so viele Journalisten gibt, die noch investigativ arbeiten können. Egal ob es verschwenderische Ausgaben vom Staat sind, Parteifinanzierung oder Wirtschaftsunternehmen, die Gesetze brechen – alle haben Angst, dass sie für ihre Taten verantwortlich gemacht werden. Daher finde ich es auch großartig, dass sich der Journalismus hier in Deutschland so breit aufstellen kann.
Dieses Interview fand im Juli 2023 im Rahmen der edit-Gesprächsreihe „Investigativer Journalismus“ online statt. Die Autor*innen haben das Gespräch vorbereitet und moderiert. Zusätzlich hatten die anwesenden Studierenden des Studiengangs Crossmedia-Redaktion/ Public Relations die Möglichkeit, Fragen zu stellen.