Eine Perversion unseres Kindheitslieblings
Unsere Kindheitshelden sind nicht mehr sicher. Seit 1926 erfreuen sich Kinder an den Abenteuern von Winnie Puuh und seinen Freunden Ferkel und Christopher Robin. Noch heute sind Alan Alexander Milnes Figuren auf YouTube und Streaming-Diensten wie Disney+ zu bewundern. Es wäre beunruhigend, wenn man mit Winnie Puuh auch einen blutrünstigen Mörderbären assoziiert. Ab dem 11. Mai ist das mehr als nur eine Vorstellung: „Winnie the Pooh: Blood and Honey” (zu Deutsch: „Winnie Puuh: Blut und Honig”) soll die Geschichte nach Christopher Robins Abreise zum College erzählen. Nachdem der Menschenjunge nach Jahren in seine Heimatstadt zurückkehrt, sucht er seine Kindheitsfreunde Winnie Puh und Ferkel auf, die auf der Suche nach Essen zu Mördern geworden sind.
Fiktive Werke sind in den USA nur bis zu 95 Jahren nach der Schöpfung urheberrechtlich geschützt, bis sie in die Hände des öffentlichen Bereichs fallen – oder in die von Jagged Edge Productions. Die britische Filmproduktionsgesellschaft hat es sich zur Aufgabe gemacht, unsere Lieblingsfiguren aus Kinderfilmen und -serien in hohem Maße zu pervertieren. Auf den ersten Blick möge dahinter eine kreative Vision stecken. Auf den zweiten Blick steht fest: Es geht darum, so viel Kapital wie möglich aus den Figuren zu schlagen. Dass die Marke Puuh darunter leidet, wird zwar nicht direkt beabsichtigt, aber von den Produzent*innen ganz klar in Kauf genommen. Das unterstreicht die Low-Budget-Produktion allemal. Bei der Bekanntheit von Winnie Puuh leistet Jagged Edge Productions also keinen eigenen Beitrag, sondern knüpft viel mehr an den Erfolg an, den das Ursprungswerks in fast einem Jahrhundert aufgebaut hat. Dieses Beispiel zeigt, dass das Urheberrecht überarbeitet werden sollte.
Weitere Produktionen von Jagged Edge Productions
Mit den Worten „Versprich mir, dass du mich nie vergessen wirst“ verabschiedet sich Winnie Puuh von Christopher Robin und setzte ihren gemeinsamen Abenteuern ein Ende. Jagged Edge Productions greift den offenen Schluss der Kindergeschichte auf und präsentiert mit „Winnie the Pooh: Blood and Honey“ eine mögliche Fortsetzung: „Wir werden immer Freunde bleiben – oder etwa nicht…?“, so der Wortlaut auf einem Werbeplakat des Horrorfilms. Nur erklärt das nicht, wie aus dem tapsigen Honigbären eine kaltblütige Killermaschine wird. Bereits Disney schickte den erwachsenen Christopher Robin im gleichnamigen Film (2018) auf ein letztes Abenteuer mit Puuh, Ferkel und Tigger. Liebhaber*innen der Kinderserie konnten aufatmen, denn es ist alles beim Alten geblieben – dachte man zumindest, bis die blutige Neuverfilmung auf der Bildfläche erschien. Dabei gab es keinen Grund mehr, diese Geschichte fortzusetzen.
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Der Slasher-Streifen verfolgt weder das Ziel, den Interpretationsspielraum der Geschichte auszuschöpfen, noch ist dieser ein Ausdruck künstlerischer Freiheit. Vielmehr missbraucht der Film die Kunstfreiheit für seine selbstsüchtigen Ziele. „Winnie the Pooh: Blood and Honey“ ist schlichtweg das Ergebnis einer opportunistischen Filmproduktion, die das geistige Vermächtnis eines anderen anzapft. Mit der Produktion einer Horrorverfilmung wie dieser werden die ursprünglich verfochtenen Werte wie Freundschaft, Empathie, Ehrlichkeit und Verantwortungsbewusstsein geradezu vergewaltigt. Bevor man am 11. Mai also ins Kino spaziert, sollte man sich zwei Fragen stellen – Möchte ich diese Art von Filmen unterstützen und welches Bild von Winnie Puuh möchte ich in Erinnerung behalten.