Aufklärung

Der Einfluss von Sexualkunde auf Kinder

12. Mai 2022
Was kann man gegen die Verbreitung von Pornografie und sexuellen Medien machen? — Nichts. Anstatt die Kinder in einer Blase großzuziehen, sollten wir sie mit einer offenen Sexualerziehung auf diese Eindrücke vorbereiten.

„Als er mit den Fingern unter meinen Slip fährt, stöhnt er in meinen Mund: ,Ich habe vermisst, wie feucht du immer für mich bist'“. Ein Satz aus einem der beliebtesten Teenagerbücher der vergangenen Jahre: „After Passion“ von Anna Todd. Und dieser Auszug ist keine Ausnahme. Es gibt kaum einen Film, eine Werbung, ein Buch oder eine TV-Sendung ohne Sex. Jede achte Website, zehn bis 25 Prozent der Suchmaschinenanfragen und 35 Prozent aller Downloads sind pornografischer Natur. Die heutige Jugend wird überflutet mit sexuellen Inhalten. Sollten wir also deutlich später mit dem Sexualkundeunterricht starten? Oder Schüler*innen gar komplett mit dem Thema verschonen? Auf keinen Fall! 

In Deutschland beginnt der Aufklärungsunterricht bereits in der Grundschule — und das ist auch genau richtig so. Denn Kinder suchen nach Informationsquellen, um aufgeschnappte Bilder aus Filmen und Beschreibungen aus Büchern zu verstehen und stoßen dabei oft auf verstörende pornografische Inhalte. Die Schule bietet den Kindern einen Ort, diese Eindrücke einzuordnen und zu verstehen.

Leider lässt sich die Entwicklung des Medienkonsums, und die damit verbundene Verbreitung von Pornografie, nur schwer steuern. Daher ist es umso wichtiger, früh mit der Sexual- und Medienerziehung zu beginnen und die Kinder ausreichend darauf vorzubereiten.

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Wann sollte der Sexualkundeunterricht beginnen? | Quelle: Erstellt von Anne Hartung

Aber Kinder und Pornografie? „Über Pornografie wird in Familien immer noch ungern gesprochen“, gibt Katja Wollmer, Medienpädagogin und Referentin für sexuelle Bildung im pro familia-Bundesverband, zu bedenken. Doch 36 Prozent der 15-jährigen Jungen haben bei einer Schüler*innen-Befragung des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen angegeben, regelmäßiger Porno-Konsument zu sein.

Warum eigentlich Sexualkunde, wenn uns doch Pornos zeigen, wie es geht?

Pornografie ist nicht schlichtweg negativ. Schaut ein volljähriger Jugendlicher mit einer eigenen, gefestigten Meinung zu Sexualität einen Porno, mit dem Ziel seine Gelüste zu befriedigen, hat dies meist keinen negativen Einfluss. Das Problem ist das Alter und zu welchem Zweck die Videos konsumiert werden. Ein Kind mit 15 Jahren ist neugierig und unerfahren und sucht nach Inspirationen und Erklärungen: Was ist Sex? Wie sieht das aus?

Doch wir wissen alle nur zu gut, dass Pornos nicht das reale Sexleben widerspiegeln. Viele Kinder sehen diese Praktiken jedoch als Norm an. Prof. Dr. Konrad Weller, Psychologe und Sexualwissenschaftler, erklärt: Eine frühe Pornografie-Nutzung bringt bei Jugendlichen einen Negativeffekt und festigt bestimmte Bilder und Skripte in ihren Köpfen. Dieses „Drehbuch“ möchten Heranwachsende bei ihren ersten sexuellen Erfahrungen unbedingt umsetzen und so wird der/die Partner*in schnell auf eine Art Ausführungsgehilfe reduziert. Auch die von Pornografie vermittelten Schönheitsideale wie große Brüste, eine schlanke Figur und ein langer Penis können die Jugendlichen verunsichern. Auf dem Weg in die Pubertät ist es wichtig, den eigenen Körper kennenzulernen und insbesondere eine positive Haltung ihm gegenüber zu entwickeln.

Die Schule vermittelt den Heranwachsenden ein völlig anderes Bild von Sexualität und Intimität. In meiner Schulzeit hatten wir beispielsweise ein Projekt namens „Bin ich sexy, bin ich schön?“ bei dem wir gelernt haben, dass jeder Körper schön ist und wir ihn so lieben sollten, wie er ist. Das Ziel sollte es also sein, die Kinder früher zu erreichen. Früher als die Pornografie. So können Jugendliche meist kreativere Fantasien entwickeln, freier handeln und sich auf ihr Gegenüber einlassen.

„Sexuelle Bildung ist ein Menschenrecht!“

Katja Wollmer

Hinter verschlossenen Türen

Beim Thema „Sexueller Gewalt“ kann und darf mir niemand widersprechen. Hier muss die Aufklärung spätestens im Kindesalter beginnen! Laut polizeilicher Kriminalstatistik der Bundesregierung Deutschland wurden allein im Jahr 2019 16.000 Fälle von sexueller Gewalt an Kindern vermerkt. Hier muss jedoch von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden, da die meisten Fälle „hinter verschlossenen Türen“ ablaufen. Familienmitglieder oder Verwandte missbrauchen ihr Vertrauensverhältnis und werden zu Peinigern. 

Die Schule hat nun die Verantwortung Kindern zu zeigen, dass diese Form von Gewalt nicht verschwiegen werden darf oder ihre Schuld ist. Sie muss den Betroffenen mögliche Hilfs- und Beratungsangebote aufzeigen und auch selbst mit einem offenen Ohr für die Kinder da sein. Traumatisierte Kinder sollten die Chance haben, diese Erfahrungen zu verstehen und einordnen zu können. Auch sexuelle Gewalt fällt unter eine allumfassende Sexualaufklärung. „Sexuelle Bildung ist ein Menschenrecht! Sexuelle Bildung darf nicht Angst machen und muss berücksichtigen, dass Menschen ein Schamempfinden haben“, stellt Katja Wollmer klar.

Ist die Jugend heutzutage frühsexualisiert? 

Doch in meiner Schulzeit hat sich gezeigt, dass viele Eltern befürchten, dass die Aufklärung eine ansteckende und inspirierende Wirkung haben könnte und die Kinder zu frühen sexuellen Erfahrungen ermutigt. Diese Bedenken stoßen bei Expert*innen auf wenig Verständnis. Katja Wollmer zeigt eine für mich völlig neue Sicht der Debatte auf: „Ob wir Kinder frühsexualisieren, wenn wir mit ihnen früher über Sexualität sprechen? — Nein! Wenn ich Menschen erzähle, dass es Homosexualität gibt, werden sie ja auch nicht schwul oder lesbisch!“

Aber wie wirkt die Sexualerziehung denn nun auf die Jugend? Sind die Bedenken der Eltern vielleicht doch berechtigt? Sind wir wirklich alle so viel früher dran mit unseren ersten sexuellen Erfahrungen? In unserer Gesellschaft besteht diesbezüglich leider ein verzerrtes Bild. Das Durchschnittsalter für das „Erste Mal“ nimmt nicht ab — ganz im Gegenteil! Dies bestätigt Dr. med. Heidrun Thaiss, Leiterin der BZgA, im Jahr 2020: „Im Alter zwischen 14 und 16 Jahren geben deutlich weniger Mädchen und Jungen an, sexuelle Erfahrungen gemacht zu haben als noch vor zehn Jahren.“ Neben Gründen wie „Der/Die Richtige fehlt“ oder „zu jung“, lässt sich spekulieren, dass auch die Sexualerziehung in Schulen ihren Teil zu der Entwicklung beiträgt. Wenn Schulen es schaffen aufzuklären, zu sensibilisieren und den Druck rauszunehmen, können Kinder freier entscheiden. Also vielleicht stärkt auch die Schule die Jugendlichen bei fehlendem Selbstbewusstsein und lässt sie bei den ersten Erfahrungen frei entscheiden, ohne Druck, ohne Gruppenzwang oder vorgegebenen Idealen.