Der steinige Alltag der Flüchtlingshilfe
AGDW: Steht für Arbeitsgemeinschaft für die eine Welt e.V.. Ihre Sozialarbeiter beraten und betreuen geflüchtete Menschen in Gemeinschaftsunterkünften.
Uemit Kepenek: Seit 2013 bei der AGDW angestellt. Zu Beginn war er als Sozialarbeiter und in der Rückkehrberatung tätig. Aktuell übernimmt er als Hausleitung die Zuständigkeit für mehrere Unterkünfte im Raum Stuttgart.
Rami Alnashef: Arbeitet seit seinem Abschluss 2020 bei der AGDW und übernimmt dort die Position des Integrationsmanagers. Er begleitet dabei Menschen durch ihren Alltag.
Ihr seid für eine Menge von Menschen verantwortlich. Wie sieht die aktuelle Situation bei euch aus? Man hört immer von Knappheit und fehlender Unterstützung.
Uemit: Da kann ich jetzt nicht klagen. Wir haben einen Personalschlüssel von 1 zu 90. Der war mal schlechter. Da waren es 120 Personen. Am Anfang, vor zehn Jahren. Das hat sich natürlich auch ein bisschen verbessert. Außerdem betreuen wir nicht nur hier. Wir haben hier knapp 160 Sollplätze vor Ort.
Diese zeigen auf, wie viele Menschen ihr hier unterbringen könnt.
Dazu haben wir noch ein LGBTQ-Haus, eine Schutzunterkunft mit 12 Sollplätzen. Zudem betreuen wir weitere 25 Außenwohnungen in der Umgebung. Das heißt, wir sind zuständig für mehr als 200 Personen. Aber all diese Menschen werden auf unser Team aufgeteilt. Ist auch ein tolles Team, muss ich sagen.
Auch mit kulturellem Hintergrund?
Rami: Wir sind im Team sechs Nationalitäten. Ich komme ursprünglich aus Syrien. Ich war 2015 auch ein Geflüchteter.
Uemit: Ich bin hier geboren. Meine Eltern waren türkische Gastarbeiter. Ich habe hier studiert und mich für Politik und Sozialwissenschaften interessiert und mich da jetzt eingebracht. An Bord haben wir eine gebürtige Spanierin, eine Amerikanerin und seit zehn Jahren Andrea aus Italien. Man merkt, dass wir mindestens genauso vielfältig aufgestellt sind wie die Bewohner. Das merkt man auch im Umgang mit den Leuten.
Apropos Umgang: Wie funktioniert der kulturelle Dialog bei euch?
Rami: Das ist natürlich eine starke Ressource, dieses multikulturelle Team. Ich übernehme meistens Arabischsprechende, die neu in Deutschland sind. Dabei geht es nicht nur um die Sprache, sondern auch um die Kultur. Dass man kultursensibler handelt, wenn man in der Muttersprache mit den Menschen kommuniziert, ergibt Sinn. Das ist das natürlich für uns eine Riesenhilfe und auch für die Bewohner eine Entlastung.
Bekommt ihr Unterstützung von Ehrenamtlichen?
Uemit: Wir haben Ehrenamtliche an Bord, aber die Unterstützung innerhalb Stuttgarts hat nachgelassen. Seit 2015 ging das vielleicht zwei Jahre ganz gut. Danach haben das Interesse und die Bemühungen stetig nachgelassen. Das ist von Stadtteil zu Stadtteil natürlich unterschiedlich. Es gibt Stadtteile in Stuttgart, wo der Freundeskreis sehr engagiert ist, auch mit Finanzen und so weiter. Je nach politischer Überzeugung der Einheimischen fällt das Engagement der Menschen aus. Unterstützungsangebote gibt es, zum Beispiel begleitet eine Ehrenamtliche die Kids zum Schwimmkurs und macht Ausflüge. Es gibt eine Hausaufgabenbetreuung mit zwei Helfern. Also generell ist es weniger, aber immerhin noch ein paar Leute, die tätig sind. Mehr wünschen wir uns aber vor allem von der Politik.
Seid ihr denn in die politischen Prozesse eingebunden? Oder gestaltet es sich schwierig, in den politischen Dialog zu kommen?
Uemit: Wir arbeiten praktisch nur im Rahmen der von der Politik vorgegebenen Grundsituation. Wir können da eigentlich nicht viel machen. Wir sind nur Vermittler zwischen Geflüchteten und der Außenwelt. Aber auf Arbeitgeber-Ebene gibt es Austausch mit den verschiedenen Gremien.
Hättet ihr einen Wunsch, der allen Beteiligten die Situation vereinfachen würde?
Rami: Oh, viele Wünsche. Also, was gerade ganz aktuell ist, ist die politische Lage im Bezug auf Geflüchtetenhilfe und das Thema Migration. Leider erschwert die Politik es uns, dass wir unser Mandat als Sozialarbeiter erfüllen können. Sie legt Steine in unseren Weg. Auf der einen Seite wird gesagt, Integration sei wichtig. Die Menschen sollen sich integrieren. Auf der anderen Seite macht sie genau das Gegenteil von dem, was sie verlangt. Zum Beispiel ist die Ausländerbehörde sehr stark unterbesetzt. Das Sozialamt sowieso. Die Kommunikation mit den Ämtern gestaltet sich dabei besonders schwierig. Und das Thema Erwerbstätigkeit. Man sagt ja, Arbeit ist ganz wichtig für die Integration. Aber wenn du ganz genau guckst, dauert es Monate, Arbeitserlaubnisse für Menschen im Asylverfahren zu bekommen. Dadurch verlieren sie die Stelle und verzweifeln. Am Ende sind sie abgestempelt als Arbeitsunwillige. Und das erzeugt Wut. Das wäre unser Wunsch, dass die Politik endlich unser Mandat ernst nimmt.