Dialekte – peinlich oder cool?
In einem Interview erklärt der Sprach- und Kulturwissenschaftler Prof. Peter Rosenberg von der Universität Viadrina in Frankfurt/Oder, was sich hinter deutschen Dialekten verbirgt und wie die Zukunft der regionalen Sprachformen aussieht.
Schämt sich die junge Generation für ihren Dialekt?
In Deutschland herrscht allgemein starker Regionalismus. Man ist eher stolz auf seine Herkunft und seine Regionalsprache. Die Jüngeren müssen in Ausbildung und Beruf Wert auf das Standarddeutsche legen. Junge Eltern sprechen mit ihren Kindern mehr Standarddeutsch. Dass Ältere vermehrt Regionalsprache benutzen, ist mit der Rückkehr in die Heimat oder dem Abbau von sozialen Kontakten begründbar. Eine zunehmende Großräumigkeit durch globalisierte Wirtschaft, neue Medien und internationale Kontakte sorgt für den Dialektrückgang.
Dialekte sind mit ziemlich vielen Klischees behaftet, oder?
Untersuchungen zeigen, dass das Sächsische deutschlandweit als weniger beliebt, Niederdeutsch oder norddeutsche Regionalsprache hingegen als beliebter eingestuft wird. Zum Image des Sächsischen hat sicher die DDR-Zeit beigetragen. Der kulturelle Wert einer Region hat auch Einfluss auf das Prestige der Regionalsprache. So gilt das Bayrische heute deutschlandweit als bodenständige Sprechweise, die man mit einem bayerntypischen „Kulturgut“ verbindet.
Habe ich durch meinen Dialekt einen Vorteil?
Selbst wenn sie keinen vollständigen Dialekt mehr sprechen, können auch junge Menschen regionale Sprachformen situationsspezifisch einsetzen. So können sie Witze und Sprachspiele, einen Zitatcharakter oder emotionale Wirkungen beim Zuhörer auslösen. Das ist ein Vorteil, denn Dialekt kann eigentlich alles. Ein Problem haben Sprecher, die ausschließlich oder überwiegend Dialekt sprechen.
Wird Hochdeutsch die Dialekte verdrängen?
Es ist ein Dialektrückgang in Deutschland zu beobachten. Dass vor allem ältere Menschen regionale Varietäten verwenden, heißt aber nicht, dass die Dialekte aussterben. Es ist nicht anzunehmen, dass bald nur noch Standarddeutsch verwendet wird.
Wie viele Dialekte gibt es eigentlich in Deutschland?
Grob lässt sich Deutschland in drei große Sprachlandschaften einteilen: das Niederdeutsche, das Mitteldeutsche und das Oberdeutsche. Besonders die sogenannte „Zweite Lautverschiebung“ hat diese Dreiteilung ergeben. Dabei haben sich im Oberdeutschen komplett, im Mitteldeutschen partiell die Konsonanten gewandelt. Aus open wurde offen, aus dem Appel ein Apfel, aus eten wurde essen, sitten wandelte sich zu sitzen und maken wurde zu machen. Im niederdeutschen Sprachraum blieb diese Verschiebung aus.
Wie sind Dialekte entstanden?
Früher glaubte man, dass allein die auf europäischem Gebiet umherwandernde germanische Stämme für den Ursprung der Dialekte verantwortlich seien. Doch der Prozess wurde ebenso von Verkehrslinien und natürlichen Grenzen bedingt. Auch politische und Bistumsgrenzen nahmen Einfluss auf die Dialektverteilung. Es kam zu einer Anpassung innerhalb der Sprachgemeinschaften: einer sprachlichen Synchronisierung.
Infokasten: Dialekt-Wissen
Dialekte:
Bei Dialekten handelt es sich um regionale Varietäten, um durchaus vollständige Sprachsysteme wie bei der Standardsprache. Das heißt, sie besitzen ein eigenständiges System auf allen Ebenen der Sprache: den Lauten, der Wortbildung und dem Satzbau. Außerdem enthalten sie eigenständige Merkmale, sind örtlich gebunden und werden in der Regel informell und mündlich verwendet. Weshalb eine Sprachvariante Dialekt, aber eine andere Sprache genannt wird, hat politisch-historische Gründe.
Regiolekt:
Ein Regiolekt steht meist dem Standarddeutschen näher, als es bei Dialekten der Fall ist, und besitzt eine größere räumliche Erstreckung. Dies hat zur Folge, dass ein Regiolekt von mehr Menschen gesprochen wird als eine lokal sehr begrenzte Mundart. Ein Beispiel wäre der Berlin-Brandenburger Regiolekt.
Metrolekt:
Der Metrolekt ist eine Stadtvarietät einer Sprache, wie z. B. das Berlinerische. Dort hat sich eine eigentümliche Mischung aus Niederdeutsch und Obersächsisch herausgebildet. Im Berliner Raum wurde früher Niederdeutsch gesprochen, das zeigt sich heute noch bei einigen älteren Einheimischen in der Prignitz und der Uckermark.
Nord-Süd-Gefälle:
Der Begriff bedeutet , dass im Süden Deutschlands das Dialektsprechen stärker ausgeprägt ist. Es gibt im Süden viele Abstufungen zwischen Dialekt und Standardvarietät. Man hört es einem bayerischen oder schwäbischen Politiker an, woher er kommt - auch wenn er meint Hochdeutsch zu sprechen. Im Norden muss man eine klare Entscheidung treffen, ob man Standarddeutsch oder Niederdeutsch spricht.