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Daniel Thumm ist 20 Jahre alt, studiert Pflege in Hamburg und ist schwul. Er tanzt gerne HipHop und Reggeaton und engagiert sich bei der grünen Jugend, um sich für die Interessen der LGBTQIA+-Community einzusetzen. LGBTQIA+ – ein langer Begriff, der möglichst viele Menschen unter einen Hut bringen soll. Das L steht für Lesbian, G für Gay, B für Bi, T für Transgender, Q für Queer, I für Intersex, das A für Asexual und das + indiziert, dass sich noch viel, viel mehr Sexualitäten und Geschlechter hinter dem Wort verbergen.
Hat Corona queere Menschen vor besondere Herausforderungen gestellt?
Mich persönlich nicht, nein. Aber ich kann mir vorstellen, dass das bei jüngeren Menschen, die vielleicht noch ungeoutet sind und die komplette Zeit bei der Familie verbracht haben, Probleme ausgelöst haben könnte. Ich kann nicht für alle sprechen, aber ich kann mir schon vorstellen, dass das bei Menschen die ein oder andere Krise auslöst, wenn auf einmal die Unterstützung wegfällt – wenn diese Kontakte zu anderen queeren Menschen ganz viel bedeuten und auch eine Art life support sind, und man das auf einmal nicht mehr hat.
Wie schwer ist es für die LGBTQIA+-Community, dass wegen Corona momentan keine Pride Veranstaltungen (bzw. große Veranstaltungen überhaupt) gefeiert werden können? Wie ist das für dich persönlich?
Das, was die Leute kennen, ist die Parade, die gerne über ein Wochenende hinweg geht – was aber viel auch mit politischen Diskussionen einhergeht. Man setzt sich mit Politikern zusammen, redet über Probleme die es gibt, über Chancen die man hat, über Ziele, das ist der wichtige Teil des CSD.
Ich finde es auch traurig, dass er ausfällt, aber ich würde sagen, dass es nicht so viel Negatives mit sich bringt. Trotzdem ist man im Austausch mit Politikern, und ich habe das Gefühl, dass die ganze Energie, der ganze Druck etwas zu verändern, jetzt auch in die Black Lives Matter-Proteste mit einfließt. Wenn man in der Geschichte mal zurück geht, was ist der Ursprung des CSD? Er kommt aus dem Stonewall Inn (Anm. d. Red.: Das Stonewall Inn war eine Bar in New York, in dem in den 1960er Jahren Polizeirazzien mit Fokus auf afro- und lateinamerikanische Homo- und Transsexuelle durchgeführt wurden) und wurde ausgelöst durch eine schwarze, transsexuelle Frau. Ich habe das Gefühl, viele beschäftigen sich jetzt mit dem Anfang des CSD und was er eigentlich bedeutet, und nutzen dann ihre Stimme für die Black Lives Matter-Bewegung.
Man kann aber auch sagen, dass viel von der Parade und dem Sichtbar-Machen online und auf Social Media stattfindet; die Cafés und queeren spaces sind ja auch immer noch oder schon wieder offen, dort kann man sich ja auch treffen und austauschen.
Hast du das Gefühl, dass die Black Lives Matter-Bewegung den Pride Month dieses Jahr überschattet?
Ich finde absolut nicht, dass es überschattet wird. Es geht Hand in Hand und wir unterstützen uns gegenseitig, denn wir kämpfen für die gleiche Sache. Pride ist entstanden durch den Aufstand einer schwarzen Trans-Frau und dank ihr feiern wir dieses Jahr 50 Jahre Pride. Es ist das Mindeste, jetzt unsere Stimmen für die Black Lives Matter-Bewegung einzusetzen und unseren Teil dazu beizutragen, dass diese Bewegung weiter geht und sich etwas ändert. Und genau das ist unser Pride dieses Jahr.
Apropos Pride Month: Wie wird der eigentlich in Deutschland gefeiert – bekommt er hierzulande große Aufmerksamkeit oder vor allem in den USA?
Es ist schon amerikanisiert weil der Pride ursprünglich aus den USA kommt – der erste Christopher Street Day war ja auch in New York, wenn ich richtig liege. Das haben sich dann immer mehr Länder angeeignet und übernommen nach amerikanischem Vorbild. Man merkt, dass viele amerikanische Firmen spezielle Pride Collections rausbringen und das dann ausgenutzt wird; im Juni sagen diese Firmen der Community, dass sie sie schützen, und das restliche Jahr über hört man gar nichts.
Was mich nervt: Wenn man auf die Websiten von solchen Firmen geht, werden immer wieder heterosexuelle oder weiße Cis-Männer gezeigt, da denke ich mir dann „Warum keine Frauen? Warum keine schwarzen Menschen? Warum keine schwulen oder lesbischen Pärchen?” Support kommt gebündelt nur einmal im Jahr, im Juni, wenn Pride Month ist, aber am Ende steckt nichts dahinter.
Christopher Street Day (CSD)
Der Christopher Street Day hat seinen Ursprung in New York, genauer gesagt im „Stonewall Inn", einer Bar in der Christopher Street im Stadtviertel Greenwich Village. Dort wurden in den 1960-er und -70er-Jahren brutale Polizeirazzien mit trans- und homosexuellen Afroamerikanern und Lateinamerikanern im Fokus durchgeführt. Am 28. Juni wehrten sich vor allem transsexuelle POC und Dragqueens gegen die Razzien, und der letzte Samstag im Juni ging in New York als der „Christopher Street Liberation Day" in die Geschichtsbücher ein.
Heute wird der Christopher Street Day in Ländern auf der ganzen Welt gefeiert. Dabei ist die Bezeichnung „CSD" nur in Deutschland, Österreich und der Schweiz geläufig; im englischsprachigen Raum wird von Gay Pride oder Pride Parades gesprochen.
Sollte es aber nicht so sein, dass Veranstaltungen wie der Christopher Street Day nicht notwendig sind, denn als Gesellschaft wollen wir ja niemanden ausschließen?
Es ist auf jeden Fall das langfristige Ziel einer Gesellschaft, dass keine Minderheit oder keine Gesellschaftsgruppe ausgeschlossen wird. Fakt ist aber, dass das gerade nicht der Fall ist, und deswegen verschiedene Gruppen auf sich aufmerksam machen und für ihre Interessen eintreten müssen. Deswegen gibt es den CSD, und deswegen gibt es die Black Lives Matter-Bewegung, und diese Diskussion mit All Lives Matter (Anm. d. Red.: All Lives Matter ist als Gegenbewegung zu Black Lives Matter zu verstehen) und einer Straight Parade finde ich einfach nur Quatsch.
Ja, es ist schön, dass auch Heteromenschen ihre Rechte haben und leben können, wie sie möchten. Fakt ist aber, dass queere menschen es über Jahrtausende nicht konnten, und jetzt so langsam Rechte und auch Schutz bekommen. Wir in Deutschland sind weit, wir dürfen leben, wir dürfen existieren – was auch so dumm klingt, dass ich sagen muss „ich darf”. Ich habe das Recht zu heiraten, ich kann Kinder adoptieren und trotzdem gibt es in Deutschland noch viele diskriminierende Punkte.
Aber in anderen Ländern zum Beispiel, schauen wir nach Polen, wo LGBTQIA+ freie Zonen errichtet werden, oder nach Russland, wo es eine Kopfgeldliste gibt und Menschen Geld bekommen, wenn sie jemanden aus der LBGTQIA+ Szene umbringen. Ein Straighter braucht keine Parade weil er seine Rechte seit Jahrtausenden hat, und das ist gut so, aber wir müssen für unsere Rechte kämpfen.
Und deshalb ist es wichtig, dass es weiterhin Veranstaltungen gibt, die von und für Menschen jeder Sexualität und jeden Geschlechts sind?
Alle Heteros sind ja auch eingeladen, es ist ja nicht so, dass wir sie ausschließen. Von diesen zwölf Monaten ist ein Monat, der Juni, der ganz besonders für uns ist und wo wir nur unsere Themen im Vordergrund haben wollen. In der queeren Community sind nicht so wenig Menschen wie man denkt, wir sind verdammt viele und es ist auch völlig gerechtfertigt, dass auch mal unsere Interessen in den Vordergrund kommen und die Probleme dargestellt werden. Alle anderen elf Monate sind im Endeffekt eine Straight Parade. Ich meine, was ist am Ende Karneval? Oder hier in Hamburg der Schlagermove? Das ist nichts anderes als eine Straight Parade. Wenn tausende von Heterotypen zu deutscher Chart- und Schlagermusik tanzen und Party machen, ist es zwar nicht so politisch, aber trotzdem eine Parade.
Wo wir schon bei heterosexuellen Veranstaltungen und ihren queeren Äquivalenten sind: Auf VOX lief dieses Frühjahr der erste schwule Bachelor, „Prince Charming". Hast du das Gefühl, das hat etwas verändert, mit Blick auf gesellschaftliche Toleranz und Offenheit? Und wie kam das Format in der Community an?
Ich habe keine Veränderung bemerkt, was aber daran liegt, dass Hamburg an sich schon sehr offen ist. Prinzipiell finde ich es gut, dass ein Fernsehsender den Schritt gegangen ist, sein Programm auch für queere Menschen zu öffnen – auch, wenn es am Ende vielleicht nur kommerziell war. Beim Cast von „Prince Charming" wurden viele Klischees bedient, und das ist schade. Man sieht dort die typische Schwuchtel, wie man sie sich vorstellt, wo ich mir denke „Es gibt eben viele Charaktere, die nicht so sind”.
Menschen, die nichts mit schwulen Menschen zu haben, gehen dann davon aus, dass alle schwulen Menschen so sind, und das ist dann auch wieder ungünstig. Meine Mutter hat „Prince Charming” auch angeschaut und meinte, sie musste nach einer halben Stunde ausschalten, weil es einfach so weh tut. Denn sie weiß wie ich bin, wie meine Freunde sind, sie war in Hamburg schon auf dem Christopher Street Day mit dabei und sie weiß, nicht alle Schwulen sind so. Aber dann muss sie sich auf der Arbeit Kommentare anhören wie „So etwas Ekelhaftes”, „Wie kann man nur”, „So etwas sollte abgeschafft werden” und da finde ich: Wenn man schon so ein Programm startet, muss es wenigstens ein bisschen progressiver sein, ein bisschen durchdachter.
Schaut man sich die Hetero-Form davon an, also Formate wie Bachelor oder Love Island – am Ende sind da auch strohdumme Leute dabei, aber darüber regt sich keiner auf oder sagt, dass alle Heteromenschen so sind. Aber bei Schwulen wird schnell über einen Kamm geschert, und das auf die Realität zu projizieren, was bei „Prince Charming” passiert, ist erstens ein Fehler und zweitens schade.
Wenn man aber den internationalen Vergleich sieht, können wir uns überhaupt glücklich schätzen, dass es so etwas wie „Prince Charming” gibt. Wenn wir nach Polen, in die USA oder nach Ungarn schauen, sieht das ganz anders aus, deswegen ist es vielleicht nicht perfekt durchdacht gewesen, aber im Endeffekt ist es trotzdem eine Repräsentation und ein Schritt in die richtige Richtung, dass wir auch bei solchen TV-Formaten vertreten sind. Zwar nicht gut, aber wir sind vertreten und werden wahrgenommen.