Faktencheck

„Die Gewalt gegenüber homosexuellen Menschen nimmt zu.“

Obwohl unsere Gesellschaft immer offener und liberaler wird, nimmt die Gewalt gegenüber Homosexuellen nicht ab.
22. Mai 2019

Im Rahmen des internationalen Tag gegen Homophobie am 17.05.2019 gab Uwe Weiler, Vorstandsmitglied des Kölner Lesben- und Schwulentag e.V., dem WDR ein Interview zum Thema Homophobie. Mit der Aussage „Die Gewalt gegenüber homosexuellen Menschen nimmt zu.“ kritisiert er die aktuelle und akute Präsenz von Homophobie und Feindlichkeit gegenüber der LGBTQ+ Gemeinschaft. Doch stimmt das?

Polizeiliche Kriminalstatistik

Straftaten und Gewaltakte, die gegen jemanden aufgrund seiner sexuellen Orientierung verübt werden, sind nicht als eigenständiger Straftatbestand im deutschen Strafgesetzbuch vermerkt. Aus diesem Grund werden besagte kriminelle Aktivitäten nicht spezifisch in den jährlich veröffentlichten polizeilichen Kriminalstatistiken (PKS) hervorgehoben. In der PKS wird primär thematisiert, wer die Opfer und Täter sind, gemessen an Alter, Geschlecht und Nationalität. Auskunft über die Motivation der Täter gibt die polizeiliche Kriminalstatistik nicht.

Statistik für Politisch Motivierte Kriminalität

Eine andere vom Bundeskriminalamt (BKA) veröffentlichte Studie ist die Statistik für Politisch Motivierte Kriminalität (PMK). Laut BKA werden der PMK dann „Straftaten zugeordnet, wenn die Tatumstände und/oder die Tätereinstellung Anhaltspunkte dafür bieten, dass sie gegen eine Person wegen ihrer zugeschriebenen oder tatsächlichen […] sexuellen Orientierung und/oder sexuellen Identität […] gerichtet sind und die Tathandlung damit im Kausalzusammenhang steht bzw. sich in diesem Zusammenhang gegen eine Institution/Sache oder ein Objekt richtet“. Die Entwicklung der Gewalt gegen Homosexuelle und andere Mitglieder der LGBTQ+ Gemeinschaft lässt sich also nur über die seit 2001 veröffentlichte Statistik für Politisch Motivierte Kriminalität aufzeigen.

Die Jahre im Vergleich

Der frühste Zeitpunkt, den die Statistik für Politisch Motivierte Kriminalität erfasst, ist das Jahr 2001. In diesem Jahr gab es insgesamt 48 erfasste Fälle von Kriminalität wegen der sexuellen Orientierung der Opfer, wovon zehn Gewalt beinhalteten.
Von 2002 bis 2010 stiegt die Zahl von 45 auf 187 (davon 48 gewalttätige) Straftaten, die an den Opfern aufgrund ihrer vermuteten oder tatsächlichen sexuellen Orientierung und/oder Identität verübt wurden. Im Jahre 2011 verzeichnete die PMK einen leichten Rückgang. In diesem Jahr gab es insgesamt 148 Straftaten, von denen 38 Gewalt beinhalteten.
Einen Rückgang verzeichnete die Statistik erneut im Jahr 2014. In diesem Jahr gab es 184 Straftaten gegen Opfer aufgrund ihrer vermuteten oder tatsächlichen sexuellen Orientierung und/oder Identität, von denen 37 mit Gewalt einher gingen.
In den Jahren bis 2017 stiegt diese Zahl jedoch wieder. Da es in 2017 allerdings nur marginal weniger Straftaten gab als 2016 (316 im Vergleich zu 313) ist anzunehmen, dass die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe am 01. Oktober 2017 keinen Einfluss auf die Tätermotivationen hatte. Seitdem ist die Zahl der Straftaten gegen die LGBTQ+ Gemeinschaft bis zum Jahr 2018 auf 351 angestiegen, wovon 97 gewalttätig waren.

Die Zahl der gewaltättigen Übergriffe auf Mitglieder der LGBTQ+ Gemeinschaft stieg von 2001 bis 2018 rapide.

Kritik an der PMK

Laut des Anti-Gewalt Projektes „Maneo“ aus Berlin sind die Zahlen der PMK jedoch kritisch zu betrachten. Der Organisation, die sich mit Gewalt gegenüber der LGBTQ+ Gemeinschaft beschäftigt, wurden 2018 allein in Berlin 818 Hinweise auf politisch motivierte Straftaten gemeldet. Maneo wertete 446 dieser Meldungen aus und gelangte zu dem Ergebnis, dass 382 der ihnen gemeldeten Fälle einen homophoben und transphoben Hintergrund haben.
Dies lässt vermuten, dass die Dunkelziffer der Straftaten gegen Menschen aufgrund ihrer vermuteten oder tatsächlichen sexuellen Orientierung und/oder Identität sehr hoch ausfällt und es deutlich mehr politisch motivierte Straftaten gibt, als die PMK angibt.

Fazit

Uwe Weilers Aussage „Die Gewalt gegenüber homosexuellen Menschen nimmt zu.“ ist wahr. Es ist zu erkennen, dass im absoluten Vergleich zwischen den Jahren 2001 und 2018 303 mehr Straftaten gab, bei denen Menschen aufgrund ihrer vermuteten oder tatsächlichen sexuellen Orientierung und/oder Identität Opfer wurden. Die absolute Zahl der darin beinhalteten Gewaltakte erhöhte sind um 87 verzeichnete Taten: von 10 im Jahre 2001 auf 97 im Jahre 2018.
Im prozentualen Vergleich waren die gewalttätigsten Jahre 2009, 2018 und 2007. Im Jahre 2009 waren 27 % der Straftaten gegen Mitglieder der LGBTQ+ Gemeinschaft gewalttätiger Natur, in 2018 28 % und 2007 31 %.