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Giorgia Meloni – Gefahr für Italiens Demokratie und Europas Einheit?

Eine Barbiepuppe, die Meloni verkörpert, steht vor einem Rednerpult. Im Hintergrund ist eine italienische Flagge sowie eine europäische Flagge zu sehen.
Giorga Melonis Ziele könnten innen- und außenpolitisch nicht unterschiedlicher sein. Symbolbild | Quelle: Rebecca Dodaro
12. Dez. 2024

Die erste Frau an der Spitze Italiens zeigt sich europapolitisch recht zahm. Innenpolitisch agiert sie jedoch radikal. Ist sie wirklich so unberechenbar wie angenommen? Eine Analyse.

Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm – oder doch? Giorgia Meloni wurde 1977 in Rom geboren. Sie entstammt schwierigen Familienverhältnissen. Der Vater verließ die Familie, als sie ein Jahr alt war. Die Mutter hielt die Familie als Autorin von über 100 Liebesromanen über Wasser. Zudem war Melonis Mutter Mitglied der neofaschistischen Partei Movimento Sociale Italiano (MSI) und deren Nachfolgepartei Alleanza Nazionale. Ihren Vater bezeichnete Meloni als Kommunisten. Im Alter von 15 Jahren trat Giorgia Meloni der rechten Jugendbewegung Fronte della Gioventù des MSI bei. Dort begann ihre politische Karriere. Damals äußerte sie sich unkritisch gegenüber Benito Mussolini. Bis heute hat sich Giorgia Meloni nicht klar vom Faschismus distanziert.

Der Faschismus 

Die faschistische Ideologie entwickelte sich Anfang des 20. Jahrhunderts in Italien unter der Führung Benito Mussolinis. Der Begriff „Faschismus“ leitet sich vom altrömischen Wort für Bund, Bündel (lat. fasces) ab. Das Parteiabzeichen der Faschisten war das Rutenbündel. Der Faschismus stand für rechtsextreme, rassistische und fremdenfeindliche Ansichten. Am 28. Oktober 1922 erlangte Mussolini mit dem Marsch auf Rom die Macht. Ab 1925 regierte er unter dem Titel il Duce (it. der Führer) als Diktator Italiens. Seine Herrschaft endete 1943, als er gestürzt wurde. Nach der Auflösung der Diktatur 1945 erfolgte eine bürgerliche Verharmlosung des Faschismus in Italien. Auch heute kann man noch das Haus Mussolinis besichtigen.

Das postfaschistische Erbe der Fratelli d'Italia

In Deutschland kamen zehn Jahre später die Nationalsozialisten an die Macht, doch worin lag der Unterschied zu Nazi-Deutschland? In Italien gab es keinen Vernichtungsantisemitismus. Mussolini fokussierte sich wesentlich auf einen antiafrikanischen und antislawischen Rassismus. In einigen Regionen ist man auch heute noch stolz auf il Duce. Hinsichtlich des (Post-)Faschismus lassen sich klare Parallelen zu Melonis Partei Fratelli d'Italia ziehen. Der Politikwissenschaftler Markus Grimm hat seine Dissertation zur problematischen Neuerfindung der italienischen Rechten geschrieben und sich intensiv mit der politischen Italien-Forschung auseinandergesetzt. Er weiß, welche Bedeutung hinter dem Parteilogo der Fratelli d'Italia steckt: Das Symbol der Partei, die Flamme, symbolisiert den Geist des Faschismus, der aus dem Grab Mussolinis heraus weiterlebt. Es ist ein ganz klarer Bezug zum Faschismus.Hinzu kommt, dass einige der Parteimitglieder kein Problem damit haben, als Postfaschisten bezeichnet zu werden, erklärt Markus Grimm weiter. Sie berufen sich schließlich auf die Tradition Italiens.

Das Symbol der Partei, die Flamme, symbolisiert den Geist des Faschismus, der aus dem Grab Mussolinis heraus weiterlebt. Es ist ein ganz klarer Bezug zum Faschismus.

Markus Grimm, Politikwissenschaftler

Von der Opposition an die Regierungsspitze

Giorgia Meloni war Nachwuchspolitikerin unter Silvio Berlusconi. Von 2008 bis 2011 hatte sie im vierten Kabinett des italienischen Politikers und Unternehmers Berlusconi das Amt der Ministerin für Jugend und Sport inne. Im Jahr 2012 gründete Meloni die postfaschistische Partei Fratelli d’Italia (it. Brüder Italiens). Seit 2014 ist sie Parteivorsitzende. Bei der Parlamentswahl in Italien sicherte sie sich 2022 den Wahlsieg und wurde Italiens erste Ministerpräsidentin. Seit 1945 ist sie die erste Ministerpräsidentin, die am längsten an der Regierungsspitze steht. Bisher hatte das Land 68 Regierungen. Seitdem ist die italienische Regierung überraschend stabil. Heute ist die Fratelli d’Italia die stärkste Partei Italiens.

Harter innenpolitischer Kurs

Die Ministerpräsidentin verfolgt innenpolitisch eine harte, konservativ-soziale Agenda. Sie sieht sich selbst als Mutter, Christin und Frau. Die traditionelle Familie ist ihr wichtig. Mit ihrem konservativen Programm hat sie bereits LGBTQ-Rechte stark eingeschränkt. So zuletzt durch einen Gesetzesentwurf, der das Verbot von Leihmutterschaft behandelt. Hinzu kommt die Einschränkung hinsichtlich Abtreibungen. Meloni spricht sich nicht gegen Abtreibungen im Allgemeinen aus, allerdings lässt sie Abtreibungsgegner in Kliniken zu. Diese belästigen Betroffene bei ihren Beratungsterminen und setzen sie unter Druck.

Außerdem wurde das Bürgergeld (it. reddito di cittadinanza) gestrichen. Die Partei Lega Nord führte es 2019 ein, um der Armut in Italien entgegenzuwirken. Durch die Abschaffung erhoffte sich die Regierung Einsparungen in Milliardenhöhe. Italien ist nach Griechenland das meist verschuldetste Land in der EU. Kritisch ist auch, dass Meloni eine Verfassungsreform anstrebt. Diese hätte weitreichende Folgen. Damit würde sie die Legislative schwächen. Staatspräsident Mattarella würde in seinem Amt herabgestuft werden: Zukünftig soll der*die Ministerpräsident*in direkt vom Volk gewählt werden. Momentan erfolgt die Ernennung durch den*die Staatspräsident*in. Anschließend wird der*die Minister*in durch ein Vertrauensvotum in den beiden Kammern bestätigt. Als die Verfassung nach Ende des Zweiten Weltkrieges geschrieben wurde, sollte ein solches Szenario verhindert werden.

Melonis Europa: Nationalismus statt Einheit?

Europapolitisch orientiert sich Meloni an Brüssel. Sie ist eine der wichtigsten politischen Partnerinnen der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen geworden. „Meloni vernetzt sich relativ geschickt. Sie ist bei der inhaltlichen Kritik eine gute Strategin, eine gute Taktikerin, eine gewiefte Politikerin, die sich durchlaviert und immer wieder die richtigen Allianzen findet, um ihre Macht zu halten“, berichtet Markus Grimm. Nach der Wahl fährt sie auf europäischer Ebene überraschenderweise eine viel moderatere, pragmatischere Politik als zunächst angenommen. 

Meloni vernetzt sich relativ geschickt. Sie ist bei der inhaltlichen Kritik eine gute Strategin, eine gute Taktikerin, eine gewiefte Politikerin, die sich durchlaviert und immer wieder die richtigen Allianzen findet, um ihre Macht zu halten.“ 

Markus Grimm, Politikwissenschaftler

Hinsichtlich der Unterstützung der Ukraine ist sie im westlichen Lager angesiedelt. Italien ist Teil der Nato und spricht sich klar gegen Putin aus. Seit 2020 ist Giorgia Meloni Präsidentin der Europapartei Europäische Konservative und Reformer (EKR).

Aber welche Ziele verfolgt die Präsidentin der EKR auf europäischer Ebene, besonders hinsichtlich der Migrationspolitik? Ihr Prestigeprojekt ist das Geflüchtetenlager in Albanien, auch „Mini Guantanamo“ genannt. Die Umstände dort gleichen einem Gefängnis. Italien nimmt die Flüchtlinge auf hoher See auf und bringt sie nach Albanien. Dort können die Hilfesuchenden Asyl beantragen. Sollte ein Antrag abgelehnt werden, werden die Migrant*innen wieder zurück in ihre Herkunftsländer gebracht. Ein Gericht in Rom handelt aus, welche Herkunftsländer als sicher gelten. Vor zwei Jahren hätte dies noch zu Empörungen in der Politik gesorgt. Durch den Rechtsruck in Europa gibt es heute weniger kritische Stimmen. Dies könnte zur Folge haben, dass sich andere europäische Staaten ebenfalls dazu entscheiden, Flüchtlingslager in andere Länder auszulagern. Die EU-Staaten sind nicht nur in der Migrationspolitik nach rechts gerückt, sondern auch hinsichtlich der inneren Sicherheit. Somit sind sie deutlich näher an Meloni. 

Auch für Deutschland spielt Melonis Politik eine Rolle. Union und FDP drängen darauf, Asylverfahren ebenfalls auszulagern. Die Bedingungen in Italien sind weniger attraktiv als in der Bundesrepublik. Einigen Migrant*innen gelang durch organisierte Kriminalität die Flucht über die Balkanroute in Richtung Norden. Durch den harten Kurs Melonis, die sich als rechte Hardlinerin inszeniert, soll die Flucht über die Balkranroute verhindert werden. Die Volkswirtschaften Italiens und Deutschlands sind eng miteinander verbunden, besonders durch Automobilzulieferer. Ein gutes Verhältnis liegt daher im Interesse beider Länder. Auch in Sachen Migrationspolitik.

Fazit

Italien hat sich seit der Wahl 2022 gewandelt. Abtreibungen wurden bereits schwieriger, das Bürgergeld wurde gestrichen und ein Gesetz gegen Leihmutterschaft verabschiedet. Die Regierungschefin schränkt die Bürgerinnen und Bürger Italiens teilweise stark ein. Ob ihre politischen Entscheidungen im Interesse des Volkes liegen, bleibt umstritten. Hinsichtlich der innenpolitischen Lage bleibt also abzuwarten, wie weit Meloni noch gehen wird. Auf europäischer Ebene hat sich zudem gezeigt, dass Giorgia Meloni ihre Ziele konsequent verfolgt und in die Tat umsetzt. Dies macht sie zu einer strategisch agierenden Politikerin. Ihre oft schwer vorhersehbare Vorgehensweise macht ihren Führungsstil zu einer Herausforderung für die politische Landschaft Italiens und Europas.