„Die Darmmikrobiota ist sehr stark von der Ernährung und anderen Lebensstilfaktoren abhängig. Eine gesunde Ernährung und regelmäßige Bewegung bewirken einen gesunden Darm.“
Hör auf dein Bauchgefühl
Ob vor einer wichtigen Prüfung oder dem ersten Date – jeder von uns kennt es: Das flaue Gefühl im Magen, wenn man richtig aufgeregt ist. Schon mal darüber nachgedacht, warum das so ist? Oder warum wir uns an Weihnachten nach drei Tagen Völlerei einfach nur schlecht gelaunt fühlen? Die Antwort liegt in der faszinierenden Verbindung zwischen Darm und Gehirn – der sogenannten Darm-Hirn-Achse.
Wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass der Spruch „Hör auf den Bauchgefühl“ nicht bloß eine Floskel für spirituell Versierte ist. Vielmehr versteckt sich hinter dieser alten Redewendung ein ständiger Informationsaustausch zwischen Darm und Gehirn. Studien belegen, dass der Darm durch seine Kommunikation mit dem Hirn auch unsere Stimmung, unser Stresslevel oder sogar unser Immunsystem beeinflusst. Wenn wir also unser Bewusstsein für die Verbindung zwischen Psyche und Verdauungstrakt schärfen, können wir damit Einfluss auf unsere alltägliche mentale Verfassung nehmen.
Die Sache mit der Verdauung
Verspeisen wir in der Mensa eine Portion Käsespätzle, wissen wir alle was danach damit passiert: Sie wandert durch unseren Körper und wird irgendwann wieder ausgeschieden. Damit unser Darm sie verdauen kann, gibt es dort über 100 Billionen Lebewesen wie Bakterien, Pilze oder Viren. 500 bis 1.000 unterschiedliche Arten bilden das sogenannte Darm-Mikrobiom. Was wir meistens aber nicht wissen: Neben der kleinen Bakterien-Party befindet sich im Darm auch unser zweites Gehirn.
Wir haben ein zweites Gehirn
Ja, ihr habt richtig gehört. Jeder von uns besitzt in seinem Darm ein eigenes Nervensystem, dass so aufgebaut ist wie unser Gehirn. Das sogenannte „Bauchgehirn“ wird im Fachjargon als enterisches Nervensystem (ENS) bezeichnet und umspinnt unseren Verdauungstrakt wie ein feines Netz. Mit bis zu 200 Millionen Nervenzellen ist es zwar viel kleiner als unser Gehirn im Kopf, aber dafür fast so gut aufgestellt wie das Gehirn einer Katze. Diese ist mit ihren 250 Millionen Nervenzellen nur ein kleines bisschen schlauer als unser Darm.
Doch wieso muss unser Bauchgehirn denn fast so intelligent wie eine Katze sein? Mutter Natur hat unseren Darm mit einem eigenen Nervensystem ausgestattet, damit er die Verdauung selbstständig übernehmen kann. Ziemlich clever, denn wir essen ja mehrmals am Tag. Müsste sich unser Gehirn auch noch darum kümmern, wäre es die meiste Zeit des Tages zusätzlich beschäftigt. So hat es Kapazitäten für andere Dinge.
Mit dem einen Gehirn verdauen, mit dem anderen Gehirn denken: Theoretisch haben das zentrale Nervensystem und das enterische Nervensystem getrennte Aufgabenbereiche. Über die Darm-Hirn-Achse kommunizieren sie jedoch miteinander. Der Informationsaustausch erfolgt in beide Richtungen, wobei die Kontaktaufnahme meistens vom Darm ausgeht.
Let's talk about it!
Die vielen Bakterien des Mikrobioms sind klein, aber oho! Sie interagieren mit den Nervenzellen (Vagusnerv) im Darm und können so direkte Signale an das Gehirn senden. Diese Signale können zum Beispiel bei Stress oder Angst verstärkt werden, was zu typischen Magen-Darm-Beschwerden wie Übelkeit oder Bauchschmerzen führt.
Ein weiterer Kommunikationsweg zwischen Darm und Gehirn sind die „Glückshormone“ Serotonin und Dopamin sowie der Botenstoff Gamma-Aminobuttersäure (GABA). Beide Organe produzieren diese Stoffe und können sich mit ihrer Hilfe über die Blutbahn miteinander verständigen. Sie sprechen sozusagen dieselbe Sprache.
Es wird geschätzt, dass etwa 90 Prozent des körpereigenen Serotonins im Darm gebildet werden.
Quelle: Gastroenterology
Psyche und Mikrobiom
Etwa 95 Prozent des Serotonins im Körper werden im Bauch gebildet. Zwar kann das Serotonin aus dem Bauch nicht direkt ins Gehirn gelangen, aber dennoch kann es über die Darm-Hirn-Achse unseren Kopf beeinflussen. Dies wurde vor allem in Versuchen mit Mäusen bestätigt. In einem Experiment wurde der Stuhl von ängstlichen Mäusen auf keimfreie Mäuse übertragen, die einen Darm ohne Mikrobiom haben. Diese entwickelten daraufhin ängstliche Eigenschaften. Ähnliches zeigte sich bei Mäusen mit depressionsähnlichem Verhalten oder Übergewicht.
Mit den Erkenntnissen des Tierexperiments lässt sich die Hypothese aufstellen: Auch bei uns Menschen hat das Wohlergehen des Darms einen Einfluss auf die Gefühlslage. Denn ein gesundes Mikrobiom unterstützt die Funktion des Immunsystems, während ein Ungleichgewicht im Mikrobiom zu Entzündungen und damit zu psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Angstzuständen oder Alzheimer führen kann. Inwieweit diese Krankheiten durch eine Veränderung der Darmbakterien frühzeitig behandelt werden können, wird derzeit untersucht.
Klar ist: Das Mikrobiom wird durch Genetik, Umwelt und Lebensstil beeinflusst. Wenn überwiegend „gute“ Bakterien im Darm sind, die die wenigen „schlechten“ in Schach halten, ist das Mikrobiom in einem günstigen Gleichgewicht für unsere Psyche. Das Schöne daran ist, dass wir vieles davon selbst beeinflussen können. Nicht umsonst heißt es: „Du bist, was du isst“. Um die „guten“ Bakterien zu bilden, sollten wir vor allem auf eine ausgewogene Ernährung achten.
Das Mikrobiom reagiert aber nicht nur auf bestimmte Nahrungsbestandteile, sondern auch auf Medikamente. Beispielsweise kann Antibiotika bei der Einnahme fast all unsere Darmbewohner töten. Bei allem, was wir zu uns nehmen, sollten wir uns also stets der sensiblen Bewohner in unserem Darm bewusst sein. Denn auch wenn die Forschung über die Bedeutung des Bauches noch in den Kinderschuhen steckt, steht fest: Unser Darm ist mehr als nur ein Verdauungsorgan – sondern das Fenster zu unserem Kopf.