Die Heimwehepisode
Es ist Freitag und ich sitze im Zug nach Hause. 196 Kilometer liegen vor mir. Ich fahre von meinem einen Zuhause zum anderen: Von der Stadt, in der ich studiere, in die Stadt, in der ich aufgewachsen bin.
Es strengt mich an zu pendeln, auch wenn es von Stuttgart nach Emmendingen nur ein Katzensprung ist. Wenn ich eine gute Verbindung erwische, dauert es nur knappe zwei Stunden. Trotzdem strengt es mich an. In Gedanken bin ich schon wieder bei der Rückfahrt – ein Ticket muss ich noch buchen, damit ich am Montag keine Vorlesung verpasse. Ich bin zwar noch nicht in Emmendingen angekommen, aber irgendwie bin ich schon längst wieder weg. Ein bisschen fühle ich mich wie ein Scheidungskind, das rastlos alle zwei Wochen zwischen den Elternteilen wechselt und ständig versucht an zwei Orten gleichzeitig zu sein. Und obwohl die regelmäßigen Umgebungswechsel meine Nerven strapazieren, nehme ich sie immer wieder auf mich. Denn ich freue mich immer sehr auf daheim, auch wenn ich nur ein Wochenende oder ein paar Tage dort bleibe.
Gewohnheit kann ein sehr schönes Gefühl sein
Daheim bedeutet für mich, mit meiner besten Freundin in unserem Lieblingscafé zu sitzen. Daheim bedeutet für mich freitags in dieselbe Bar zu gehen, in der wir schon mit 16 dem Kellner stolz unseren Ausweis zeigten, um eine Berliner Weisse bestellen zu können. Daheim bedeutet für mich, mit meinen Eltern am Sonntagabend den Tatort zu schauen. Ich erinnere mich kaum an einen Sonntag, an dem nicht zur Primetime die Intromusik des Kultkrimis aus unserem Fernseher ertönte. Meistens setzte ich mich mit auf das Sofa. Nicht, weil Jan Josef Liefers und Axel Prahl mich sonderlich fesseln, sondern vielmehr aus Gewohnheit. Das klingt für manche sicherlich wie ein besonders langweiliger Albtraum, aber eigentlich tut es manchmal gut, etwas genau so zu machen, wie man es schon immer gemacht hat. Gewohnheit kann ein sehr schönes Gefühl sein.
Doch seitdem ich in eine neue Stadt umgezogen bin, verbinde ich daheim noch mit einem anderen Gefühl. Mit einer Art von Heimweh. Sobald ich bei meinen Eltern angekommen bin, vermisse ich den Trubel in meiner Unistadt. Ich vermisse Trash-TV-Marathons mit meinen Mitbewohnern in unserem improvisierten Wohnzimmer. Ich vermisse es, die ersten Sonnenstrahlen mit meinen Unifreunden in der Innenstadt zu genießen. Ich vermisse meinen Freund. Dieses Gefühl wird sich auch erst legen, wenn ich im ICE Richtung Norden sitze. Zumindest für eine kurze Zeit.
Schon immer war ich ein Heimwehkind
Egal an welchem der beiden Orte ich bin, immer habe ich Heimweh. Ich kenne das Gefühl gut. Schon immer war ich ein Heimwehkind, wie meine Mama es nennt. Zu Grundschulzeiten waren mir Ereignisse wie Klassenfahrten eher ein Dorn im Auge. Während meine Mitschüler*innen schon wochenlang von nichts anderem mehr redeten, malte ich mir Szenarien aus, warum die Klassenfahrt urplötzlich leider doch abgesagt werden musste.Ich blieb einfach lieber daheim.
Mit dem Ausziehen war es natürlich etwas anderes. Es ist nicht die gleiche Art von Heimweh, die ich als Kind gefühlt habe. Ich lebe gerne in einer anderen Stadt. Wenn ich ehrlich bin, könnte ich es mir auch nicht wirklich vorstellen, in Freiburg zu studieren. Denn irgendwann ist die Gewohnheit auch ein einengendes Gefühl. Dass sich daheim nichts verändert ist irgendwie tröstlich, aber auf gewisse Art und Weise auch gruselig.
Manchmal frage ich mich, ob dieses Gefühl immer bleibt. Denn egal an welchem Ort ich bin: Das Heimweh nach einem anderen Ort scheint mein ständiger Begleiter.
Ein weitere Episode Neue Stadt, neues Glück zum Thema Auszug findest du hier.