Letzte Worte 3 Minuten

"Fuck you"

Graffiti-Wand mit rotem "Fuck you"-Schriftzug
In den Straßen von Baltimore, wo Tupac aufwuchs gilt Graffiti häufig als Ausdrucksform gegen Armut, Polizeigewalt und strukturelle Benachteiligung. | Quelle: Lea-Marie Brutscher
21. Jan. 2025

Menschen gehen, Worte bleiben. In dieser Kolumne geht es um die letzten Sätze berühmter Persönlichkeiten und was sie uns damit über ihre Geschichte und das Leben zu sagen haben. – Auf wen war Tupac so sauer, als er seine letzten Worte sprach?

Fröhliche Radiomusik dröhnte aus den Boxen des schwarzen BMWs. Motorgeräusche, Autohupen und plötzlich ein Knall, so ohrenbetäubend, dass er den Rest der Welt zum Stillstand zu bringen schien. Ein Zweiter, ein Dritter, ein Vierter und Blutströme, die den Körper des Mannes verließen, der soeben getroffen wurde. Schreie, panische Stimmen, Sirenen. „Who shot? Who was it?“ – Ein Polizeibeamter lehnte über den schwachen, fast leblosen Körper. Tupac Shakur blickte ihm direkt in die Augen, holte noch einmal tief Luft, setzte zu einer Antwort an und sprach seine letzten Worte: „Fuck you.“

Ein Abschied, der dem Image des US-amerikanischen Straßenrappers würdig war. Vielleicht hat er sich diese Worte ja tatsächlich schon ewig zurechtgelegt und war bereits lange vor seinem Tod entschlossen gewesen, die Welt irgendwann mal wie ein Gangster zu verlassen. Das glaube ich aber nicht. Ich glaube, dass Tupacs letzte Worte in Wirklichkeit ein Ausdruck der Verzweiflung und der Hoffnungslosigkeit waren.

Wenn ich versuche, mich in seine Position hineinzuversetzen (obwohl das für mich als weiße Person natürlich nur bis zu einem sehr oberflächlichen Punkt möglich ist), scheint dieser emotionale Abschied mehr als plausibel. Da liegt ein Mann auf dem Boden, der seit der Geburt auf Grund seiner schwarzen Hautfarbe an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurde. Trotz Ruhm und Erfolg 25 Jahre lang ausgeschlossen, stigmatisiert, vielleicht sogar verachtet. Und auf einmal, genau dann, wenn es eigentlich schon zu spät ist, taucht die Polizei auf und bietet plötzlich ihre Hilfe an. 

Eine leere Geste, eine Pseudo-Rettung

Da scheint mir ein „Fuck you“ tatsächlich mehr als angemessen.

Um eins ganz klarzustellen: Es geht mir hier nicht darum, die Polizei niederzumachen. Ich bin sehr dankbar für den Schutz und die Unterstützung, die mir hier in Deutschland von Menschen, die ihren Job ernst nehmen, zuteil wird. Aber wieso kommt diese Unterstützung für so viele Menschen einfach immer zu spät?

Wo blieb die Hilfe für den blutenden Mann, der schwach, fast leblos im schwarzen BMW lag, umringt von lauten Schreien, panischen Stimmen, schrillen Sirenen. Wäre sie früher gekommen, hätte diesem Mann so viel an Leid erspart werden können.

Mit „früher“ meine ich nicht 10 Minuten, bevor Tupac sein Bewusstsein verlor. Lieber hätte der Polizist seine Uhr mal um 25 Jahre vorstellen sollen, dann wäre er ja vielleicht pünktlich gewesen. Pünktlich genug, um zumindest das Leben einer einzigen Person ein kleines Bisschen von der Ungerechtigkeit zu befreien, die in unserer Gesellschaft mit oberflächlichen Merkmalen wie der Farbe der Haut einhergeht.

Tupac Shakur wurde seit Anbeginn seines Lebens nicht nur zum Zeugen, sondern zum direkten Betroffenen ungerechter und rassistisch geprägter Behandlungsmuster. Er kam aus einem Stadtviertel, auf das privilegierte Gesellschaftsschichten hinabschauten. Dort wurde schwarzen Kindern das Recht auf gleichwertige Bildung verwehrt. Dort spürte er am eigenen Körper die Brutalität und Missachtung, mit der die „Gesetzeshüter“ ihm auf Grund seiner ethnischen Herkunft begegneten. 

Er hörte Geschichten, erlebte Geschichten und er erzählte sie in seiner Musik weiter.

Musik von Tränen und Ignoranz

Von schwarzen Männern, die gewalttätig auf Betonböden geworfen werden und Müttern aus dem Ghetto, die sich aus Angst um ihre Kinder schluchzend in den Schlaf weinen. 

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"Violent" 1991 erschienen auf dem Album 2Pacalypse Now.

Und auf einmal, genau dann, wenn es eigentlich schon zu spät ist, taucht die Polizei auf und bietet plötzlich ihre Hilfe an? Da scheint mir ein „Fuck you“ ehrlich mehr als angemessen.

„Fuck you, für all die Wunden, die ihr nicht sehen wolltet.“

„Fuck you für all die Hilferufe, die ihr nicht hören wolltet.“

„Fuck you“ – für all die Menschen, denen ihr nicht beistehen wolltet, für die ihr zu spät kamt. Für Männer und Frauen, die gewalttätig auf Betonböden geworfen werden und Mütter, die sich aus Angst um ihre Kinder schluchzend in den Schlaf weinen.

„Fuck you“ – für den blutenden Mann im schwarzen BMW, der ein Recht darauf hatte, dass endlich jemand pünktlich kommt.