Hurra, diese Welt geht unter – und alle finden's halb so wild

Ich sitze in der Bahn, um mich herum eine graue Masse aus halb apathischen – halb depressiven „Ich-sitze-hier-nur-vor-mich-hin“-Gesichtern, und aus meinen Kopfhörern schallt die Stimme von Henning May: „Hurra, diese Welt geht unter!“. Der Song trifft ins Mark, als würde er sagen wollen: „Ey, merkst du eigentlich, was hier schiefläuft?“
Kriege, Klimawandel, Konsumwahn – und wir, die Generation Dauerkrise, mittendrin. Babyboomer und Co. appellieren an unsere Generation die Welt zu verbessern, als wären wir verantwortlich für den ganzen Mist. Das Internet füttert uns mit Stories und Bildern der Krisen: Nahostkonflikt, extreme Wetterereignisse, globalen Ungleichheiten. Wir sind alle hautnah mit dabei. Es ist als führen wir die Konflikte unserer Vorfahren fort, wie vererbte Schulden –wir sind nicht für sie verantwortlich, aber müssen sie trotzdem abbezahlen. Die Weltuntergangseuphorie, die K.I.Z. inszeniert, scheint immer angenehmer.
Ich drehe die Musik lauter, steige aus der Bahn und trete hinaus auf die überlaufene Einkaufspassage. Menschen schieben sich an Schaufenstern vorbei – vollgepackt mit Plastiktüten. Der Duft von Fast Fashion und Schweiß der auf billiges Polyester trifft, liegt in der Luft. „Auf den Trümmern das Paradies.“ Wie es wohl wäre ohne diese Konsumgier? Keine Black-Friday-Angebote mehr, die meine Spam-Mails verstopfen, keine Fashiontrends, die in zwei Wochen out sind, und vor allem keine stillen Vorwürfe, durch wie viele Kinderhändchen meiner neuer Schnäppchen-Pulli wohl gegangen ist.
Zynismus als Spiegel für unsere Gesellschaft
Die Hymne der Ideologie setzt fort und die Melodie wirkt dabei wie eine Feierstimmung inmitten von Chaos und Neuanfang – eine Art „Fest der Zerstörung“, bei dem die Band die Absurdität der Weltlage und die Gleichgültigkeit vieler gegenüber den großen Problemen aufzeigt. Das tägliche Mantra „das wird schon wieder“ scheint die Antwort auf alle Probleme zu sein – als ob man durch bloßes Abwarten die Katastrophe verhindern könnte. In der harten Realität unserer Zeit wirken viele Menschen jedoch gefangen. Erschöpft, sich der täglichen Krisen bewusst, aber resigniert angesichts einer Welt, die nicht nach ihren Träumen fragt. Die bittere Pointe: Wer „Hurra, diese Welt geht unter“ im Alltag hört, erkennt, dass der Wunsch nach Neubeginn für viele keine Utopie, sondern Realität ist.
Ein neuer Anfang in einer alten Welt
Doch kann man die Welt von Grund auf neu aufbauen und wie sähe diese aus? Weniger Werbung, weniger Profitgier, mehr echtes Leben? Was bedeutet Freiheit in einer Zeit, in der Grenzen unsichtbar, aber allgegenwärtig sind? K.I.Z. regt an, zu überlegen, ob man nicht genau wie der Rest der grauen Masse geworden ist. Ein Teil der Masse, der vor lauter To-dos nicht mehr weiß, warum das alles gemacht werden muss.
Die letzte Strophe ertönt und ich frage mich selbst: Was, wenn das wahre Problem nicht nur in all den globalen Konflikten und Katastrophen steckt, sondern auch darin, wie wir persönlich darauf reagieren? Die Botschaft des Songs ist ein Weckruf, kein Abgesang. Ein brutaler Appell an uns, endlich mal zu überlegen, was wirklich wichtig ist.
Also ja, irgendwo tief drin ist da dieser Wunsch: „Hurra, die Welt geht unter – auf den Trümmern das Paradies.“
Hinweis:
Dieser Beitrag ist Teil des Kolumnenformats „Der Sound unserer Zeit". Weitere Folgen der Kolumne sind: