Tosender Applaus. Alle Musical-Darsteller*innen verbeugen sich, ihre Gesichter strahlen. In diesem Moment zählt nur der Bühnenzauber. Doch bis hierhin ist es ein weiter Weg.  

Stage Entertainment

Tosender Applaus. Alle Musical-Darsteller*innen verbeugen sich, ihre Gesichter strahlen. In diesem Moment zählt nur der Bühnenzauber. Doch bis hierhin ist es ein weiter Weg.  

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Denn vor der Magie kommt die Verwandlung: Mithilfe von Pinselstrichen, Routine und Ehrgeiz verwandelt sich Abla in Eisprinzessin Anna. 

Marie Hähnle

Denn vor der Magie kommt die Verwandlung: Mithilfe von Pinselstrichen, Routine und Ehrgeiz verwandelt sich Abla in Eisprinzessin Anna. 

Marie Hähnle

Let it go! Ein Leben für die Show

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Let it go! Ein Leben für die Show

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Warmes Licht durchflutet die Bühne. In dem großen Schloss hüpft Anna aufgeregt umher. Ihre roten Zöpfe wippen bei jeder Bewegung. „Willst du einen Schneemann bauen?“ Ihre Stimme klingt hoffnungsvoll, fast flehend. Sie klopft an die große Tür und wartet – doch nichts. Wieder klopft sie. Keine Antwort. Sie scheint enttäuscht zu sein, dass ihre große Schwester Elsa nicht mit ihr spielen kann. Für einen Moment scheint die Zeit stillzustehen. Dann wirbelt Anna weiter, lachend und voller Energie.

Das Publikum hält den Atem an. Kleine Kinder, verkleidet als Elsa und Anna, klammern sich an die Armlehnen. Ihre Augen sind weit aufgerissen vor Staunen, ihre Lippen flüstern leise den Songtext. Auch Erwachsene lassen sich von der Magie mitreißen, vergessen für zwei Stunden den Alltag und tauchen in die Welt des Musicals „Die Eiskönigin” ein. Doch während das Publikum die Geschichte genießt, müssen die Darsteller*innen hinter den Kulissen in einem akribisch durchgetakteten Alltag hart dafür arbeiten.

Das Musical „Die Eiskönigin" begeistert weltweit Millionen. Basierend auf dem Disney-Film ist das Stuttgarter SI-Centrum seit Ende 2024 die Heimat der Musical-Inszenierung.

Es ist ein kalter Wintertag in Stuttgart. Die Uhr zeigt 16 Uhr, draußen wird es langsam dunkel. Im Backstage-Bereich des Stage Theaters leuchtet warmes Licht. In Ablas Garderobe ist es gemütlich: eine Lichterkette wirft sanfte Schatten, ein Sofa steht in der Ecke. In der Luft liegt der sanfte Duft eines Raumdiffusers. Vor allem aber ist die Luft feucht – wichtig für ihre Stimme. Kleinigkeiten, auf die Abla genau achtet.

Sie trägt Stiefel, ein Hemd, einen Rock. In ein paar Stunden, wird sie in ihr Kostüm schlüpfen. Noch aber sitzt sie gemütlich auf dem Sofa. Auf dem Boden neben ihr steht eine große Wasserflasche – 1,7 Liter, immer griffbereit.

Auf einem Regal zieht ihr Eibischwurzeltee – kalt. Sehr gut für die Stimme und die Schleimhäute, erklärt sie. Viel essen könne sie vor einer Show nicht. Hinter ihr sind die Wände geschmückt mit Erinnerungen: Polaroids, Fangeschenke, liebevoll gezeichnete Porträts von kleinen Fans. Für viele von ihnen ist sie nicht Abla. Sie ist Anna.

Seit elf Jahren steht sie auf der Musicalbühne und lebt für diese kurzen, magischen Augenblicke.

Marie Hähnle

Seit elf Jahren steht sie auf der Musicalbühne und lebt für diese kurzen, magischen Augenblicke.

Marie Hähnle

Sie ist 34 Jahre alt, diszipliniert, professionell – und mit jedem Herzschlag Künstlerin. Ihre Augen leuchten, wenn sie von ihrem Beruf spricht. Schon als Kind habe sie gerne im Theater gespielt, erzählt sie. „Meine erste Rolle war die Pechmarie im Kindergarten”, erinnert sie sich schmunzelnd. „Als ich verstanden habe, dass es Musicals gibt, habe ich entschieden, dass das mein Weg wird."

Der Weg dorthin war hart. Sie macht eine Ausbildung in Hamburg. „Es war eine ziemlich harte Schule”, sagt sie. „Man konnte jederzeit rausfliegen. Stipendien konnten einem jederzeit entzogen werden, wenn man nicht genug Leistung gebracht hat”, erinnert sich Abla. Keine leichte Zeit, gibt sie zu. Die Angst, nicht gut genug zu sein, saß ihr oft im Nacken. „Ich war teilweise sehr wütend, ich war frustriert. Ich habe mich und meine Leistung nicht gesehen gefühlt”, sagt sie. Aber sie lernt, mit der Angst umzugehen: „Es ist gesund, sich bewusst zu machen, dass es so viele Menschen gibt, die besser sind als man selbst. Aber ich wusste auch: Es gibt Leute, die sind nicht so gut wie ich.”

Also machte sie weiter. Schritt für Schritt. Heute spielt sie eine der Hauptrollen in dem Musical „Die Eiskönigin”: Anna, die Schwester von Elsa.

Die Magie vor der Show

Das Einsingen beginnt. Zwei Stockwerke tiefer hat sie ihre Ruhe in einem der Proberäume. Der Raum ist schlicht: ein Sofa, ein Klavier, ein paar Kartons. Mehr braucht es nicht. Abla setzt sich ans Klavier, lässt die Finger über die Tasten gleiten. Sie summt, erst leise, dann lauter, macht Lippenflattern. 

Ein tiefer Atemzug. Mit einem Gummischlauch haucht sie in eine Flasche Wasser, bis es zu blubbern beginnt. Eine Übung für die Stimmlippen.

Marie Hähnle

Ein tiefer Atemzug. Mit einem Gummischlauch haucht sie in eine Flasche Wasser, bis es zu blubbern beginnt. Eine Übung für die Stimmlippen.

Marie Hähnle

Dann skaliert sie die Tonleitern hinauf und wieder hinab, prüft, ob jede Note sitzt. Dreißig Minuten lang. Es ist ein Ritual. Ihre Stimme muss wach sein, warm, bereit für die Bühne.

Nach einem kurzen offiziellen körperlichen Warm-Up mit der gesamten Cast auf der Probebühne, geht sie zurück in ihre Garderobe. Abla liebt es, mit ihrer Performance zu spielen. Musicals seien keine strikte Routine, sagt sie. Kein Film, der immer wieder gleich abgespielt wird – jede Vorstellung ist etwas anders. „Ich muss auch mal an einem Tag einem neuen Impuls folgen. Mal funktioniert es, mal nicht”, erklärt sie. Aber wenn sie jeden Tag dasselbe abspulen würden, wäre das Publikum nicht berührt, meint Abla. Denn jede Show muss wie die erste wirken, voller Leben, voller Magie.

Die Schattenseiten des Traumberufs

Musicaldarsteller*in sein – das klingt nach einem Traum. Doch hinter der glitzernden Fassade lauern Unsicherheiten. Die meisten Verträge sind befristet. „Zwischen Shows sind wir arbeitslos”, erklärt Abla in ihrer Garderobe. Auch sie musste sich daran gewöhnen. Noch während man in einem Stück spielt, müsse man sich bereits für das nächste bewerben. Oft habe sie falsche Entscheidungen getroffen, aus der Angst heraus am Ende ohne Job dazustehen. 

Und dann ist da noch der Druck. Ihr Körper ist ihr Instrument. Eine Verletzung bedeutet, dass Abla monatelang nicht arbeiten kann. Auch längeres krank sein, kann schwierig werden. Wer eine Hauptrolle spielt, hat eine Verantwortung – vor allem gegenüber dem Publikum.

Die Verwandlung in Anna

Zurück in ihrer Garderobe. Es wird ruhiger. Routiniert trägt Abla Make-up auf: Concealer, Puder, ein Hauch Rouge. Ihr Lidstrichgleich ist der, den sie auch privat trägt. Doch auf der Bühne ist alles dramatischer, jede Bewegung, jeder Ausdruck muss bis in die letzte Reihe sichtbar sein. Nebenbei läuft eine Serie auf dem Tablet, manchmal telefoniert sie. Dann das Kostüm und die Perücke. Und schon wird aus Abla, Anna von Arendelle.

Es sind noch zehn Minuten bis zur Show. Es wird Zeit für den „Fight Call”. Dort, so erzählt Abla, wird die Besetzungsliste vorgelesen, wenn nicht die Erstbesetzung spielt. Zur Sicherheit wird immer eine letzte Sicherheitsüberprüfung für eine spezielle Hebefigure durchgeführt. Jede Bewegung muss sitzen, jeder Griff stabil sein. Dann kann es losgehen.

Es wird dunkel. Ein leises Raunen geht durch den Saal, dann Stille. Ein erster sanfter Klang der Musik setzt ein. „Willst du einen Schneemann bauen”, singt die kleine Anna die bekannte Strophe. Nach wenigen Minuten taucht dann auch Abla als erwachsene Anna auf. Ein strahlendes Lächeln, ein freudiges Hüpfen – lachend stürmt sie über die Bühne. Ihr wallendes Kleid wirbelt um ihre Beine, ihr rotes Haar schwingt mit ihren Bewegungen. Ihre Stimme erfüllt den Saal, hell und klar.

Ein Lachen durchbricht die Szene – nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Publikum. Abla spielt mit Timing, reagiert auf ihre Bühnenpartner und gibt Anna diese unwiderstehliche, kindliche Energie. 

Wenn der Vorhang zu geht

Nach zwei Stunden verklingt dann die Musik, das Bühnenlicht dimmt sich langsam. Applaus. Abla verbeugt sich neben den anderen Darsteller*innen. Freude und Erleichterung ist ihnen ins Gesicht geschrieben. „Es ist absurd: Wir lieben, was wir tun und dann werden wir auch noch dafür bezahlt und bekommen Applaus. Das ist schon ein bisschen weird“, beschreibt sie das Gefühl. 

Zurück in der Garderobe zieht sie sich schnell das Kostüm aus. Eine Umarmung hier, ein kurzes Lächeln dort – dann eilt sie zur Bahn. Die Tür fällt ins Schloss. Und morgen, da beginnt alles von vorn.

Ein neuer Abend, neue Zuschauer, neuer Zauber.

Und Abla ist bereit, ihnen die Magie erneut zu schenken.