„Das Arbeiten mit den Händen fehlt mir in meinem Job am Computer.“
Werkeln statt Schuften
Es ist Dienstagabend 19.43 Uhr. Mit einem Ruck zieht Jochen die quietschgrüne Hallentür auf. Drinnen scheint helles Licht. Stimmengewirr und das Heulen einer Kreissäge rauschen ihm entgegen, als er seinen mit zwei Materialboxen beladenen Handwagen über die Schwelle zieht. Die Luft ist staubig und es riecht nach Holz. Jochen grinst: „So muss das sein.“ Er ist im Himmel – im Hobbyhimmel.
Bastelfreude auf 300 Quadratmetern
Seit zwei Jahren gibt es die offene Werkstatt in einer ehemaligen Fabrikhalle in Stuttgart-Feuerbach. Basteln darf hier jeder alles – von der einmaligen Reparatur bis hin zum professionellen Möbelbau. Freundlich grüßt Jochen den Mann an der Theke – heute hat Markus Dienst – und steuert eine sechseckige Werkbank im vorderen Teil des Gebäudes an. Auf 300 Quadratmetern sind zwölf verschiedene Bereiche untergebracht, etwa für Holz, Metall, Schweißen oder 3D-Druck. „Mich findet man meistens an der Hobelbank oder in der Schleifkabine“, erzählt Jochen, während er sein mitgebrachtes Equipment vor sich ausbreitet. Neben detaillierten Bauplänen auf seinem Laptop hat der Vater zweier kleiner Töchter 24 handflächengroße Holzscheiben dabei. „Daraus werden Teelichthalter, die unser Kindergarten dann auf dem Weihnachtsmarkt verkaufen kann.“
Lautes Hämmern schneidet Jochen das Wort ab. Er öffnet eine flache Holzkiste und vergleicht zwei schmale Bohraufsätze, bevor er den kleineren davon in die Tischbohrmaschine vor sich einspannt. Schon als Junge liebte Jochen das Werkeln mit den Händen. „Mein Opa hatte eine kleine Werkstatt im Keller“, erinnert er sich. Stundenlang habe er dort dem Großvater beim Löten zugesehen oder ganz profan Sägekanten glatt schmirgeln können. „Wenn ich etwas mit meinen eigenen Händen forme und anschließend zusammenfüge, fühl ich mich einfach lebendig“, schwärmt der Familienvater. Als Konstrukteur sitzt Jochen am Schreibtisch vor dem Computer, 40 Stunden die Woche.
Vorsichtig justiert er eine der Holzscheiben unter dem Bohrkopf der Tischbohrmaschine. Jeweils vier gehören zusammen, sodass sie ausgeklappt eine aufsteigende Fächerform bilden. „Zuhause fehlt mir nicht nur die Ruhe, sondern vor allem auch der Platz.“ Mit seiner Freundin und zwei Töchtern bewohnt der Bastler eine Drei-Zimmer-Wohnung mit 78 Quadratmetern. „Da passt eine Werkbank definitiv nicht mehr rein.“ Ein Dilemma, mit dem Jochen nicht alleine dasteht.
Hohe Mieten, wenig Platz
Seit Jahren herrscht Wohnraummangel in und um Stuttgart. Die Quadratmeterpreise steigen und viele Großstädter müssen sich mit engen Zimmern zufriedengeben. Raum für kreatives Entfalten – Fehlanzeige. Diese Lücke versucht der Hobbyhimmel zu schließen. „Mit Platz, gemeinsam nutzbaren Ressourcen und einem Treffpunkt, wo Tüftler ihresgleichen finden”, konstatiert Lisa Breiter, die sich seit Gründung der Werkstatt ehrenamtlich um den Social Media Auftritt und die Öffentlichkeitsarbeit kümmert. Rund 230 Nutzer pro Monat geben dem Konzept scheinbar recht. Viele kommen regelmäßig, manche nur vor Weihnachten und wieder andere verkaufen ihre Werke sogar.
Szenenwechsel. Mit schnellen Schritten marschiert Jochen zur Schleifkabine. Neben den Teelichthaltern will er heute auch noch zwei Teile für sein Großprojekt – ein Kinderstockbett – fertigstellen. Konzentriert hält er den ersten Holzwinkel an die rotierende Schmirgelpapier-Oberfläche des Kantenschleifers. Binnen Sekunden schweben feinste Holzpartikel im Raum. Jochen hustet. „Wenn es zeitlich passt, komme ich zweimal die Woche”, sagt er. „Dienstags und freitags. Das ist mein Ausgleich zum Schreibtischjob, sozusagen mein Freizeitsport.”
Geöffnet ist die Werkstatt jeden Tag – sofern sich ein ehrenamtlicher Mitarbeiter findet, der die Abendsessions betreut. „Aktuell besteht das aktive Team aus 20 Leuten, die sich mit dem Thekendienst abwechseln”, so Lisa. Das klappt allerdings nicht immer. Oft sind es dieselben, die kurzfristig einspringen. Es ist schwierig, engagierte Mitglieder zu finden. „Ich sags ja: wie im Sportverein”, meint Jochen und lacht. Tatsächlich haben ehrenamtliche Helfer erst vor wenigen Monaten einen Hobbyhimmel-Verein gegründet, der zukünftig als Träger der Werkstatt agieren soll.
Kiste zu – Feierabend!
Die Uhr zeigt 21.49 Uhr an. „Zeit aufzuräumen”, weiß Jochen. Um 22 Uhr ist Zapfenstreich. Anstelle von Maschinenkrach ist jetzt geschäftiges Klappern zu hören. Ein Besen fliegt über den Boden und gleich darauf heult der Staubsauger auf. Gewissenhaft sortiert Jochen die Bohraufsätze zurück in sein Holzkistchen. Auch alle mitgebrachten Materialien setzt er zurück auf den Handwagen. „Erste Regel im Hobbyhimmel: Räum dein Zeug auf und lass nichts liegen”, erklärt der Hobbybastler. Schon einmal sind ihm Teile für sein Kinderstockbett abhanden gekommen.
Mit einem Blick auf drei zusammengeschraubte Teelichthalter fügt er hinzu: „Eigentlich wollte ich das heute fertig machen.” Sechs Stück und die Lackierung hatte er sich vorgenommen. Macht aber nichts. Der Designer zuckt die Schultern. Dann macht er eben nächstes Mal weiter. „Der Hobbyhimmel ist für mich eine entschleunigte Welt, ganz ohne Hektik”, philosophiert Jochen auf dem Weg nach draußen. Das sei der große Unterschied zur Arbeit. Laut fällt die quietschgrüne Tür hinter Jochen ins Schloss. Bis zum nächsten Mal.