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Insekten - Fleischalternative der Zukunft?

Man sieht einen Burger mit dekorativen Mehlwürmern auf einem Teller
Vorhang auf und Kopfkino aus. Ein Mehlwurmburger ist mehr als nachhaltig, gesund und lecker. | Quelle: Sarah Tepel
16. Mai 2024

Mehlwurmburger, Grillenpasta, Heuschreckenriegel? Insektenprodukte verkaufen momentan nur Startups, das kann sich aber bald ändern. Wie gut schneidet die Umweltbilanz der Krabbler neben herkömmlichen Nutztieren wirklich ab? Ein Essay.

Es ist Mittwochabend. Ich sitze am Esstisch. Vor mir liegt mein selbstgemachter Burger. Der Bratling enthält Mehlwürmer. Nach meiner Recherche für diesen Artikel kenne ich mich bestens mit den Vorteilen von Insekten als Lebensmittel aus. In meinem Kopf bekämpfen sich aber Argumente und Ekel. Die plakativen Mehlwürmer auf dem Teller machen das Ganze nicht besser.  

Was mich Überwindung kostet, ist für zwei Milliarden andere Menschen völlig normal. Essbare Insekten stehen bisher hauptsächlich in Afrika, Südamerika und Asien auf der Speisekarte. Das sollte sich bald ändern, denn Schätzungen zufolge leben 2050 über neun Milliarden Menschen auf der Erde. Die Frage ist, wie und von was wir uns in Zukunft ernähren. Der Klimawandel ist aktuell, unaufhaltbar und alarmierend. Insekten können eine proteinreiche und umweltfreundliche Lösung sein.

Ich habe mich gefragt, wie umweltfreundlich ich mich eigentlich ernähre. Ich bin Flexitarierin. Ich versuche gesund und so oft wie möglich vegetarisch zu essen, bin aber in keine Richtung superstreng unterwegs. Auf das Kassenband im Supermarkt lege ich meistens Freilandeier, Sojamilch, Kokosghurt, ab und zu Käse, viel Gemüse, Hummus, und wenn ich mir dann doch mal Bacon oder Hühnerbrust gönne, dann immer Bio. Es passiert öfter, dass mir beim Anblick des Einkaufs vor oder hinter mir der Appetit vergeht. Denn auf einem deutschen Kassenband liegt viel Fleisch. Laut Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung verzehrt die durchschnittliche Person in Deutschland fast 30 Kilogramm Schweine-, circa neun Kilogramm Rindfleisch und im Schnitt 13 Kilogramm Geflügel pro Jahr. Die Umweltbelastung für die Fleischproduktion ist dabei erheblich.

Nach der Heinrich-Böll-Stiftung landet ein Drittel aller angebauten Ackerpflanzen weltweit in den Mägen von Nutztieren. Für ein Kilo Fleisch brauchen Rinder acht, Schweine fünf und Hühner zwei Kilo Futter. Zum Vergleichen der Werte mit Insekten habe ich mit Florian Berendt gesprochen. Er hat das deutsche Startup „Entosus“ gegründet. In Bremen züchtet und verarbeitet er mit seinem Team Grillen. Auf meine Frage, wieso es gerade Grillen sind, meinte er, dass die Grille das weltweit am meisten gegessene Insekt ist. Für die Züchtung von einem Kilo der zirpenden Tiere braucht Berendt zwei Kilo Futter, genauso viel wie Hühner dafür fressen. Insekten allgemein seien sehr gute Futterverwerter. Man könne sie mit Reststoffen aus der Agrar- und Lebensmittelindustrie füttern. Das hörte sich für mich erstmal schlüssig an. Aber kann man das nicht auch bei Hühnern oder Schweinen? Berendt erklärte mir, dass Grillen viel effizienter in der Verwertung von Futter sind als Säugetiere. Sie sind wechselwarm und benötigen somit keine Energie zur Wärmeerzeugung.

Praktisch weniger Platz

Die in der Europäischen Union zugelassenen Speiseinsekten sind laut Novel Food Verordnung aktuell: Die Hausgrille, die Wanderheuschrecke, der Mehl- und Buffallowurm. Sie alle sind nachtaktiv und benötigen deshalb bei der Züchtung kein Licht. Man kann sie in großen industriellen Produktionssystemen züchten. Egal wo und wann. Es ist möglich, Grillen in offenen Boxen über mehrere Etagen hinweg zu halten. Dazu braucht man keine Viehweiden oder ewig lange Produktionshallen. Selbst um ein Kilogramm Mehlwürmer zu produzieren, werden nur zehn Prozent der Fläche gebraucht, die für die Produktion von einem Kilogramm Rindfleisch benötigt wird. Durch ortsunabhängige Herstellung werden auch lange Transportwege eingespart. Das sind alles Punkte, die für Insekten als Nahrungsquelle sprechen.

Ganz schön viele Badewannen

Ein weiterer Umweltfaktor ist die für die Herstellung benötigte Wassermenge. Die Fleischproduktion macht rund 30 Prozent des globalen menschlichen Wasserfußabdrucks aus. 88 Badewannen voller Wasser braucht es, um ein Kilogramm Rindfleisch zu produzieren. Bei der gleichen Menge Schweinefleisch sind es 34 und beim Huhn 24 Badewannen. Als ich das umgerechnet habe, stieg meine Motivation, einen Insektenbratling zu besorgen, wesentlich an. Bei einem Kilo Grillen sind es nämlich unter fünf Liter Wasser. Krass, oder?

Vom Ernten zum Produkt

Das Töten von Insekten wird „Ernten“ genannt. Dabei verarbeitet man nicht nur die Tiere selbst, sondern ebenfalls den sogenannten Insektenfraß. Der besteht aus Ausscheidungen, ungefressenen Futterresten und abgestreiften Kokons. Die Reststoffe sind sehr nährstoffreich und eignen sich daher ideal als Dünger in der Landwirtschaft. Am häufigsten werden Insekten gefriergetrocknet und dann zu Mehl vermahlen. Damit kann man zum Beispiel Burgerpatties, Grillenpasta oder Heuschreckenriegel machen. Gefriergetrocknet haben alle vier Insektensorten beeindruckende Proteingehalte. Grillen belegen auch hier Platz eins mit 70 Prozent Protein, dicht gefolgt von Buffallowürmern mit 60 Prozent. Statt dem klassisch-beliebten Proteinshake oder Hühnchen mit Reis könnten Sportler*innen sich Insektenpasta kochen. Denn nicht nur der Panzer des Mehlkäfers glänzt, sondern auch seine Larve mit Ballaststoffen, Omega-3-Fettsäuren, Vitaminen und Mineralstoffen. 

Ich sitze immer noch vor dem Burger, wir schweigen uns an. Was sind nochmal die Vorteile? Denk an die Umwelt! Denk an die Nährwerte! Vor meinen Augen fangen die Mehlwürmer kurz an sich zu bewegen, dann mach ich mir wieder klar, dass sie tot sind, trocken und nicht schleimig. Der verfluchte TikTok-Algorithmus hat mir schon ab und zu diese besonderen Videos vorgeschlagen, in denen Menschen in lebendige Insektenlarven reinbeißen. Dieses Bild kriege ich nicht mehr aus meinem Kopf. Nein, sie sind tot… umweltfreundlich und gesund. Trotzdem hätte ich gerne einen Gemüsebratling.

Ekelfaktor als Konsumhemmer

Ich weiß, dass es nicht nur mir so geht. Die Akzeptanz gegenüber Lebensmitteln, die aus Insekten sind, ist in Deutschland, Italien und Portugal sehr niedrig. Das ergab eine repräsentative Erhebung in diesen drei Ländern, die im Rahmen des EU-Forschungsprojektes „Sustainable Insect Chain“ von der Technischen Universität in Berlin durchgeführt wurde. Die Gründe: Ekel, Gesundheits- und Hygienebedenken, fehlendes Vertrauen. Ich bin mir sicher, dass die meisten Menschen kein klassisches Würstchen kaufen würden, wenn sie sehen würden, was darin so alles verarbeitet wurde. Es ist auch eine Frage der Gewohnheit. Menschen sind Gewohnheitstiere.

 

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Klingt nach viel, ist aber im Verhältnis zur Fleischproduktion immer noch gering. | Quelle: Heinrich-Böll-Stiftung Fleischatlas 2021 / Sarah Tepel

Wie kann man dann die Akzeptanz und das Interesse von Insektenprodukten, vor allem in westlichen Ländern, erhöhen? Florian Berendt meint: „Für den Wandel sind die zwei wichtigsten Punkte der Preis und der Geschmack. Der Nachhaltigkeitsgedanke kommt bei den meisten Menschen erst danach. Die Insektenprodukte müssen gut schmecken und vergleichsweise mit anderen tierischen Produkten mithalten können.“ Weitere Faktoren sind auch Probieren und Aufklärung. Die Frage ist allerdings, ob die Leute, wenn sie auf Fleisch verzichten, nicht eher ganz auf pflanzliche Alternativen zurückgreifen. Man muss es aber so sehen: Insekten stellen keine Alternative für Vegetarier*innen oder Veganer*innen dar, sondern vor allem für Flexitarier*innen. Insekten sind auch neben klimafreundlicher oder regionaler Fleischproduktion viel nachhaltiger. In der Hinsicht, glaube ich, sind die Krabbler vor allem auch für zukünftige Generationen, die umweltbewusster leben, attraktiv.

Wo sich die Nachfrage erhöht, erhöht sich auch das Angebot. Und andersrum. Um ehrlich zu sein, war es eine Odyssee, die Burgerpatties für mein Foto zu finden. Nach drei sehr gut sortierten Supermärkten und einem Bioladen hatte ich Frust und Stress, aber keine Patties. Die musste ich dann online besorgen.

„Für den Wandel sind die zwei wichtigsten Punkte der Preis und der Geschmack.“

Florian Berendt, Firmengründer von Entosus

Ich raffe mich auf und beiße in den Burger. Er schmeckt gut, kostet mich aber immer noch eine große Überwindung. Ohne die Trockenwürmer wäre es leichter. Die sind bei verarbeiteten Produkten aber nicht zu sehen, was eine Chance ist. Ich glaube auch, dass es einfacher wird, je mehr man sowas ausprobiert.

Also: lasst uns nicht den Planeten, sondern Insekten grillen!

Grad zirpt mein Handy. Wer ruft an? Vielleicht die Zukunft…