Wer spielt mit?
Bei Heimspielen des 1. FSV Mainz 05 strömen unter normalen Umständen zwischen 20 und 30 Tausend Zuschauer*innen in die „OPEL ARENA“. Die Fans sind da, um ein gutes Fußballspiel zu sehen und vor allem am Ende gemeinsam den Sieg zu feiern. Doch es sind noch ganz andere Dinge, die das Mainzer Stadion zu etwas Besonderem machen.
Kein Stadion wie jedes andere
Bei der Ankunft an der „OPEL ARENA“ fällt auf, dass neben den Parkflächen für die Autos knapp 2.500 Fahrradständer das Gelände schmücken. Das blau schimmernde Dach der Arena ist ungewöhnlich, lässt den normalen Fan aber nicht direkt auf die dort montierte 9.000 Quadratmeter große Solardachanlage schließen. Auch beim Betreten der Arena sind einige Unterschiede im Vergleich zu anderen Stadien zu erkennen. Neben dem Eingang fehlt der meterhohe Stapel an Stadionzeitschriften und an den Essensausgaben gibt es neben der traditionellen Stadionwurst schmackhafte vegetarische Alternativen, die in Sachen Kreativität weit über den Klassiker Pommes hinausgehen. Die meisten Fußballfans nehmen diese Kleinigkeiten am Spieltag kaum wahr. Doch Stephan Bandholz, der Stadion-Manager und Klimaverantwortliche des Fußballbundesligisten Mainz 05, weiß, wie viel Arbeit hinter diesen vermeintlichen Kleinigkeiten steckt und welchen positiven Effekt sie auf die Klimabilanz des Vereins haben.
Im Text ist die Rede von CO2-Emissionen und Fußabdruck. Dabei sind immer alle Treibhausgase miteinbezogen und werden vereinfacht als CO2 bezeichnet.
Klimaschutz bei Mainz 05
Seit 2010 arbeitet Bandholz mit daran, den Verein so klimafreundlich wie möglich zu gestalten. Mainz 05 ergreift dazu Maßnahmen in verschiedenen Bereichen. Neben baulichen Veränderungen am Stadion veranstaltet der Verein regelmäßig „autofreie Spieltage“, um auch die Fans für eine klimafreundliche An- und Abreise zu motivieren. Nach Angaben des Vereins reisen im Schnitt bereits 50 Prozent der Fans mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu den Heimspielen an und ab. Auch die junge Generation soll frühzeitig an die Thematik Klima- und Umweltschutz herangeführt werden. Dafür arbeitet Mainz 05 mit 30 Partnerschulen zusammen, um die Kinder und Jugendlichen über das Thema zu informieren.
In der Bundesliga galt Mainz lange Zeit als einziges Vorzeigebild im Kampf um den Klimaschutz. Der Verein selbst bezeichnet sich schon seit zehn Jahren als klimaneutral. Für Patrick Fortyr, Klimaexperte bei der Klimaschutzberatungsfirma „CO2OL“, ist diese Begrifflichkeit ein Problem: „Es gibt keine einheitliche Definition von Klimaneutralität. Es gibt keine gesetzlichen Vorgaben, im Endeffekt könnte jeder selbst seine Definition aufsetzen und sich danach richten.“
Für Stephan Bandholz ist es deswegen wichtig, transparent mit dem Thema umzugehen. Für ihn liegt der größte Teil der Arbeit in der umfänglichen Ermittlung des CO2-Fußabdruckes. Hierbei ist besonders die Einteilung der Emissionen in drei Bereiche sogenannte „Scopes“ relevant. Scope 1 umfasst alle Emissionen, die direkt vom Verein verursacht werden. Mit Scope 2 werden alle Emissionen beschrieben, die durch fremdbezogene Energien (Elektrizität oder Fernwärme) verbunden sind. Unter Scope 3 fallen die indirekten Treibhausgas-Emissionen, die durch eingekaufte Ware und Dienstleistungen im Vor- und Nachgang entstehen. Bei Mainz 05 werden alle drei Bereiche bilanziert. Die umfängliche Erhebung gilt für Stephan Bandholz als Grundlage: „Das ist die Basis für unser jetziges Handeln. Es geht darum, zu ermitteln, in welchem Bereich Dinge verbessert werden können. Am Ende des Tages heißt es, möglichst wenig CO2 zu produzieren, um dann nur möglichst wenig kompensieren zu müssen.“
Für Patrick Fortyr ist das der richtige Ansatz: „Die Bereiche Scope 1, 2 und 3 müssen bilanziert und auch ausgeglichen werden, dann kann man von Klimaneutralität sprechen, das ist auch das, was wir empfehlen und definitiv bevorzugen. Zusätzlich sollte auch ein Plan zur Emissionsreduktion vorliegen.“ Ob Mainz 05 tatsächlich schon ein Jahrzehnt klimaneutral ist, wagt Fortyr zu bezweifeln. Dabei nimmt er Bezug auf die Internetseite des Vereins. Dort steht geschrieben, dass eine vollkommene Klimaneutralität „herausfordernd, vielleicht sogar unmöglich“ sei. Weiter heißt es, es sei nicht immer umsetzbar, alle klimarelevanten Aktivitäten zu erfassen. Für Patrick Fortyr steht das im Widerspruch zu der Aussage, seit zehn Jahren klimaneutral zu sein. Trotzdem zählt der Klimaexperte Mainz 05 „definitiv zu den Vorreitern“ der Bundesliga.
„Überall in der Bundesliga wird mittlerweile etwas getan.“
Während Mainz 05 seine Strategien für den Klimaschutz seit vielen Jahren weiterentwickelt und optimiert, scheint das bei vielen Bundesligisten erst seit kurzem Thema zu sein. „Es ist einfach so, dass sich der Fußball erst in den letzten zwei bis drei Jahren intensiver mit dem Thema Klimaschutz beschäftigt“, sagt Patrick Fortyr. Er hat sich in der Vergangenheit schon öfter mit Klimaschutz im Profifußball beschäftigt und führte zusammen mit dem Deutschlandfunk eine Studie über den CO2-Fußabdruck der Fußballfans in der Bundesliga durch. Die Bereitschaft, den Kampf gegen den Klimawandel anzunehmen, kam bei vielen Vereine spät. Aber sie kam. Das muss auch Stephan Bandholz neidlos anerkennen: „Ich glaube, dass viel mehr getan wird, als tatsächlich bekannt ist. Bei den Kollegen aus Wolfsburg, Freiburg oder Bremen muss man sagen, die machen wahrscheinlich mindestens genauso viel wie wir.“ Für Bandholz ist klar, das sind die bekanntesten Beispiele, doch „überall in der Bundesliga wird mittlerweile etwas getan“.
„Klimaschutz ist ein Zusammenspiel aller, aber es muss schnell passieren.“
Patrick Fortyr legt jedoch ein entschlosseneres Handeln der Branche nahe: „Gerade der bezahlte Profisport insgesamt, aber vor allem auch der Profifußball mit seinem riesigen gesellschaftlichen Einfluss muss da einfach mehr tun.“ Ein aktuelles Beispiel zeigt, dass es immer noch viele wichtigere Themen gibt. So fliegt die deutsche Nationalmannschaft knapp 250 Kilometer von Stuttgart nach Basel. Eine gute Regeneration der Spieler wäre bei einer Bus- oder Bahnfahrt nicht möglich gewesen, heißt es dazu vom Deutschen Fußball-Bund. Von konsequentem Klimaschutz ist das noch weit entfernt.
Doch wie so oft stellt sich die Frage: Wer muss anfangen? Wer trägt die Verantwortung? Sind es die Fans der Bundesliga? Müssen die Vereine ein klimataugliches Konzept erarbeiten oder braucht es strengere Richtlinien der DFL oder sogar der deutschen Politik? Für Patrick Fortyr ist es „das Zusammenspiel aller Akteure“. Darin sieht er allerdings auch ein großes Problem: „Das ist es, was am Ende ein bisschen lähmend wirkt. Jeder wartet, dass der andere den ersten Schritt macht.“ Und viel Zeit bleibt uns beim Klimaschutz nicht mehr.