Wie die Krankenkassen unsere Apotheken kaputtsparen
„Tut mir leid, dieses Medikament haben wir leider nicht vorrätig.“ Immer häufiger fällt dieser Satz in deutschen Apotheken. Aber auch unsere Krankenhäuser und Rettungsdienste sitzen zunehmend auf dem Trockenen. Mehr als 470 verschreibungspflichtige Medikamente sind nicht lieferbar. Betroffen sind vor allem Antibiotika, Asthmasprays, Insulin, starke Schmerzmittel und Herz-Kreislauf Medikamente. Die Dunkelziffer an nicht-verschreibungspflichtigen Präparaten ist wahrscheinlich deutlich höher. Schuld an der Knappheit sind vor allem die, die eigentlich für unsere Gesundheit sorgen sollten: Die Krankenkassen. Nicht erst seit gestern sparen AOK, BKK und Co. unser Gesundheitssystem kaputt. Die aktuellen Lieferengpässe bei Medikamenten setzen dem ganzen noch die Krone auf. Das größte Problem sind dabei die Rabattverträge zwischen Krankenkassen und Pharmaherstellern.
Unter Rabattverträgen versteht man die Exklusivverträge zwischen den gesetzlichen Krankenkassen und einzelnen Pharmaherstellern. Möglich wurden sie 2007 durch das GKV-Wettbewerbsgesetz. Dabei verpflichtet sich der Hersteller, der Krankenkasse einen bestimmten Rabatt auf sein gesamtes Sortiment zu gewähren. Wie aus einem versehentlich veröffentlichten Dokument der AOK Baden-Württemberg hervorgeht, liegen diese Rabatte bei bis zu über 80 Prozent gegenüber dem bundeseinheitlichen Apothekenverkaufspreis. Im Gegenzug verspricht die jeweilige Krankenkasse dem Hersteller, seine Patient*innen (bis auf wenige Ausnahmen) nur mit seinen Medikamenten zu versorgen. Apotheken sind sogar verpflichtet, die von Ärzt*innen verordneten Medikamente gegen die rabattierten Medikamente auszutauschen. Einzige Ausnahme: Der Arzt verbietet dies durch das sogenannte „Aut-idem-Kreuz“.
Wie hängen die Rabattverträge mit den Lieferengpässen zusammen?
Seit 16 Jahren schließen die gesetzlichen Krankenkassen Rabattverträge ab, um nur die günstigsten Medikamente bezahlen zu müssen. Solche Billigpreise können aber nur von großen Konzerne gestemmt werden, die auf Masse produzieren. Kleine Hersteller gehen pleite, weil ihre Medikamente nur in wenigen Fällen an Patient*innen ausgegeben werden.
Um ein Schmerzmittel so günstig herstellen zu können, müssen die Wirkstoffe wie Ibuprofen, Paracetamol oder Morphin aus Asien importiert werden. Für den günstigen Preis müssen aber lange und anfälligere Lieferwege in Kauf genommen werden. Neben üblichen Störfaktoren wie Verunreinigungen und Produktionsausfällen stellen außerdem die Corona-Pandemie und auch der Krieg in der Ukraine neuartige Herausforderungen auf dem langen Weg zu uns dar.
Der Markt zentralisiert sich also auf immer weniger Pharma-Riesen im Ausland, die im Kampf um die Rabattverträge mithalten können. Fallen dessen Lieferungen wegen den genannten Risiken aus, kann kein anderer Hersteller Alternativen anbieten und letztendlich auch kein Endprodukt hergestellt werden. Genau das passiert gerade bei uns.
Der Markt wird kaputt gewirtschaftet
Bei der Ausschreibung bleiben Qualität und Darreichungsform der verfügbaren Präparate ungeachtet. Wichtig ist nicht, ob das Medikament zur Patient*in passt, sondern ins knappe Budget. Wie auf dem Flohmarkt werden die Preise immer weiter gedrückt. Aber das ist nicht nur für die Patient*innen ungesund, sondern auch für den Markt. Die Produktion von Medikamenten konzentriert sich auf immer weniger Hersteller, die dem Preisdruck noch standhalten können. Sie müssen ihre Qualität und Standards aufs Minimum hinunterschrauben. Pandemie, Produktionsausfälle oder Probleme auf dem Transportweg bringen dieses Kartenhaus daher rasch zum Wackeln. Wehren sich die verbleibenden Pharmahersteller, wie gerade der Fall, gegen die Dumpingpreise, stürzt es ein.
Die Konsequenz bekommen nun besonders die Schwächsten unter uns zu spüren. Müssen wir Erwachsene auf eine Schmerztablette verzichten, ist das ärgerlich, aber nicht dramatisch. Anders sieht es bei fiebernden Kindern aus, die noch ein schlagfertiges Immunsystem entwickeln müssen.
In jüngster Vergangenheit fehlten im Klinikum Stuttgart außerdem Medikamente, für die keine adäquaten Therapiealternativen zur Verfügung stehen. Beispielsweise Antibiotika oder Krebspräparate waren einfach nicht zu bekommen. Ein Armutszeugnis für den „sozialen" Staat Deutschland.
Rabenvater Staat
Wer nun auf Maßnahmen seitens der Regierung hofft, kann lange warten. Diese hat den Wahnsinn nämlich nicht nur eröffnet, sondern bringt ihn sogar zeitnah auf das nächste Level! Basierend auf dem „Gesetz zur Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung“, dürfen Krankenkassen die Hersteller neuer Medikamente bald zu Preissenkungen von 20 Prozent zwingen. Es zeigt sich: Gut gemeint ist nicht gut gemacht. Denn statt günstigeren Medikamenten wird es langfristig keine mehr geben. Betroffen vom zusätzlichen Gesetz sind besonders neuartige Präparate gegen Krebs, Hepatitis C und HIV. Wie sollen herstellende oder importierende Firmen da noch mithalten? An ihrer Stelle würde sich wohl jede Geschäftsleitung vom deutschen Markt distanzieren.
Besonders schwer- oder chronisch Erkrankte sowie Kinder sind auf Medikamente angewiesen. In einem reichen Land wie Deutschland darf auch in Zukunft niemand sterben oder leiden, weil das nötige Präparat nicht vorhanden ist! Unsere Gesundheit ist nicht verhandelbar. Die Warnungen der Apothekerschaften müssen deshalb endlich ernst genommen werden! Rabattverträge gehören verboten. Es müssen Investionen in unsere eigene Pharmaindustrie getätigt und so der deutsche Markt wieder attraktiv gemacht werden. Ansonsten haben wir bald eine besonders bittere Pille zu schlucken.