„Ich dachte mir, das sind die, die reingehen. Und sie gehen für jeden rein.“
Notfallseelsorge: Heldin im Hintergrund
Gebäudevollbrand. Alle Zimmer des Hauses stehen vollständig in Flammen. Laut Zeug*innen befindet sich immer noch eine Person im Gebäude. Die Feuerwehrleute müssen sich nun überwinden, selbst das Haus zu betreten. Ihr Handeln kann Leben retten. Wenn die Feuerwehr zu schweren Einsätzen ausrückt, sind die Feuerwehrleute meistens nicht allein unterwegs. Sie werden dabei von einer Notfallseelsorge begleitet, die Angehörige, Zeug*innen, Ersthelfer*innen oder andere Beteiligte betreut. Elke Gehrling ist ehrenamtlich Notfallseelsorgerin und Mitgründerin der Einrichtung in Sigmaringen. Die Gemeindereferentin ist seit 1999 dabei und war bereits bei ungefähr 700 Einsätzen vor Ort. Sie gibt uns nicht nur einen Einblick in ihre Arbeit vor Ort, sondern erzählt uns auch, inwiefern sie sich intern um die Psychohygiene der Feuerwehrleute kümmert. Mutig sein spielt dabei nicht nur bei der Arbeit der Feuerwehrleute eine Rolle, sondern auch in ihrem Beruf selbst.
Was macht man in der Notfallseelsorge?
Wenn wir an die Unfallstelle kommen, gibt es erstmal eine Absprache mit den Einsatzleitenden, was hier überhaupt passiert ist. Ich steige ein, indem ich zu den Betroffenen hingehe und sage: „Hallo, ich bin Frau Gehrling, ich bleibe ein bisschen bei Ihnen.“ Ich achte dann auf die Reaktionen meines Gegenübers.
Elke Gehrling zeigt uns auch ihren kleinen Piepser, welchen sie immer dabeihat. Dieser gibt ein Signal ab, wenn sie zu einem Einsatz ausrücken muss. Wenn der Piepser losgeht, muss sie das Interview abbrechen, denn sie hat gerade Rufbereitschaft.
Warum sind Sie Notfallseelsorgerin geworden?
Ganz am Anfang von meiner Zeit als Notfallseelsorgerin war ich bei einem Lehrgang der Feuerwehr dabei. Wir durften einige Sachen ausprobieren, die man in der Feuerwehrausbildung macht. Da musste ich in den Keller eines Übungshauses, in dem mit einer Nebelmaschine künstlicher Rauch erzeugt wurde. Ich konnte dadurch nichts mehr sehen und hatte das Gefühl, dass ich vor einer schwarzen Wand stehen würde. Mir wurde dann auch noch gesagt, dass sich dort ein Kinderzimmer befindet, in dem ein Baby liegt. Nun war es meine Aufgabe, das Baby dort rauszuholen. Ich bin nicht in das Haus rein, sondern habe gewartet, bis sie mir die Babypuppe aus dem Haus gebracht haben. Meine Achtung vor Feuerwehrleuten ist in dem Moment ungemein gestiegen. Ich dachte mir, das sind die, die reingehen. Und sie gehen für jeden rein. Ich hatte während der Übung ein derart scheiß Gefühl, dass ich mich dafür entschieden habe, Notfallseelsorgerin zu werden.
Wie definieren Sie Mut?
Ich glaube, dass es drei Arten von Mut gibt: Zum einen gibt es den Mut der Verzweiflung. Wenn man in eine Situation kommt, in der man nicht weiß, was man machen soll, aber man weiß, dass man da dennoch durchmuss. Eine andere Art von Mut ist Leichtsinn. Wenn ich denke „Mach ich einfach mal“ obwohl irgendwo ein kleines Männchen im Hinterkopf sitzt und sagt „Lass es, das ist unvernünftig“ und ich es dann trotzdem mache. Dann gibt es noch den Mut, um Sachen voranzubringen. Wenn man etwas Neues hat, von dem jede*r abrät und man es trotzdem macht. Das kann schiefgehen, es kann aber auch unheimlich gut werden.
Wann haben Sie besonders mutiges Verhalten bei Feuerwehrleuten beobachtet?
Ich finde es besonders mutig, wenn Einsatzkräfte nach einem Einsatz zugeben können, dass es ihnen nahe gegangen ist, oder wenn Feuerwehrleute sich eingestehen können, dass gewisse Aufgaben für sie im Moment nicht machbar sind. Feuerwehrleute, die sich todesmutig und heldenhaft in Situationen stürzen, sind meiner Auffassung nach eher eine Hollywood Fiktion.
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Wie gehen Feuerwehrleute mit Angst um?
Viele Feuerwehrleute wünschen sich, dass wir Seelsorger nach dem Einsatz mit ins Floriansstüble kommen. Wir machen dann erst ein Diffusing und dann zwei, drei Tage später ein Debriefing, um mit den Frauen und Männern die Einsätze anzuschauen und abzuarbeiten. Wir stellen dann gegebenenfalls Kontakte zu Therapeuten oder entsprechenden Kliniken her, wenn Symptome sich nicht verbessern. Viele von uns, auch ich, haben den Fachberater Psychotraumatologie gemacht. Das befugt uns Feuerwehrleute direkt zu versorgen. Sie müssen dann nicht so lange auf einen Therapieplatz warten, nachdem sie ein Trauma erlitten haben. Meinen Hund nehme ich auch immer zu Einsätzen mit, der wird von den Feuerwehrleuten in stressigen Situationen zur Beruhigung gestreichelt. Ein Feuerwehrmann meinte sogar mal zu mir, dass eigentlich jede Feuerwache einen Hund bräuchte.
Floriansstüble: Das Floriansstüble ist ein Gemeinschaftsraum im Feuerwehrhaus, in dem die Feuerwehrleute ‒ unter anderem auch nach Einsätzen ‒ zusammenkommen. Es ist nach Sankt Florian benannt, der als der Heilige der Feuerwehren gilt. Quelle: Elke Gehrling
Wie gehen Sie selbst mit belastenden Einsätzen um?
Kommt es in der Feuerwehr mehr auf Vertrauen oder auf Mut an?
Vertrauen. Vertrauen auch in das, was ich kann. Vertrauen in meine Ausbildung. Vertrauen in mein Gegenüber. Wenn ich Vertrauen habe, dann mache ich auch eher Sachen. Wenn ich in einen Einsatz gehe, brauche ich das Vertrauen in meine Ausrüstung. Nur mutig zu sein und einfach so in den Einsatz zu gehen, könnte das letzte Mal sein, dass ich das mache. Natürlich muss man auch den Mut haben sich zu überwinden. Aber unterm Strich ist es eher Vertrauen.
Kann es gefährlich sein, den Beruf nach einem Trauma nochmal aufzunehmen?
Es gibt nicht nur die posttraumatische Belastungsstörung, sondern auch posttraumatisches Wachstum. Jemand, der etwas Traumatisches erfahren hat, kann mit einer Therapie daran wachsen und als gestärkt herausgehen. Wir müssen im Leben ganz, ganz viel machen, bei dem wir furchtbar auf die Nase fallen. Ich nenne es immer „den Gnaden-Nullpunkt“ erreichen. Wir alle erleben irgendwann einen Punkt, an dem wir nicht mehr wollen und können. Und uns dann wieder aufbauen müssen. Andere Feuerwehrleute können dadurch auch anderen helfen, weil sie sagen können: „Ich habe das erlebt. Ich habe erlebt, was es heißt, an den Nullpunkt zu kommen. An sich zu arbeiten und dann weitermachen zu können.“