Rettungsdienst

Traumjob Notfallsanitäter*in?

Rettungsdienst im Einsatz
19. Jan. 2023
Von einer jungen Notfallsanitäterin, die ihrem Beruf mit Leidenschaft nachgeht, dabei aber auch mit einigen Belastungen zu kämpfen hat.

Es ist nachts in Stuttgart und ich bin mit einer Freundin auf dem Heimweg. Es regnet sehr stark und wir kommen gerade von der U-Bahn-Station. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite läuft ein älterer Mann auf die Straße, obwohl ein Auto auf ihn zufährt. Der Fahrer bringt den Wagen mit quietschenden Reifen zum Stehen, aber es ist zu spät. Er hat den Mann erwischt. Bewusstlos und am Kopf blutend liegt er auf der Straße und ich bin in totalem Schock. Alles geht so schnell. Während meine Freundin sofort reagiert und den Notruf wählt, leisten andere Passant*innen erste Hilfe. Und ich kann mich nicht bewegen. Meine erste und glücklicherweise einzige Begegnung mit einem Unfall mit Personenschaden – eine Situation, mit der ich in diesem Moment überfordert war.

Meine Schwester Lena ist dabei das genaue Gegenteil von mir. Sie ist fasziniert vom menschlichen Körper und dessen Behandlung. Ihr Traum war es schon immer, im medizinischen Bereich zu arbeiten, sowie in Momenten, wie oben beschrieben, einzugreifen und für Menschen da zu sein. Heute ist sie schon seit einigen Jahren im Rettungsdienst als Notfallsanitäterin tätig und begegnet in ihrem Arbeitsalltag Notfällen verschiedenster Art. Sie und ihre Kolleg*innen leisten die Notfallversorgung vor Ort und während des Transports der Patient*innen ins Krankenhaus.

Dabei gleicht kein Arbeitstag dem anderen und die Rettungskräfte wissen bei Schichtbeginn nie, was sie erwartet. Eine Schicht kann wenige Einsätze haben oder so voll sein, dass kaum Zeit für eine kleine Pause bleibt. Genauso wenig vorhersehbar ist das Ausmaß der Notfälle, auf die Lena und ihre Kolleg*innen während ihrer Schicht treffen werden.

Eine Konstante gibt es jedoch: Der Ablauf, nachdem ein Notruf abgesetzt wurde, ist immer derselbe. Der Anruf für den Rettungsdienst geht normalerweise über die 112 bei der Leitstelle ein. Dort nimmt ihn ein*e Disponent*in entgegen und gibt ihn anhand festgelegter Abfrageschemata ins System ein. Dabei werden die wichtigsten Informationen wie Name, Adresse, Alter und Art des Notfalls erfragt und festgehalten.

Die Leitstelle alarmiert daraufhin die einsatzbereiten Rettungskräfte. Hierfür tragen diese immer einen Melder bei sich, der bei Zuordnung zum Einsatz einen Signalton abgibt. Ein lautes, anhaltendes Geräusch, das die Mitarbeiter*innen nicht überhören können. Dann heißt es schnell sein und das Team macht sich bereit zur Abfahrt mit dem Rettungswagen. Über ein eingebautes Navigationssystem erhalten die Rettungskräfte eine Wegbeschreibung zum Einsatzort, sowie die Informationen zum Notfall, welche zuvor durch die Leitstelle erfasst wurden. Anhand dieser Informationen kann sich das Einsatzteam ein Bild davon machen, was auf sie zukommt. Sie können sich vorbereiten und darüber hinaus entscheiden, welche Ausrüstung sie aus dem Fahrzeug mit zu dem*der Patient*in nehmen müssen.

Bei dem*der Patient*in angekommen geht es darum, ihn*sie sachgerecht zu versorgen und je nach Schwere des Notfalls soweit zu stabilisieren, dass ein Transport ins Krankenhaus möglich ist. Zu dieser Versorgung gehört neben der Kontrolle der Vitalparameter und der Anlage einer Infusion auch die Gabe von Medikamenten. Dazu benötigen die Notfallsanitäter*innen medizinisches Fachwissen, Stressresistenz, eine ruhige Ausstrahlung und Fingerspitzengefühl im Umgang mit Patient*innen und deren Angehörigen.

Bei den Vitalparametern handelt es sich um Messgrößen wichtiger Körperfunktionen. Dazu zählen die Herzfrequenz, die Atemfrequenz, der Blutdruck und die Körpertemperatur. Als weiterer Vitalparameter wird im intensivmedizinischen Bereich zudem häufig die Sauerstoffsättigung im Blut gemessen.

Quelle: Vgl. DocCheck Flexikon

Diese Kenntnisse eignen sich die Rettungskräfte während einer Ausbildung zum*zur Notfallsanitäter*in an. Die Ausbildung geht in der Regel drei Jahre und kann bei verschiedenen Rettungsdiensten absolviert werden. Dabei wechseln die Auszubildenden zwischen Blöcken in der Berufsschule und dem praktischen Teil der Ausbildung, der im Rettungsdienst und an verschiedenen Stationen des Krankenhauses absolviert wird.

In der nachfolgenden Audiospur erzählt Lena von einem Einsatz ihrer Nachtschicht. Dabei leisteten sie und ihre Kolleg*innen die Notfallversorgung eines bewusstlosen Mannes.

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Für Lena bedeutet es sehr viel, in der Lage zu sein, einem Menschen in Not helfen zu können. Sie ist begeistert davon, ihr medizinischen Wissen anzuwenden und freut sich über die Dankbarkeit, die sie von Patient*innen und deren Angehörigen für ihre Arbeit erfährt.

Dieser Dankbarkeit begegnet Lena jedoch nicht immer. Damit ist sie nicht die Einzige. Rettungskräfte treffen immer häufiger auch auf Menschen, die unfreundlich oder beleidigend werden, Einsatzkräfte bespucken oder anderweitig aggressiv reagieren und sogar handgreiflich werden. „Das ist schon eine Belastung“ meint Lena, die, genau wie viele ihrer Kolleg*innen, selbst schon Erfahrungen mit gewaltbereiten Angehörigen und Patient*innen gemacht hat. Darüber hinaus haben gerade auch junge Frauen in diesem Beruf mit einem weiteren Problem zu kämpfen: Sie werden von Patient*innen und deren Angehörigen oft nicht ernst genommen. Fast täglich wird nach den „starken, männlichen Kollegen“ verlangt. Die Notfallsanitäterinnen müssen sich mit Vorurteilen auseinandersetzten und sich beweisen. Dabei wird in Frage gestellt, ob sie in der Lage seien, Patient*innen fachgerecht zu versorgen, sie auf Tragen zu transportieren oder den Rettungswagen zu fahren. Außerdem kommt es vor, dass die Notfallsanitäterinnen während einem Einsatz angefasst oder verbal belästigt werden.

Fast täglich wird nach den starken, männlichen Kollegen verlangt.

Lena Schirmer

Aufgrund der steigenden Zahlen der Übergriffe, hat die Stuttgarter Straßenbahnen AG gemeinsam mit der Polizei Baden-Württemberg, der Feuerwehr Stuttgart, der Stadt Stuttgart und dem Deutschen Roten Kreuz eine Kampagne gestartet. Diese ruft zu mehr Respekt für Rettungskräfte, Mitarbeitende der Polizei, der Feuerwehr und des Prüfdiensts auf. Zu finden ist die Kampagne nicht nur online, sondern auch auf Plakaten in der Stadt.

Plakat der Respekt-Kampagne an Stuttgarter S-Bahn-Haltestelle

Doch das sind nicht die einzigen Belastungen, mit denen sich die Notfallsanitäter*innen auseinandersetzten müssen. Neben zwölfstündigen Wechselschichten ist auch die mentale Belastung des Berufes groß und kann Spuren hinterlassen. Die Herausforderung besteht darin, mit dem Erlebten umzugehen und sich davon im Privatleben distanzieren zu können. Dabei hilft ein guter Zusammenhalt zwischen den Kolleg*innen, der einen Austausch zulässt. Genauso hilfreich ist eine gewisse Art von Humor, sich selbst und das Erlebte nicht zu ernst zu nehmen. Bei zu großer Belastung gibt es aber auch professionelle Anlaufstellen der Arbeitgeber, an die sich Betroffene wenden können.

Zu guter Letzt wäre da noch ein weiterer Punkt: die Überlastung des Rettungsdiensts. Für die Einsatzkräfte ist das schon lange zu spüren. Nun ist die Problematik auch in der Öffentlichkeit angekommen. Die Tagesschau hat die Thematik im folgenden Beitrag zusammengefasst.

Auch für Lena und ihre Kolleg*innen ist die Überlastung zu spüren. Mitarbeiter*innen fallen krankheitsbedingt aus. Folglich sind weniger Rettungswägen einsatzfähig, die Arbeit teilt sich also auf eine kleinere Gruppe von Notfallsanitäter*innen auf. Währenddessen steigt jedoch die Anzahl von Notfällen, zu denen gerufen wird. Auch die Krankenhäuser und deren Notaufnahmen sind überlastet. Teilweise müssen die Rettungskräfte ihre Patient*innen für längere Zeit in den Rettungswägen versorgen oder mehrere Krankenhäuser anfahren, bis ein Platz für den*die Patient*in gefunden wird. In dieser Zeit stehen sie nicht für neu eingehende Notrufe zur Verfügung. Ein Problem, für das schnellstmöglich eine Lösung gefunden werden muss. Das fordert auch das neu gegründete „Bündnis pro Rettungsdienst“.

Trotz all dieser Belastungen hat Lena ihre Berufung als Notfallsanitäterin gefunden, um Menschen in Not zu helfen und um ihren Traum von einer Arbeit im medizinischen Umfeld zu verwirklichen.

Die Redakteurin steht in familiärer Beziehung zu der Protagonistin.