Sexualkunde 3 Minuten

Nicht peinlich, sondern notwendig

Protagonistin Lena Dillmann steht vor einem roten Hintergrund, schaut in die Kamera und hält Aufklärungsmaterial in der Hand.
Jugendliche haben viele Fragen, Lena Dillmann versucht sie alle zu beantworten. | Quelle: Lilly Kühl
21. Mai 2025

Menstruation, Geschlechtskrankheiten und Verhütung – Sexualaufklärung ist mehr als das. Genau deshalb spricht Lena an Schulen mit Jugendlichen und füllt die Lücken, die der Schulunterricht häufig hinterlässt. Doch warum ist das so wichtig und wie sieht die Arbeit aus?

Lena betritt das Klassenzimmer einer achten Klasse und weiß: Fünf Minuten hat sie, um die Mädchen von sich zu überzeugen, damit die Stunde erfolgreich wird. Sie soll den Jugendlichen in den nächsten 1,5 Stunden Themen wie sexuelle Gesundheit, Rollenbilder und sexuelle Vielfalt näherbringen. Im regulären Sexualkundeunterricht kommen diese Inhalte häufig zu kurz. Die LIEBESLEBEN-Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA, jetzt BIÖG) zeigt, dass Präventions- und Aufklärungsarbeit auch in der heutigen Zeit noch sehr wichtig sind.

Aufklärung trifft Realität

Seit 2021 arbeitet Lena Dillmann als Referentin in der Jugendprävention bei der AIDS-Hilfe in Stuttgart. In ihrem Unterricht möchte sie den Schülerinnen einen realistischen Einblick rund um das Thema Sex geben. Es geht also nicht ausschließlich um STIs und Verhütung. Das Akronym STI steht im Englischen für sexually transmitted infections. Auf Deutsch heißt es sexuell übertragbare Infektionen. Damit sind Infektionskrankheiten gemeint, die im sexuellen Kontext übertragen werden. Die meisten Schülerinnen sind am Anfang erstmal kritisch oder fühlen sich unwohl, berichtet Lena: „Generell sind sie immer skeptisch oder haben keinen Bock.“ In ihrem Unterricht sieht Lena den Vorteil, dass sie keine Lehrkraft ist und die meisten Klassen nur einmal besucht. Dadurch sinken auch die Hemmungen, unangenehme Fragen zu stellen.

Auf einem Tisch liegen viele Infomaterialen der AIDS-Hilfe und der BZgA.
Für die Unterrichtsstunden hat Lena jede Menge Infomaterial mitgebracht.
Quelle: Lena Dillmann

Die LIEBESLEBEN-Studie fand heraus, dass 57 Prozent der 16- bis 25-Jährigen in Deutschland beim letzten Geschlechtsverkehr Kondome nutzten. Der häufigste Grund für das Weglassen ist mit 62 Prozent die Annahme, dass sowohl die andere Person als auch man selbst gesund seien. Allerdings lösen einige STIs, beispielsweise Chlamydien, wenige bis keine Beschwerden aus. In den letzten Jahren ist außerdem laut WHO ein Abwärtstrend der Kondomnutzung zu beobachten. Dieser Trend spiegelt sich auch in der Verbreitung von Geschlechtskrankheiten wider, denn die Zahlen für diverse STIs sind bei der letzten Untersuchung des European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) 2022 deutlich gestiegen.

Infografik zur Kondomnutzung 2014 im Vergleich zu 2022 von 15-Jährigen in Europa, Zentralasien sowie Kanada und Deutschland – aufgeteilt nach Mädchen und Jungen.
Trotz steigender Aufklärung sinkt die Kondomnutzung.
Quelle: Lilly Kühl

Nicole Balint ist Leiterin der kinder- und jugendgynäkologischen Sprechstunde an der Charité Universitätsmedizin Berlin. Sie ist Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe und hat die Zusatzbezeichnung Sexualmedizin. Sie behandelt Jugendliche mit diversen Erkrankungen und ihr ist es besonders wichtig, dass alle Jugendlichen Zugang zu einem professionellen Bildungsangebot bekommen.

Sie nimmt in ihrem Arbeitsalltag wahr, dass die Jugendlichen heutzutage gewissenhafter mit dem Thema Verhütung umgehen als noch zu Beginn ihrer Karriere. Besonders bei Geschlechtskrankheiten wie Chlamydien sieht Balint aber die Dringlichkeit, noch mehr aufzuklären. Beispielsweise können sich Frauen bis 25 Jahre einmal jährlich auf Kosten der Krankenkasse auf eine Chlamydieninfektion testen lassen.

Lücken im Lehrplan?

In Deutschland ist Schule Ländersache und somit auch der Sexualkundeunterricht. Die BZgA-Repräsentativstudie „Jugendsexualität 9. Welle“ verdeutlicht, dass der Schulunterricht nach wie vor die wichtigste Quelle für Sexualaufklärung ist. Priorisiert werden deutschlandweit die Themen Geschlechtsorgane, Menstruationszyklus, Empfängnisverhütung, Geschlechtskrankheiten und körperliche sowie sexuelle Entwicklung. Einige Bundesländer streben an, die Bildungspläne zu überarbeiten und sexuelle sowie geschlechtliche Vielfalt mehr in den Unterricht einzubinden, berichtet die Antidiskriminierungsstelle des Bundes.

Lena ist der Meinung, dass die Aufklärung an Schulen häufig versagt – gerade bei Themen wie sexueller Vielfalt. Aus ihrer Perspektive fehlt hier eine grundlegende Sozialbildung, um Empathie zu empfinden. Den Medien schreibt sie auch eine immer wichtiger werdende Rolle zu. Besonders Film und Fernsehen zeigen häufig ein falsches Bild von Beziehungen und Sex. „Das ist eine verherrlichte Realität – Beziehungen sind nicht so einfach und Sex meistens nicht so schön“, bringt Lena zum Ausdruck.

Eine etwas andere Sichtweise hat Balint. Die Jugendlichen, denen sie begegnet, sind durch die Schulen oftmals gut aufgeklärt, da sich diese häufig durch externe Verbände unterstützen lassen.

Prävention und Soziales gehen Hand in Hand

Balint appelliert an die Politik und Gesellschaft, sich besser um Jugendliche zu kümmern, die weniger Zugang zu Bildung haben. Sie laufen Gefahr, häufiger krank zu werden, und brauchen besondere Unterstützung. Lena wünscht sich, dass Schulen soziale Aspekte stärker einbinden, um Jugendliche auf das echte Leben und echte Beziehungen vorzubereiten. Bis dahin versucht Lena weiterhin, die Jugendlichen vorzubereiten und verlässt jede Unterrichtsstunde mit der Hoffnung, etwas bei den Schülerinnen bewegt zu haben.

Notiz: Redakteurin pflegt eine freundschaftliche Beziehung mit der Protagonistin.