„I don`t wanna get undressed for a new person all over again."
Undressed - aber mit Vorsicht

„I don`t wanna get undressed for a new person all over again.“, singt Sombr. Aber Spoiler: Es geht nicht um Kleidung. Und eigentlich geht es um alles andere als Kleidung.
„Und was ist deine Lieblingsfarbe?", frage ich und versuche interessiert zu wirken. Restaurant. Drinks. Und mein Date neben mir. So oft gibt es diese Szene in meinem Leben nicht. Tatsächlich ist es erst das zweite Mal. „Ach Grün find ich schön, aber Rot ist auch toll. Was ist deine?", antwortet mein Gegenüber und schaut mich erwartend an. „Blau find ich schön.", antworte ich, aber was ich eigentlich sagen will, ist: Ich habe Angst, dieses Mal wieder verletzt zu werden.
Es geht also nicht ums Ausziehen. Oder eher gesagt: nicht ums physische Ausziehen. Sich vor jemandem neu zu öffnen, sich verletzlich zu zeigen – das ist auch eine gewisse Form von Ausziehen. Auch wenn sombr – der eigentlich Shane Boose heißt – in diesem Lied über seine vergangene Beziehung schreibt, sie verarbeitet und ihr heimlich eigentlich noch hinterhertrauert, verstehe ich diese einzelne Zeile auf eine andere Weise. Er drückt in diesem Song aus, dass es für ihn keine andere Person geben soll. Seine Ex ist die Person, die er noch will und anscheinend immer wollen wird. „I don`t wanna kiss someone elses neck and have to pretend it`s yours instead“.
Doch ich will hier nicht über vergangene Beziehungen schreiben, sondern eher um die, die noch in der Zukunft liegen. Wir kennen es doch alle: Eine neue Person kennenzulernen ist immer wieder aufregend. Aber leider auch schwer, da man diese Person an seinem Leben teilhaben lässt. Man trifft sich mit ihr. Man redet über die verschiedensten Dinge. Und vor allem gehört es dazu, dass man sich öffnen muss. Und die wichtigste Frage dabei lautet: Wie weit will ich mich dieser Person überhaupt öffnen?
Sag mir, was du hörst - und ich sag dir, wer du bist
„Und was hörst du so für Musik?“, frage ich dann ganz beiläufig. „Oh, alles Mögliche. Ich kann eigentlich alles hören außer Schlager“, erzählt er und lacht. Selbst schuld, denke ich. Wer oberflächliche Fragen stellt, bekommt oberflächliche Antworten. „Ich höre auch so gut wie alles“, antworte ich dann, meine aber eigentlich: Ich habe verschiedene Playlists für unterschiedliche Stimmungen und oft sagen mir Songtexte viel mehr als Gespräche mit anderen Menschen. Manchmal höre ich lieber Musik, als mit anderen zu reden. Musik ist wenigstens ehrlich und direkt.
Sombr ist in seinem Lied auch direkt und ehrlich und spricht seine rohen Gedanken unbedacht aus. „I don`t wanna get undressed for a new person all over again“ ist aufrichtig und ein Gedanke, den man ungern mit anderen Menschen teilt. Nur seinen besten Freunden erzählt man, dass man noch an seinem Expartner hängt. Sombr allerdings erzählt es der ganzen Welt. Wäre Dating wie Musik wäre es viel leichter. Wären wir alle direkter und ehrlicher miteinander, wäre die Welt ein anderer Ort. Vor allem ein anderer Ort zum Daten. Öffnen müsste man sich allerdings trotzdem, vielleicht sogar noch ein bisschen mehr als sonst.
Was ich eigentlich sagen will
Doch statt über tiefgehende Dinge reden wir über oberflächliche Themen. „Was ist dein Lieblingsfilm?“ Eigentlich will ich lieber erzählen, was der letzte Film war, bei dem ich geweint habe und warum. Aber vielleicht ist das auch gut so. Es muss nicht immer der Deep Talk werden. Small Talk – vor allem beim ersten Date – ist ein essenzieller Grundstein. Small Talk zu führen muss auch gekonnt sein und gehört in einer Beziehung dazu. Und sich selbst beschützen zu wollen. Angst zu haben, verletzt zu werden - das geht der gegenübersitzenden Person genauso. Am Ende müssen wir beide uns entscheiden, wie weit wir uns gegenseitig öffnen.
Dieser Beitrag ist Teil des Kolumnenformats „Der Sound unserer Zeit". Weitere Folgen der Kolumne sind:
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- Bad Guy – oder was mir der Song über das „Böse“ in uns sagen will
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