Musiktexte-Kolumne 3 Minuten

Morgen ist auch nur ein neues Jetzt

Eine kaputte Sanduhr neben Scherben auf einem Tisch.
"Ich lasse mir von Accessoires doch nicht erzählen, was der Plan ist", singt Schmyt in "Gift". | Quelle: Johanna Sturm
08. Juli 2025

Musik ist für uns alle ein Alltagsbegleiter – meist läuft sie einfach so mit, ohne viel Beachtung. Doch wenn man mal genauer hinhört, trifft sie oft genau ins Schwarze und legt den Finger auf einen wunden Punkt unseres Lebens. Sowie die Zeilen „Leb im Heute weil`s kein Morgen gibt. Morgen ist auch nur ein neues Jetzt.“ von Schmyt, die mir jedes Mal mein Umfeld und mein Jetzt bewusster machen. 

"Oh ja das muss ich unbedingt machen", denk ich mir und im nächsten Moment dann: "Morgen. Das mach ich morgen." Warum verschieben wir so viele Dinge auf morgen? Es ist, als wäre das Jetzt nicht gut genug. Egal ob sie wichtig sind. Uni- Abgaben oder auch nur mal wieder die Wäsche waschen. Dafür ist der Morgen gut. Aber das Jetzt – das ist nicht mehr erhältlich. Wie als wäre es schon ausverkauft. Das Morgen steht noch zur Verfügung. Das steht anscheinend immer zur Verfügung.

„Leb im Heute, weil`s kein Morgen gibt. Morgen ist auch nur ein neues Jetzt."

Schmyt

Mein ständiges Auf-den-Tag-danach-Schieben regt mich oft auf. Aber das Aufschieben von anderen regt mich meist noch ein wenig mehr auf. Mein Bruder, der mir oft sagt, ja morgen gehe ich dann mal wieder ins Gym. Obwohl er ständig darüber redet (und damit angibt), scheint der morgige Tag dafür passender. Meine Freundin, die mir sagt, ja morgen schreibe ich ihn endlich an, obwohl sie das schon seit Monaten vorhat. Dieses Morgen kommt ja so oder so. Das Problem ist nur, dass wir es nicht tun. Wir sagen diese Dinge nur, aber tun dann nichts. Wörter fallen, doch die Taten folgen nur selten.

Wenn das Morgen dann da ist...

Dieses Morgen ist also irgendwann da. Doch damit auch das neue Jetzt. Das neue „Jetzt", das es mal wieder nicht wert ist, gelebt zu werden. Doch im Jetzt sollten wir das tun, was wir immer schon tun wollten. Sollten jetzt ins Gym gehen, den Crush anschreiben – und wenn es unbedingt sein muss auch die Wäsche waschen. Denn danach hat man ein gutes Gefühl in der Brust: Ich habe den Moment genutzt. Das Jetzt genutzt. Das Jetzt ist wertvoll. Der Morgen zwar auch, doch wie Schmyt so schön sagt, Morgen ist auch nur ein neues Jetzt.

Leichter gesagt als getan

Aber ich will nicht so tun, als ob ich das so viel besser mache. Ich bin nämlich auch ein ziemliches gutes Beispiel von der Alles-auf-den-Morgen-Schieben-Problematik. Höre ich die Lyrics von Schmyt, wird in mir jedes Mal aufs Neue dasselbe Bewusstsein geweckt. „Leb im  Heute, weil`s kein Morgen gibt.“ Das ist die Zeile, die er davor schreibt. Jedes Mal bin ich dabei zwischen den Gedanken „Irgendwie ist das doch traurig“ und „Eigentlich hat er ja Recht. Wer garantiert uns schon das Morgen?“ hin und hergerissen. Doch was mir jetzt einfällt ist: Zu leben muss gelernt sein. Das zeigen mir nicht nur die Lyrics von Schmyt. Das zeigt mir mein Bruder, der seine Träume auf Morgen schiebt. Oder meine Freundin, die ihren Traummann auf Morgen schiebt. Oder meine Mutter. Oder mein Vater. Oder ich selbst. Ich könnte viele Menschen aufzählen. Und vielleicht ist der Leser auch einer von ihnen? Fühlst Du dich angesprochen?

Das Schöne im Lernen sehen

Aber daran ist ja nichts falsch. Es liegt eine gewisse Schönheit in dem Lernen das Jetzt zu leben. Nur der Versuch ist schon das Schöne daran. Wie wir unsere Bewegung kurz innehalten. Alles um uns herum ein Stückchen bewusster werden. Wie die Sonne auf unserer Haut. Der Geruch von Gänseblümchen. Die Menschen um uns herum, die in diesem Moment wie selbstverständlich mit uns das Jetzt teilen. Wahrscheinlich ist es auch das, was Schmyt mit den Zeilen erreichen will: Ein Innehalten. Ein Bewusster-Werden.

Eigentlich doch schön, dass eine kleine Lyric in meiner Playlist mir so viel Grund zum Nachdenken und Philosophieren gibt, denke ich und grinse in die Frühlingssonne. Eigentlich schön, dass ich jetzt das Verlangen habe, die Kopfhörer rauszunehmen und lieber das Vogelzwitschern zu hören. Im meinem Jetzt – ja, da will ich den Vögeln zuhören, die Sonne genießen und das Frühlingswetter auskosten. Uni-Abgaben verschiebe ich in meinem Kopf nach hinten und damit auf den morgigen Tag. Morgen ist auch nur ein neues Jetzt, singt Schmyt doch gerade. Oder habe ich das jetzt falsch verstanden?

Höhenangst - Schmyt