Drogenkonsum 6 Minuten

Gefangen zwischen Ruhm und Rausch

Eine Person, die sich auf einem Notenblatt Koks in die Nase zieht.
Konsumieren im Backstage-Bereich. Kokain ist eine der beliebtesten Drogen unter Musiker*innen. (Symbolbild) | Quelle: Johanna Sturm
12. Dez. 2024

Der kiffende Indie-Sänger und der pillenwerfende DJ? Über Musiker*innen und Drogen gibt es viele Klischees. Doch was steckt wirklich dahinter und wie gehen Musiker*innen tatsächlich mit Drogen um? 

Das erste Mal war bei einem Musikvideo-Dreh. Lando Scott* war damals Anfang 20 und noch neu in der Musikbranche, als er nichtsahnend durch eine Tür tritt. Der ziemlich bekannte Musiker befindet sich im Raum und bereitet nicht nur seinen Auftritt vor, sondern auch etwas anderes: seine Lines. Kokain liegt auf dem Tisch. Weitere Personen des Teams unterhalten sich mit Drinks in den Händen. Die Stimmung ist ausgelassen. Nichts an dem Geschehen wirkt ungewöhnlich. Auch nicht das weiße Pulver, das sich der Künstler in seine Nase zieht. Für Lando jedoch ist es seine erste Begegnung mit Drogenkonsum in der Musikindustrie – etwas, das er damals noch nicht für normal hielt.

Lando war früher Musiker und Produzent in einer Gruppe, später auch Manager. Heute ist die Musik nur noch sein Hobby, nicht mehr sein Beruf. Als er noch vor seiner Musikkarriere stand, hat er Drogen sehr negativ gesehen und wollte nichts mit ihnen zu tun haben. Jetzt steht er Drogen anders gegenüber. „Ich finde es immer noch nicht gut, aber ich verteufle die Leute, die sie nehmen, nicht mehr so, wie ich es früher getan habe“, sagt er. Landos erste Begegnung mit Drogen im Musikkosmos zeigte ihm deutlich, wie in der Branche damit umgegangen wird. Statt wie der Rest der Gesellschaft den Konsum von Substanzen kritisch zu betrachten, werden diese in weiten Teilen der Kreativszene als normal angesehen. „Da wird nicht drüber gesprochen, es wird halt konsumiert“, erklärt Lando. Bei einer Studiosession oder einem Musikvideodreh sei es also ziemlich normal, wenn jemand etwas zu sich nimmt.

„Da wird nicht drüber gesprochen, es wird halt konsumiert.“

Lando Scott

Michael Klein ist klinischer Psychologe, Suchtforscher und Professor an der katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen. Die hohe Affinität zu solchen Substanzen sei nicht neu unter den Musikmachenden, wie er sagt. Die Motive zum Konsum seien ähnlich wie die von anderen Menschen. Es gehe darum positive Gefühle zu übersteigern, Stress zu reduzieren und körperliche oder emotionale Beschwerden mithilfe von bestimmten Substanzen zu kompensieren. Vor allem bei Musiker*innen spiele die Stressreduktion eine große Rolle, da sie oft unter Anspannung, Nervosität und Versagensängsten leiden würden. Seine eigene Leistung zu steigern, sei auch ein wichtiges Motiv, da Künstler*innen immer versuchen, ihre Kunst zu verbessern und sich so zu perfektionieren. „Gerade Musiker sind oft absolute Perfektionisten“, sagt Klein.

Der Wunsch nach mehr Kreativität

Zum Dasein als Künstler*in gehört Kreativität. Und oft werden Drogen als Mittel wahrgenommen, um diese zu steigern. Inwieweit das hilft, ist unter Musiker*innen umstritten. Lando glaubt nicht daran: „Jeder der dir erzählt, ich kiff' und mach dann geile Mucke – das ist Bullshit.“ Musik unter Einfluss von Drogen zu produzieren, sei nicht der richtige Weg. „Du kannst mal drüberhören, aber stoned weiterzumachen, empfiehlt sich meiner Meinung nach nicht.“ – Auch Michael Klein bestätigt aus wissenschaftlicher Sicht, dass man sich unter Drogeneinfluss zwar mitunter kreativ fühlt, aber nicht besonders gut schöpferisch tätig sein kann: „Ich kann das, was ich im Gehirn erlebe, in Wirklichkeit nicht eins zu eins so performen“, erläutert er. Das hänge mit der Realitätsverschiebung zusammen, die man unter Drogeneinfluss erlebe. 

„Ich kann das, was ich im Gehirn erlebe, in Wirklichkeit nicht eins zu eins so performen.“

Michael Klein, Psychologe und Suchtforscher

Durch den Einfluss von Drogen wollen Musiker*innen vor allem das erreichen, was man in der Psychologie unter Neuro-Enhancement versteht. Einfacher ausgedrückt: „Gehirn-Doping“. Die Gehirnfunktion soll durch die Zufuhr von Substanzen optimiert werden. Abhängig ist die Wirkung von der Art der Droge. Funktionieren würde das vor allem mit Stimulanzien, wie Kokain und Amphetamin, wie Klein sagt. Bei der Performance sei der Musikmachende konzentrierter und ausdauerfähiger. Hinterher käme es aber zu einem Abfall der positiven Emotionen. Man werde depressiv oder bedrückt und entwickle im Extremfall suizidale Gedanken.

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Es gibt drei Richtungen, in die Drogen wirken können. Beim Neuro-Enhancement spielen die stimulierenden Drogen eine wichtige Rolle. | Quelle: drugcom.de

Wenn man in die Musikszene eintritt, fängt eine Art Teufelskreis an. Als berühmte*r Musiker*in kann man sich exklusivere und hochwertigere Drogen leisten. Falls man keine Drogen konsumiert, werde man als langweilig oder unkreativ abgestempelt. So käme der exzessive Konsum von Drogen ebenfalls zustande, erklärt Klein. Auch viele kleine Künstler*innen seien bereit, für den großen Traum alles zu tun, und das bedeute oft auch Drogenkonsum. Das, was nämlich alle Künstler*innen vereine, sei ihre Kreativität und ihr Extremismus: „Nur indem man den vorhandenen Rahmen verlässt, ist man kreativ“, fasst Klein zusammen. Lando sieht dieses extreme Verhalten ebenfalls: „Wir Künstler sind halt alles Freigeister. Und wenn du erfolgreich bist, lässt der Lifestyle das auch zu.“ 

Die Romantisierung von Drogen in Liedern

Wer nicht gerade darauf achtet, könnte sie auch überhören: die Anspielungen auf Drogen in Liedern. Besonders gefährlich könnte die Idealisierung von Drogen für Nachwuchsmusiker*innen werden, meint Klein. Wenn Künstler*innen ihre Erfahrungen mit Substanzen in Songs teilen, könne es Nachrückende motivieren, diese Droge ebenfalls zu testen. Aus dem exzessiven Konsum über längere Zeit entwickle sich eine Drogensucht. Diese kann bekanntermaßen tödlich enden. Bekannte Musiker*innen wie Amy Winehouse, Kurt Cobain oder Michael Jackson starben an ihrer Drogensucht. Dies könnte Musikmachenden die Gefahren des Drogenkonsums bewusst machen, das tut es häufig aber nicht. „Solange Musiker Erfolg haben, glauben sie nicht, dass sie süchtig sind“, erläutert der Psychologe.

„I used to do a little but a little wouldn't do it, so the little got more and more.“

Mr. Brownstone – Guns N' Roses

„Sweet Cousin Cocaine, lay your cool cool hand on my head. Ah, come on, Sister Morphine, you better make my bed. Cause you know and I know in the morning I'll be dead.“

Sister Morphine – The Rolling Stones

„Zero hour, 9:00 am. And im gonna be high as a kite by then. I miss the earth so much, I miss my wife.“

Rocket Man – Elton John

„Ich will kein Tilidin, ich brauche Propofol. Ich schreib mein Billie Jean und morgen bin ich tot.“

Candy Crush – Paula Hartmann

„Captain Jack will get you high. And take you to your special island. Captain Jack will get you by tonight. Just a little push, and you`ll be smiling.“

Captain Jack - Billy Joel

Wer trägt die Verantwortung?

Als Manager*in möchte man, dass es den Künstler*innen gut geht, doch am Ende sei es eine Zweckgemeinschaft und keine Freundschaft, erklärt Lando. Wenn die Musikmachenden nicht mehr funktionieren, dann könne man im Management nichts dagegen tun. Als einer seiner Künstler*innen zugedröhnt und nicht mehr fähig war, auf der Bühne zu performen, musst er das Konzert eben absagen. „Da kann man nicht mit der Moral kommen. Das ist dann halt so – part of the game.“ Der Mensch sei für sich selbst verantwortlich, findet er.

Zwei Auswege

Drogenkonsum kann die ersehnte Karriere also zerstören. Allerdings kommt diese Erkenntnis für manche zu spät. Wie könnte man dem exzessiven Konsum entgegenwirken? Klein sieht zwei mögliche Auswege. Der erste Weg sei über die Selbstdisziplin und die Prävention. Dazu gehöre, es mental zu schaffen, ein Leben ohne Drogen führen zu wollen und über alle Konsequenzen der Nutzung aufgeklärt zu sein. Besser als ungezügelter Konsum sei auch das Prinzip „Safer Use“. Mit diesen Strategien könne man das Risiko zumindest beschränken. Bestehen bleibe es trotzdem.

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Die Strategien des „Safer Use“, um das mit Drogenkonsum verbundene Risiko zu verringern – gefährlich bleiben die Substanzen trotzdem. | Quelle: saferparty.ch

Nachdem er zum ersten Mal gesehen hat, wie offen Drogen in der Musikbranche konsumiert werden, ist Lando perplex. Die nicht vorhandene Reaktion seiner Kolleg*innen überrascht ihn. Als Lando den Raum wieder verlässt, wird ihm klar, dass die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit im Musikbusiness verschwimmen. – Auf die Frage, ob er selbst in der Musikszene Drogen genommen hat, will er keine Antwort geben. 

* Der Name des Protagonisten wurde geändert. Die Identität ist der Redaktion bekannt.