Wir Gründenker*innen
Wir schreiben das Jahr 2070: Die letzte Flut forderte weitere Hektar Land. Nahrung ist knapp, ständige Hagelfälle zerstören auch die letzten hitzeresistenten Pflanzen. Für den täglichen Wirbelsturm verstecke ich mich mit meiner Familie im Bunker. Vielleicht weht er das Feuer des Waldbrands auch zu uns.
So oder ähnlich malen sich einige Umweltschützer*innen die Zukunft aus, wenn sie nicht gerade mit einem hartnäckigen Virus oder Leerdenker*innen beschäftigt sind. Auch wenn Deutschland im Moment viel bewegt, ist und bleibt Klimaschutz das wichtigste – und dringlichste – Thema, dem wir uns schnellstmöglich widmen müssen. Tausende Schüler*innen schwänzen schließlich nicht umsonst seit fast drei Jahren freitags die Schule.
Meine „Fridays-for-Future“-Generation kennt die Gefahren des Klimawandels, lehnt den umweltschädlichen Kurs vieler Politiker*innen ab und kämpft deshalb um Aufmerksamkeit. Aber Demonstrationen reichen nicht aus. Auch die Parteien-Konstellation im Bundestag muss sich ändern, um den Umweltschutz voranzutreiben. Schwierig ist nur, die „perfekte“ Partei dafür auszuwählen. Sie existiert wahrscheinlich gar nicht, weshalb vor allem wir als junge Wähler*innen die Möglichkeiten abwägen müssen. Die Zeit zur Bewältigung des Klimawandels läuft ab und wir werden – im Gegensatz zum Großteil der aktuellen Regierungsvertreter*innen – das volle Ausmaß einer Klimakatastrophe zu spüren bekommen.
Die grüne Hoffnung
Eine Partei, die seit ihrer Gründung Umweltschutz verfolgt und selbst „grün“ im Namen trägt, ist nun einmal Bündnis 90/Die Grünen. Mit Blick auf die anstehende Bundestagswahl haben die Grünen sogar eine realistische Chance, die Regierung zu stellen. Annalena Baerbock als erste grüne Kanzlerkandidatin gibt neue Hoffnung für alle, die sich um unsere Umwelt sorgen. Vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg empfahl sogar Fridays for Future (FFF), die Grünen zu wählen und nicht die kleinere Partei Klimaliste. Für den notwendigen Wandel im Klimaschutz seien Mehrheiten essenziell und dürften nicht durch Kleinstparteien aufs Spiel gesetzt werden, so FFF.
Und dann endlich das Wahlergebnis: Über 1,5 Millionen Menschen in Baden-Württemberg haben sich für die Grünen entschieden. Darauf erst einmal einen Sekt und große Erleichterung. Baden-Württemberg will Klimaschutz auch weiterhin ernstnehmen. Wie ein schlechter Aprilscherz schien es dann für mich und zahlreiche andere junge Menschen in Baden-Württemberg, als Winfried Kretschmann von einer Ampel-Koalition mit SPD und FDP absah und die altbekannte grün-schwarze Regierung durchsetze. So viele neue Möglichkeiten, Baden-Württemberg umzugestalten und dann doch der Rückfall zu den alten Mustern. Aber klar, in der Autostadt Stuttgart existieren die Ampelfarben rot und gelb sowieso nicht. Die Wirtschaft freute sich, Fridays for Future war erzürnt. Die letzten sechs Jahre habe es mit der CDU auch nicht funktioniert. Doch die grün-schwarze Koalition war vorhersehbar, Kretschmann gilt als „schwarzer Grüner“. So half der Sieg der Grünen bei der Landtagswahl auch der CDU in die Regierung – trotz des historisch schlechten Wahlergebnisses. Obwohl sich so viele bewusst gegen die CDU entschieden, bleibt sie dennoch an der Macht. Ob klimagerechte Politik in der Konstellation funktionieren kann oder die CDU das Programm der Grünen verwässert, wird sich zeigen.
Bedeutet das, dass jede Stimme für die Grünen automatisch auch eine Stimme für die CDU ist? Kann man mit Blick auf die Bundestagswahl überhaupt vermeiden, dass die CDU regiert?
In einem Kommentar der Tageszeitung „Zeit“ werden die Grünen schon als „die bessere CDU“ beschrieben. Sie übernehmen den politischen Stil der Machterhaltung von der CDU. Doch müssen grüne Wähler*innen von dem Koalitionsbeschluss enttäuscht sein?
Zunächst ist es ein gutes Zeichen, dass jede*r Dritte in Baden-Württemberg eine Partei gewählt hat, der Klimaschutz am Herzen liegt. Auch bundesweit erhalten die Grünen viel Zuspruch – sie sind in zehn Regierungen beteiligt. In sechs Koalitionen ist natürlich ebenfalls die CDU vertreten. So auch in der (noch) aktuellen Bundesregierung. Dort nahmen CDU und SPD den Klimaschutz aber erwiesenermaßen nicht ernst genug. Das Bundesverfassungsgericht entschied nach Verfassungsbeschwerden von Klimaschützer*innen: Das deutsche Klimaschutzgesetz von 2019 ist in Teilen nicht mit den Grundrechten vereinbar. Wenn den Pflichten zur Emissionsminderung nicht nachgekommen wird, seien nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens nach 2030 von drastischen Einschränkungen bedroht. Der Malle-Urlaub fiele dann zum Beispiel ins Wasser. Aber etwas anderes haben die aufmüpfigen Schulschwänzer*innen und Thunberg-Anbeter*innen auch nicht verdient, oder?
Das Bundeskabinett musste daraufhin ein strengeres Gesetz verabschieden. Bis 2030 sollen CO2-Emissionen nun anstatt um 55 Prozent um 65 Prozent reduziert werden. Aber darum muss sich die nächste Regierung kümmern.
Grüne + CDU = Traumduo?
Die Grünen und die CDU scheinen immer mehr zum Traumduo zusammenzuwachsen. Das könnte jedoch eine Gefahr für das grüne Kernanliegen werden. Können die Ziele zur Emissionsminderung mit der CDU in der Regierung überhaupt erreicht werden? Die politische Linie der Union zeichnete sich bisher immer durch Bewahren anstatt Verändern aus. Ohne sie wäre das Klimaschutzgesetz vielleicht auf Anhieb strenger gewesen. Nicht nur deshalb ist sie für meine Generation – zumindest für den „Fridays-for-Future“-Teil – einfach nicht wählbar. Mal abgesehen von den zahlreichen Korruptionsfällen allein in den letzten beiden Jahren. Die Duldung solcher ist nicht akzeptabel und wirft ein schlechtes Bild auf alle Parteimitglieder und Wähler*innen. Aber ich vergaß, es sind ja alles nur Ausrutscher und überhaupt nicht schlimm. Philipp Amthor ist doch zu jung und naiv, um bei Bestechung zwischen richtig und falsch zu unterscheiden – um nur ein Beispiel zu nennen. Gleichzeitig scheint er wohl reif genug für ein wichtiges politisches Amt zu sein.
Aber zurück zum Thema. Kann man überhaupt direkten Klimaschutz wählen? Muss man taktisch entscheiden und Kompromisse bei der eigenen Überzeugung eingehen, um das Beste aus der langsamen Klimapolitik herauszuholen?
Es ist ja nicht so, dass alle anderen Parteien den Klimaschutz vernachlässigen. Die SPD sieht den Kampf gegen den Klimawandel „Aus Respekt vor der Zukunft“ beispielsweise als sehr wichtig an. Mit „Nie gab es mehr zu tun“ fordert die FDP einen Neustart und will die großen Herausforderungen unserer Zeit bewältigen – natürlich erst, nachdem wir an der wirtschaftlichen Weltspitze angekommen sind. Auch die Linke setzt sich Klimagerechtigkeit als Ziel. Unter den Kleinstparteien widmet sich zum Beispiel die ÖDP hauptsächlich dem Klimaschutz. Doch wer Umweltschutz im Bundestag will, sollte seine Stimme nicht an kleine Parteien verschwenden, die höchstwahrscheinlich an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern werden.
Wahrscheinlich wird es auf Kompromisse hinauslaufen. Im Gegensatz zur grünen Welle im Mai liegt die CDU jetzt mit 28,8 Prozent weit vor den Grünen mit 19,4 Prozent.
Wahlprognosen sind also schnelllebiger als die aktuelle Klimapolitik und hinter der nächsten Ecke wartet schon der nächste Skandal um Angela Merkels mögliche Nachfolger*innen. Vielleicht wendet sich das Blatt und die Grünen stellen tatsächlich die nächste Kanzlerin.
Doch egal wer im September das Rennen macht, wichtig ist doch, dass man mit seiner Wahl leben kann. Da wird das Taktische zur Nebensache. Mit der Klimabedrohung im Hinterkopf ist man als junge*r Wähler*in natürlich hin- und hergerissen. Alle Konsequenzen unserer Entscheidungen kennen wir sowieso nie, weshalb wir ständig Kompromisse eingehen. Der US-Wissenschaftler Herbert Simon formulierte deshalb die „satisficing rule“: Der Mensch hat vor einer Entscheidung bestimmte Ansprüche und wählt die Option, die diese Ansprüche erfüllt. Und wenn eine Kleinstpartei die persönlichen Ansprüche erfüllt, wählt man eben diese. Um einige Unentschlossene zu beruhigen: Selbst wenn Parteien nicht in den Bundestag kommen, gehen sie nicht leer aus. Für jede Stimme erhält eine Partei 0,83 Euro – bei den ersten vier Millionen Stimmen sogar einen Euro pro Wähler*in. Wer von einer Kleinstpartei überzeugt ist, kann sie also trotzdem mit einer Stimme unterstützen. Solange man am Ende zufrieden mit dem eigenen Entschluss ist.
Wie Martin Luther schon sagte: „Nur, wer sich entscheidet, existiert“. Das ist auch das Wichtigste: Sich für eine Partei zu entscheiden und wählen zu gehen. Prognosen können falschliegen, Taktiken geändert werden und Koalitionen überraschen. Beim Wahlkampf der verschiedenen Parteien muss man beachten, dass es eben Wahlkampf ist und daher reine Überzeugungsarbeit.
Es heißt zwar „Du bist, was du isst“, aber das heißt nicht, dass du bist, was du wählst. Ein Mensch muss nicht vollständig von einer Partei überzeugt sein, um sie zu wählen. Es reicht, wenn du mit der Entscheidung leben kannst. Und ob man jetzt zwischen Pest und Cholera oder mit voller Leidenschaft wählt, soll mir egal sein. Wichtig ist, seine Stimme zu nutzen und wählen zu gehen. So bleibt auch trotz der Einschränkungen der Corona-Pandemie unsere Demokratie am Leben, egal was Covidiot*innen und Telegram-Sklav*innen sagen. Versprochen. Und wenn wir uns gemeinsam ein bisschen anstrengen und die Klimabedrohung ernst nehmen, dann können wir das oben beschriebene Horrorszenario vermeiden. Vielleicht ist die Erde 2070 dann ein besserer und nachhaltigerer Ort, wo meine Generation und alle danach ohne Umweltkatastrophen leben können.