Buchpreis

Wem gebührt literarischer Erfolg?

Das Gewinnerbuch des Deutschen Buchpreises wird zum „Roman des Jahres“ gekürt.
01. Sep 2023
Übersetzte Weltliteratur dominiert die Bestsellerlisten – und das bei 70.000 neuen Büchern pro Jahr. Da nur wenige Bücher den Löwenanteil des gesamten Branchenumsatzes ausmachen, will der Deutsche Buchpreis die Position deutschsprachiger Autor*innen auf dem Markt stärken.

Gedrucktes Papier steht in Konkurrenz zu anderen Medien – dennoch bleibt der Buchmarkt groß. Unter den jährlich 70.000 Neuerscheinungen sind allerdings nur ein Bruchteil original deutschsprachige Publikationen. Viel häufiger handelt es sich um Übersetzungen. Um mehr Aufmerksamkeit für die deutschsprachige Literaturlandschaft zu generieren, rief der Börsenverein des Deutschen Buchhandels 2005 den Deutschen Buchpreis ins Leben, der jährlich auf der Frankfurter Buchmesse vergeben wird. Er soll sowohl den Buchhandlungen zu Gute kommen als auch der Kulturförderung von Schriftsteller*innen.

Der Deutsche Buchpreis polarisiert

Doch nicht alle sind von seinem Zweck überzeugt. Im Gegensatz zu anderen Literaturpreisen war der Deutsche Buchpreis häufig Kritik ausgesetzt. In dem vielzitierten Artikel „Entwürdigendes Spektakel” beklagte der Autor Daniel Kehlmann in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung 2008 die „Aufmerksamkeitsmonopolisierung” des Preises. Bücher, die nicht nominiert wurden, würden nicht mehr rezensiert werden und keine Beachtung erhalten. 

Die Schriftstellerin Monika Maron bezeichnet den Preis als reinen Marketingpreis. „Es geht nicht um Literatur, sondern um die Verkäuflichkeit von Literatur ohne großen Aufwand, vom Stapel weg wie die neueste Single vom neuesten Superstar”, schreibt sie. Tatsächlich scheint der Gewinn des Deutschen Buchpreises wie ein Versprechen auf Erfolg und hohe Auflagen zu sein und damit deutschsprachige Bestseller zu erschaffen. Bereits der erste Buchpreisträger Arno Geiger erreichte in dem Jahr nach seinem Gewinn eine Auflage von mehr als 200.000 Büchern. „Der Deutsche Buchpreis war für ihn der große Startschuss”, erzählt Christina Knecht, die Presseleitung des Carl Hanser Verlags.

Für Knecht ist der Gewinnertitel „Es geht uns gut” von Geiger aufgrund seiner Komplexität ein Beleg dafür, dass der Deutsche Buchpreis nicht ausschließlich dem Profit der Buchbranche dient. Ihrem Eindruck nach gebe es auch viele Buchpreisträger*innen außerhalb des Mainstreams. Knecht war 2005 an der Entscheidung beteiligt, Geigers Roman neben einem weiteren Titel beim Deutschen Buchpreis einzureichen. Davor hatte Geiger bereits drei andere Bücher bei Hanser veröffentlicht, die er selbst als erfolglos beschreibe. 

Die Rolle der Verlage bei der Auswahl

Damals konnten die Verlage lediglich zwei Bücher jährlich für den Deutschen Buchpreis einreichen. Mittlerweile kann neben den zwei Einreichungen auch eine Empfehlung für weitere Titel ausgesprochen werden. Jedes Jahr reichen ca. 100 Verlage mehr als 170 Titel ein. Daraus stellt die jährlich wechselnde Jury eine Longlist mit 20 nominierten Büchern zusammen und ermittelt sechs Bücher, die auf der finalen Shortlist  landen.

Die Kriterien für die Nominierung und den Gewinn seien zunächst literarische Qualität und Originalität eines Buches, sagt Andreas Platthaus, der als Autor und Journalist 2013 Teil der Jury war. „Andere Aspekte sind Scheu vor wiederholten Nominierungen derselben Autoren oder vor mehreren Büchern aus einem Verlag auf der Shortlist.”  Trotzdem treten einige Verlage wie der Suhrkamp Verlag  und der Carl Hanser Verlag deutlich häufiger auf den Shortlists für den Deutschen Buchpreis auf, wie die Netzwerkanalyse zeigt. 

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Romane der Verlage Hanser, Suhrkamp und Kiepenheuer&Witsch werden besonders oft für die Shortlist ausgewählt. | Quelle: Canan Edemir

„Die Bücher müssen für sich selbst sprechen.“

Christina Knecht, Presseleitung Carl Hanser Verlag

Werden diese Verlage von der Jury etwa bevorzugt behandelt? Andreas Platthaus und Christina Knecht sind sich einig: „Wer schon viel hat, dem wird gegeben.” Etablierte Verlage wie Suhrkamp und Hanser würden gute Titel anziehen und somit eine höhere Chance auf gute Schriftsteller*innen haben, so Platthaus. Auch Knecht sieht den Grund dafür in der Qualität der Arbeit von bestimmten Verlagen. Aber: „Die Bücher müssen für sich selbst sprechen.”

Die Gesellschaft verändert sich – der Buchpreis auch?

Der Gewinnertitel von 2022 scheint diesem Anspruch gerecht zu werden – „Blutbuch” ist Kim de l’Horizons Debütroman. Als erste nicht-binäre Person gewann de l’Horizon im vergangenen Jahr den Deutschen Buchpreis und kurz darauf den Schweizer Buchpreis. Auch die Romanfigur in „Blutbuch” identifiziert sich weder als Mann noch als Frau. Die Bilder der Preisverleihung, auf der sich de l'Horizon aus Solidarität mit iranischen Frauen die Haare rasiert, sorgten medial für Aufmerksamkeit. In den ersten zehn Tagen  nach Bekanntgabe des Deutschen Buchpreises 2022 wurden laut dem Dumont Verlag 55.000 Exemplare von „Blutbuch” an Buchhandlungen ausgeliefert. 

„Die Veränderungen in der Gesellschaft bilden sich meiner Meinung nach auch im Deutschen Buchpreis ab.“

Christina Knecht, Presseleitung Carl Hanser Verlag

Der Sieg von Kim de l’Horizon zeige, dass der Deutsche Buchpreis in den letzten Jahren diverser geworden ist, findet Christina Knecht. Außerdem würde weiblichen Autorinnen mehr Beachtung geschenkt werden, obwohl  immer noch ein Ungleichgewicht bestehe, da deutlich mehr Bücher von Männern publiziert werden. „Aber das braucht seine Zeit. Die Veränderungen in der Gesellschaft bilden sich meiner Meinung nach auch im Deutschen Buchpreis ab”, sagt Knecht. Der Netzwerkanalyse ist zu entnehmen, dass sich die Geschlechterverteilung bei den Nominierungen tatsächlich ein wenig verbessert hat. Im ersten Jahrzehnt des Deutschen Buchpreis standen insgesamt doppelt so viele Männer auf der Shortlist wie Frauen. Zwischen 2020 und 2022 waren zusammengerechnet auf die Jahre erstmals mehr Frauen nominiert als Männer. Interessanterweise ist der Unterschied bei der Anzahl der Gewinne zwischen den Geschlechtern nur minimal.

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Kim de l'Horizon war einer der erst zwei nicht-binären Menschen unter den Nominierten auf der Shortlist. | Quelle: Canan Edemir

Neben dem Ingeborg-Bachmann-Preis und dem Georg-Büchner Preis zählt der Deutsche Buchpreis zu den bedeutendsten Literaturpreisen im deutschsprachigen Raum. „Der Anspruch, den ,besten deutschen Roman‘ einer Saison zu verleihen, ist vielleicht ein bisschen hoch gegriffen, zumindest diskutabel”, findet Christina Knecht. Durch die geballte Macht, das Gewinnerbuch zu benennen, sei der Buchpreis allerdings fast zwangsläufig Kritik ausgesetzt, resümieren Katharina Peers und Heinrich Wolf in „Spiel, Satz und Sieg. 10 Jahre Deutscher Buchpreis.” Sie schreiben: „Wie in jedem anderen Bereich des öffentlichen Lebens führt die Akkumulation von Macht zur Ohnmacht von anderen.” Trotzdem habe es der Deutsche Buchpreis angesichts des wachsenden Konkurrenzdrucks geschafft, Aufmerksamkeit und Kapital für die Buchbranche zu schaffen.

Methodik der Netzwerkanalyse

Untersucht wurden die nominierten Bücher auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises seit 2005. Das Netzwerk umfasst die Autor*innen und Bücher mit den jeweiligen Verlagen sowie alle von ihnen gewonnenen Buch- und  Literaturpreise. Außerdem wurden das Geschlecht und die Herkunft der Autor*innen und das Genre, Thema und Erscheinungsjahr der Bücher erhoben. Der vollständige Datensatz und der dazugehörige Forschungsbericht ist hier zu finden.